Review: SIEBEN JAHRE IN TIBET – Willkommen auf dem Dach der Welt

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Fakten:
Sieben Jahre in Tibet (Seven Years in Tibet)
USA. 1997. Regie: Jean-Jacques Annaud. Buch: Becky Johnston, Heinrich Harrer (Vorlage). Mit: Brad Pitt, David Teewlis, B.D. Wong, Danny Dezongpa, Ingeborga Dapkünaite, Jamyang Jamtsho, Sonam Wangchak, Dorjee Tsering, Lhakpa Tsamchoe. Länge: 129 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die wahre Geschichte des Bergsteigers Heinrich Harrer, der während des zweiten Weltkriegs bei einer Expedition durch den Himalaya interniert wird und daraufhin nach Tibet flieht.





Meinung:
Die Kontroversen um die gegenwärtige Zugehörigkeit Tibets reißen nicht ab: Während sich Demonstranten, darunter auch ehemalige Mönche, die sich öffentlich mit Öl übergießen und anzünden, für eine generalisierte Autonomie Tibets einsetzen und eine vollständige Abnabelung von der Volksrepublik China anstreben, findet sich auf politischen Ebene kein internationaler Staat, der sich wirklich für die „Befreiung“ Tibets einsetzt. Seit jeher wird der China-Tibet-Konflikt mal mehr, mal wenig er offensiv ausgetragen, Protestläufe bleiben verhalten oder ufern schlagartig in blanke Gewalt aus. Wie angespannt das dortige Verhältnis wirklich ist, hat auch der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud („Der Name der Rose“) 1997 bei seiner Arbeit an „Sieben Jahre in Tibet“ mehrfach erfahren müssen. Nachdem die Dreharbeiten kurzerhand von Indien in die argentinischen Anden verlegt worden sind, verlautete das Ende vom Lied für Annaud, Brad Pitt und Jamyang Jamtsho Wangchuk folgendes: Ein lebenslanges Einreiseverbot in die Volksrepublik China.


Brad Pitt erklärt die Welt. Heute geht's um Blondierungs-Tipps
Basierend auf dem autobiografischen Roman „Sieben Jahre in Tibet“ von Heinrich Harrer, den das Drehbuch von Becky Johnston einzig als Rahmen respektive Gerüst der Handlung benutzt, erzählt der Film im Kern eine fiktive Geschichte. Um Harrers SS-Ambitionen schert sich Jean-Jacques Annaud wenig, stattdessen integriert er eine unerfüllte Ehe, die Harrers unbegründete Aggressionen gegen die Welt ein Fundament verleiht. Heinrich Harrer wird als österreichischer Star beschrieben, der sich durch seine Expeditionen als Bergsteiger jede Menge nationalen Ruhm sicher konnte, in Wahrheit aber von einer inneren Unzufriedenheit getrieben ist, die ihn für seine Mitmenschen zu einem ungenießbaren Zeitgenossen machen. Harrer ist ein arroganter Narzisst, rücksichtslos und äußerst beschränkt in seiner Sicht auf die Welt und ihre Bewohner. Brad Pitt („Inglourious Basterds“) spielt diesen Harrer ungemein ausbalanciert, muss nur selten auf große Gesten zurückgreifen, lässt den Großteil der Zeit viel lieber seine Augen für ihn sprechen. Als emotionaler Gegenpol Heinrich Harrers ist David Thewlis („The Big Lebowski“) als Peter Aufschnaiter zu sehen.


