Review: WALKABOUT - Wenn Träume verblassen



Fakten:
Walkabout
Australien. 1971. Regie: Nicholas Roeg.
Buch: Edward Bond, James Vance Marshall (Vorlage). Mit: Jenny Agutter, Luc Roeg (Lucien John), David Gulpilil, John Meillon, Peter Carver u.a. Länge: 100 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Zwei Kinder und ihr Vater fahren ins australische Outback. Dort versucht der Vater grundlos seine Kinder zu erschießen, zündet das Auto an und richtet danach sich selbst. Die Kinder haben den Anschlag körperlich unbeschadet überstanden, sind nun allerdings alleine mitten in der Wildnis. Sie begegnen einem jungen Aborigine, der durchs Outback reist.





Meinung:
Genau wie Peter Weirs „Picknick am Valentinstag“ aus dem Jahre 1975, ist auch Nicolas Roegs 1971 entstandener „Walkabout“ von immenser Bedeutung für das australische Kino, schließlich waren genau diese beiden Werke für die daraus resultierende Filmwelle aus Down Under verantwortlich und legten den hochklassigen Grundstein für alles, was folgen sollte. Wo sich Weir in seinem ästhetischen Mysterium ganz der atmosphärischen Sogwirkung verschrieben hat und zu eigenen Interpretationen einlud, schlägt auch Nicolas Roeg einen ganz eigeen Weg ein und inszenierte einen Film, der den Zuschauer nicht Händchen haltend durch die Szenerie begleitet, sondern ihm die Rolle des beobachtenden und mitfühlenden Gefährten erlaubt. „Walkabout“ macht bereits in seiner einmaligen Exposition deutlich, dass der Rezipient in den kommenden 100 Minuten nicht nur konzentriert auf die Mattscheibe starren muss, um dem Ablauf zu verinnerlichen, er muss sich ebenso dem Geschehen öffnen und jede ambige Illustration tief in sein Herz lassen.


Der Vater und seine größte Sünde
Wer sich schon etwas mit dem umfassenden Schaffen von Nicolas Roeg beschäftigt hat, der wird festgestellt haben, dass seine Filme alle durchaus einen autarken Charakter haben und getrennt voneinander prinzipiell problemlos funktionieren. Allerdings schwingt in seinen Werken nahezu durchgehend ein Subtext mit, der die Kontinuität von Dekade zu Dekade innerhalb der Karriere Roegs transparent verbindet: Es ist die versagende Macht der Moderne, die mehr nimmt, anstatt zu geben. In „Walkabout“ wird das in einer anklingenden Zivilisationskritik eingefangen, in der Roeg die Natur gegen den unaufhaltsamen Fortschritt antreten lässt und die Ureinwohner dem Menschen des 20. Jahrhundert in die Augen blicken müssen. Dabei zeigt der exzentrische Brite vor allem mal wieder sein zuvor bei Francois Truffaut und David Lean angesammeltes Talent für technische Komponenten. Ein Markenzeichen von Roeg sollte es werden, sowohl Schnitt und Fotografien immer einem symbolischen Effekt zu verleihen, während „Walkabout“ neben seiner Allegorik in (Gegen-)Schnitten und Montagen einen nahezu vollkommen audiovisuellen Einklang vorführt.



Auf der Suche nach dem wahren Ich
Ein Kleinkind und ein pubertierendes Mädchen sind in den Weiten des Outback schlagartig auf sich allein gestellt und treten eine ungeahnte Bewährungsprobe an, die mit einem jugendlichen Aborigine kontaktiert, der sich gerade in seinem traditionellen Männlichkeitsritus befindet. „Walkabout“ führt das „verwöhnten“ Individuum also zurück in die Natur und zeigt ihm als Spiegelbild einen Menschen, der von industriellem Größenwahn keine Ahnung hat, der kein Storm oder fließendes Wasser kennt, sondern sich für das Leben in der Wildnis auf eigene Faust wappnen muss, um in einer Welt zu bestehen, die die Menschen aus den Metropolen nur aus Büchern kennen. Wo in vielen Filmen der Wüste durchaus ein bestimmter Charakter verliehen wird, dieser sich aber als durchgehend einseitig erweisen musste, lässt Roeg die Einöde pulsieren und erweckt sie merklich. Für die Protagonisten stellt sie einen Spielplatz dar, sorgt für Nahrung und wird abrupt von schleichenden Bedrohungen dominiert. Alles natürlich wunderschön und äußerst sensitiv bebildert und mal wieder einmalig assoziativ in seiner visuellen Symbolik – Kunst, die unter keinen Umständen künstlich wirkt.


„Walkabout“ ist ein Film über (Eigen-)Verantwortung und das Erwachsenwerden, über kulturelle Konflikte und über dem Zusammenhalt innerhalb einer „falschen“ Familie. Die mystische Erlesenheit der Wüste, ihre Konfrontation mit dem gesellschaftlichen Fortschritt und die zerstörerischen Auswirkungen. Und doch erzählt Roeg hier vor allem über eingebrannte Sehnsüchte, tief in der Seele, die ihre Befriedigung nur in der Freiheit finden können, doch der Mensch muss zurück in seine auferlegte Norm und mal wieder schmerzvoll akzeptieren, dass Träume immer offenen Augen beendet werden. Das Paradies schrumpft von Tag zu Tag, das Geschwisterpaar realisiert, dass sie aus einer vollkommen anderen Welt stammt, aber die Wüste wird immer bleiben, denn „Walkabout“ fokussiert hier nicht nur einen abenteuerlichen Ausflug in die (oberflächliche) Natur; die Protagonisten lernen hier für ihre Zukunft und die unschuldige Flamme innerhalb der Beziehung des Trios erlischt nie – genauso ist es auch mit dem Zuschauer und „Walkabout“.


8 von 10 Märschen durch die Wüste

von souli

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