Review: LESSON OF THE EVIL – Und der Haifisch, der hat Zähne



Fakten:
Lesson of the Evil (Aku no kyôten)
Japan. 2012. Regie: Takeshi Miike. Buch: Takeshi Miike, Yûsuke Kishi (Vorlage). Hideaki Itô, Takayuki Yamada, Kento Hayashi, Ruth Sundell, Rio Kanno, Mitsuru Fukikoshi, Erina Mizuno u.a. Länge: 126 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Ab 13. Juni 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Bei seinen Schülern ist Englischlehrer Seiji Hasumi beliebt und auch seine Kollegen mögen ihn. Doch der charmante Pädagoge ist in Wahrheit in waschechter Soziopath, der mit besonders drastischen Methoden Schüler zur Raison bringt, die gegen die Regeln der Schule verstoßen.





Meinung:
Takashi Miike gilt als echter Workaholic, dem es, anders als beispielsweise einem Woody Allen („Blue Jasmine“, „Match Point“), nicht unbedingt daran gelegen ist, einer klaren Struktur innerhalb seines in Motive gegliederten Schaffens zu folgen und diese auf einr Handschrift zu betten, die schon nach wenigen Minuten identifizierbar scheint – Was ja auch nichts Schlechtes bedeuten muss. Das japanische Enfant terrible hingegen testet nicht nur seine Fähigkeiten nach Lust und Laune aus, sondern auch die Grenzen des Mediums. Da finden wir uns mit Ace Attorney (2012) in einer recht zahmen Videospieladaption wieder, lassen uns in „The Happiness of the Katakuris“ Miikes eigenwillige Musical-Interpretation gefallen, um uns dann mit „Audition“ (1999), „Ichi the Killer“ und „Vistior Q „ (beide 2001) dreimal so richtig vor den Bug schießen zu lassen. Das Schöne an Miike ist, dass er noch zu den Regisseuren gehört, die immer wieder zu einer Überraschung in der Lage sind.


Die Lehre des Tötens behält Seiji für sich
Mit seinem neusten (in Deutschland) Direct-to-DVD-Produktion „Lesson of the Evil“ bewahrheitet sich die flexible Marschroute Miikes erneut: Auf dem gleichnamigen Roman vom Yusuke Kishi basierend, spielt „Lesson of the Evil“ gekonnt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers und betritt nie den tonalen Pfad, den er zuletzt eingeschlagen hatte, um letztlich doch als kohärentes Ganzes mit erhobenen Haupt samt tückischen Grinsen dazustehen. Zuerst empfängt uns „Lesson of the Evil“ als handelsübliche Illustration eines japanischen Oberschulalltags. Höchste Beliebtheit genießt der attraktive Hasumi Seiji, der auch nach dem Unterricht ein offenes Ohr für seine Schüler hat und ihnen bei kleineren oder größeren Problemen Beistand leistet. Die Typisierung der Schüler fällt dabei nicht unbedingt vielschichtiger aus: Es gibt den drangsalierenden Bully, es gibt die Mädels, die sich in den Lehrer vergucken und es gibt die Außenseiter, die Schweigsamen, die Normalos. Klischees, die der Realität entsprechen, von Miike aber immer nah an die Persiflage geführt wurden – wie die gesamten Banalitäten des Alltags.


Rumgammeln kann Seiji auch überhaupt nicht leiden
Schon bald aber blättert der Glanz von Hasumis Antlitz ab und „Lesson of the Evil“ konvertiert in ein etwas halbgares Psychogramm, welches die in Blut getränkte Vergangenheit ein Stück weit entschlüsselt und dem Zuschauer die von Hasumi ausgehende Gefahr näherbringt. Wer „Lesson of the Evil“ nicht als Gesellschafts- respektive Systemkritik lesen möchte, der verweigert sich einem Subtext, den der Film ohne Frage besitzt, diesen aber zu keiner Zeit durch plumpe Moralisierungen auf sein kontroverses Minimum reduziert: „Lesson of the Evil“ will nicht belehren oder an realen Beispielen – natürlich dann wieder fiktiv aufbereitet - auf das dysfunktionale Miteinander in der heutigen Zeit aufmerksam machen. „Lesson of the Evil“ denkt das inzwischen gar nicht mehr so unvorstellbare Schreckensszenario in reziproker Ausrichtung Schritt für Schritt durch und lässt in seiner eruptiven Gewalt, die im letzten Drittel an Miikes Splatter-Ausflüge gemahnen, keinen Zweifel daran, dass sich hier etwas abgrundtief Böses ganz dem Fatalismus seines Sujets verschrieben hat – Oder ist es vielleicht andersrum?


Nach einigen Referenzen auf die westliche Kultur mit der von Bertolt Brecht geschriebenen und von Kurt Weill vertonten Moritat von Mackie Messer oder auch Johann Wolfgang von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, regieren in „Lesson of the Evil“ nur noch Hasumi und seine Schrotflinte, die unzählige Leiber der Jugendliche gnadenlos und in einer unfassbaren Radikalität durchsiebt. Musikalisch dann passenderweise von Bobby Darins „Mack the Knife“ begleitet, wird dieser Amoklauf dermaßen zynisch übersteigert – nicht zuletzt auch durch die Hilfe einiger surrealistischer Einschübe - dass „Lesson of the Evil“ nicht unbedenklich erscheint, sich einem mit gemischten Gefühlen entraubten Lächeln jedoch sicherlich nicht entziehen kann. Am Ende erwartet uns ein spitzbübisches „Fortsetzung folgt“, das perfide Spiel des Hasumi ist noch lange nicht zu Ende. Und wir als Zuschauer? Wir sind Miike mal wieder voll ins Netz gegangen, seinem Panoptikum an Stereotypen, die er mehr als nur bricht und dem phytopathologischen Blutrausch. Miike weiß einfach, wie er mit dem Medium umzugehen hat.


7 von 10 Schüssen in den Kopf


von souli

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