"Ihr im Westen hab gutes Anti-Schuppen-Shampoo."
Dieser Peter Aufschnaiter, der mit Heinrich Harrer einige Diskrepanzen persönlicher Natur pflegt, dient – wie im weiteren Verlauf beinahe alle Charaktere – zur Reflexion Harrers charakterlichen Disposition. Er hält ihm immer wieder den Spiegel vor, kann ihn aber noch nicht in die Schranken weisen, zu hochmütig und anmaßend gibt sich der blonde Österreicher. Nach der Internierung zu Anfang des zweiten Weltkrieges, dem geglückten Ausbruch aus dem Gefangenenlager und der Flucht durch den Himalaya, trifft Harrer in Tibet bald auf Tendzin Gyatsho, dem vierzehnten Dalai Lama, der ihn endlich umkrempeln wird. „Sieben Jahre in Tibet“ ernennt Heinrich Harrer zum Dreh- und Angelpunkt, um seine Verwandlung vom Scheusal zum einem offeneren, weit wenig infantilen Menschen zum thematischen Fokus zu küren. „Sieben Jahre der Tibet“ schildert das ideologische Erwachen Harrers als spirituellen Kraftmarsch, als Geschichte über Freundschaft und politische Parabel, obgleich historische Faktizität hier kleingeschrieben wird und einige Achsen dabei verschoben werden.


Interessant ist, wie „Sieben Jahre in Tibet“ trotz seiner entschleunigten, meditativen Narration nie durchhängt, sondern seine Charaktere immer packend über Wasser hält. Dabei verzichtet das Drehbuch löblich auf die obligatorische Amerikanisierung der östlichen Gepflogenheiten und versucht viel mehr, die westliche Kultur mit der Tibets zu verknüpfen, sie interagieren zu lassen: Wunderbar symbolisch in der beinahe ikonischen Szene festgehalten, in der Harrer und der Dalai Lama ihre Köpfe aneinander drücken, ihre Augen verschließen, die Zeit stillstehen lassen. Es ist ein Moment, in dem deutlich wird, dass beide Seelen eng miteinander umschlungen sind und auch nicht durch die größte Entfernung in Zukunft auseinander gerückt werden können. Darüber hinaus überwältigt „Sieben Jahre in Tibet“ durch sein famosen Setting wie Landschaftsfotografien: Die verbotene Stadt Lhasa wurde bis ins kleinste Detail rekonstruiert und die sanft mit Schnee bestäubten Bergpässe des Himalaya drohen den Bildschirm in ihrer Erlesenheit beinahe zu sprengen. Kino für die Sinne, für das Herz und durchaus auch für das Hirn.


7 von 10 nebelverhangenen Tempeln


von souli

Review: MÄDCHEN IN DEN KRALLEN TEUFLISCHER BESTIEN - Last House italiano

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Fakten:
Mädchen in den Krallen teuflischer Bestien (L’ ultimo treno della note)
IT, 1975. Regie: Aldo Lado. Buch: Roberto Infascelli, Renato Izzo, Aldo Lado, Ettore Sanzo. Mit: Flavio Bucci, Macha Méril, Gianfranco De Grassi, Irene Miracle, Laura D’Angelo, Enrico Maria Salerno, Marina Berti, Franco Fabrizi u.a. Länge: 94 Minuten. FSK: keine Freigabe. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Aus dem weihnachtlichen München brechen die Studentinnen Margaret und Lisa mit dem Zug auf, um Lisas Eltern in Italien zu besuchen. An Bord lernen sie zwei Männer kennen, die ihnen bald unheimlich werden. Bei einem ungeplanten Zwischenstopp wechseln sie den Zug und wähnen sich in Sicherheit. Ein Trugschluss, denn auch die Männer, nun in Begleitung einer Dame mittleren Alters, sind umgestiegen. In der Nacht überfällt und missbraucht das Trio die Mädchen auf grausamste Art und Weise. Eine Nacht mit Folgen, nicht nur für die direkt Beteiligten. Denn an der Endstation warten schon die Eltern…






Meinung:
Aldos Lado‘s „L‘ ultimo treno della note“ muss sich ganz klar den Vorwurf gefallen lassen, offensichtlich sehr ungeniert bei Wes Craven’s „The Last House on the Left“ zu wildern, und zwar nicht zu knapp. Zu deutlich sind die Parallelen zu dem kurz vorher erschienenen Rape & Revenge-Schocker, selbst wenn man die grundsätzlichen Ähnlichkeiten aller Filme dieses rüden Subgenres berücksichtigt. Natürlich – das sagt ja schon der Name – steht immer eine Vergewaltigung und der anschließende Racheakt an den Peinigern im Vordergrund, ist halt so. Nur das ist längst nicht alles. Praktisch der komplette Ablauf sowie dessen Unterthematik – der aus der Wut und Verzweiflung hervorgerufenen Transformation friedliebender Oberschichtler zu gnadenlosen Scharfrichtern -  wird mehr oder weniger übernommen, der Schauplatz nur in einen Zug verlagert. Selbst der Titel klingt schon ähnlich (die verschiedenen internationalen Alternativtitel waren gar noch direkter, z.B. „The Second House on the Left“).


Zugfahren könnte sooo viel Spaß machen...
Darf man das, was soll man davon halten? Klar darf man das, machen die Amis seit Jahrzehnten ja nicht anders. Diesmal geht es eben den umgekehrten Weg. Statt wie sonst einen erfolgreichen Film aus Übersee in der Stars & Stripes Version neu zu drehen, gibt es hier die Spaghetti-Ausgabe eines US-Films. Inoffiziell und rein zufällig, natürlich. Was man davon halten soll? Kommt immer drauf an. In diesem Fall kann man selbstverständlich auf den Plagiatsvorwürfen rumreiten bis der Gaul zusammenbricht, nur WIE Lado das macht, ringt dem grundsätzlich am Genre interessierten Zuschauer gehörig Respekt ab. So sehr er hier auch kopiert, er macht es einfach gut. Vor allem ergänzt er Craven‘s „Vorlage“ durch wenige, dafür extrem effiziente Details, die in ihrer Boshaftigkeit und Nachwirkung einen harten Schwinger in den Magen versetzen.


Manche lesen während der Fahrt ein Buch, manchen ist das zu öde.
In einer recht ausführlichen Exposition starten wir in der schönsten Zeit des Jahres, mitten im Weihnachtstrubel von München. Hektisch, aber heiter und fröhlich geht es hier zu, unsere Protagonistinnen werden als lebensfrohe, gut behütete Teenager aus gehobenen Hause präsentiert, die eine aufregende (wie sehr ahnen sie noch nicht) Reise mit dem Zug vor sich haben. Über den Brenner nach Italien, zum Familienbesuch in der Heimat, womöglich ihre letzte Reise. Das Unheil – in Form zweier nihilistischer Junkies und Gewohnheitsverbrecher – droht bereits, wie man als Zuschauer schnell erahnt, noch bevor es den gut gelaunten, sexuell erstaunlich unerfahrenen Mädchen bewusst wird. Lado spielt gerade auf diesen Aspekt mehrfach an, lässt diverse sexualisierte Momente folgen, die das später Folgende umso grausamer und vernichtender erscheinen lassen. Fast keusche, jedoch durchaus neugierige Pflänzchen werden auf unvorstellbar viehische Art geschändet und vernichtet. War bei Craven bis dato auch nicht anders, nur um es nochmal zu erwähnen, neu ist das sicher nicht. Selbiges trifft auf den relativ späten, dafür quälend-schauderhaften Akt zu, dessen Erwähnung in diesem Genre nicht als Spoiler gelten sollte.


Das Leiden beginnt...
Nun überzeugt Lado mit einer bis dahin kaum erwarteten, künstlerischen Ästhetik, die den abscheulichsten Part des Films zu einem inszenatorischen – es klingt sehr befremdlich, es ihn dem Zusammenhang als solchen zu bezeichnen – „Genuss“ macht. Ein ausgiebiger, dabei erstaunlich wenig ausbeuterischer Marathon der Gewalt (der sich eher in psychischer als explizit zur Schau gestellter, physischer Grausamkeit definiert), eingehüllt in schimmerndes Blau, unterlegt von den Klängen eines Ennio Morricone, der eine markante, eiskalte Mundharmonikamelodie mit tief-drückenden Piano-Fragmenten kombiniert. Unglaublich intensiv, abstoßend wie faszinierend zugleich, in seiner angepeilten Wirkung exakt und unheimlich treffsicher. Körperliche Gewalt steht dabei nicht im Vordergrund, doch natürlich bleibt diese nicht aus und ist dann mehr als schrecklich. Allerdings wird sich nicht im Blut gesuhlt, auf was viele Regisseure an der Stelle nicht verzichtet hätten. Ein mehr als unangenehm zu verfolgendes Szenario, schockierend, nicht „aufgeilend“ und damit genau auf den Punkt.


...und will kein Ende nehmen.
Der abschließende Revenge-Part ähnelt erneut stark dem von Craven, wer den kennt, wird es sich denken können. Der zivilisierte, ethische Bürger der Upper Class  vergisst seine gute Kinderstube und sozialen Werte im Angesicht des Leids, Auge um Auge, Blut für Blut. Das Auf- und Zerbrechen der liberalen Grundeinstellung der 70er durch das natürliche - wenn auch eben nicht moralisch vertretbare - Verlangen nach Gerechtigkeit in Form von zügelloser Selbstjustiz. Wie gesagt, hat man schon gesehen, nur mit welchem puren, kaum zu überbietenden Zynismus Lado diesem Finale noch eins draufsetzt, ist schon ein Schlag in die Fresse. Sollte an der Stelle nicht zu detailliert beschrieben werden, wenn es sich jemand ansehen will. Nur sehr grob: Am Ende triumphiert Manipulation und Anpassungsfähigkeit über das wilde, primitive Tier. Das schlimmste Raubtier ist nämlich das, welches sich nicht als solches zu erkennen gibt, sich letztendlich sogar an dem Leid seines Rudels labt, um den eigenen, perversen Trieb zu befriedigen, welcher im ruhigen Bau nur unter der Oberfläche verborgen bleibt. Zusammen mit den Spießbürgern, die von Voyeuren zu Mittätern werden, um anschließend im Erfüllen ihrer „Bürgerpflicht“ ihr Gewissen zu beruhigen. Was Lado einem da vor den Latz knallt, scheppert ordentlich.


Heftige Kost, sicher nicht für jeden geeignet und ganz bestimmt nicht gänzlich auf dem eigenen Mist gewachsen, dafür mit einer so rohen Durchschlagskraft und erstaunlichem, inszenatorischen Geschick an Schlüsselstellen, das hat schon was. Bitter-böse und erschütternd. Ist nur das zweite Haus links, deshalb nicht zwangsläufig wenig wert.

7 von 10 besinnlichen Feiertagen.

Review: 47 RONIN - Keanu Reeves im alten Japan

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Fakten:
47 Ronin
USA. 2013. Regie: Carl Rinsch. Buch: Chris Morgan, Hossein Amini. Mit: Keanu Reeves, Hiroyuki Sanada, Rinko Kikuchi, Tadanobu Asano, Min Tanaka, Cary-Hiroyuki-Tagawa, Togo Igawa, Jin Akanishi u.a. Länge: 119 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 5, Juni 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Es war die manipulative Kraft der schwarzen Magie, die den geachteten Lord Asano letztlich dazu bewegen konnte, im Beisein des Shoguns Tsunayoshi das Schwert gegen seinen ewigen Kontrahenten Lord Kira zu erheben. Sein Schicksal und letzter Ausweg lautet schließlich Seppuku, der ehrenvolle, rituelle Selbstmord. Die Hexe, die Asano zu seinem Anschlag auf Kira verführte, stand natürlich selbst unter dem Kommando von Lord Kira und nachdem das Land des Asano nun ohne Herrscher auskommen muss, soll Asanos Tochter auch gleich mit Kira verheiratet werden. Die einstigen Samurai unter Asanos Wort folgen nun dem Weg der Ronin und schmieden unter der Ansage von Oishi unerlaubte Pläne, sich an Kira und seinen zahlreichen Untertanen zu rächen: Die 47 Ronin machen sich bereit für den tapferen Kampf gegen einen eigentlich übermächtigen Gegner und treffen dabei nicht nur auf Widersacher in menschlicher Gestalt...





Meinung:
Dass sich die Traumfabrik gerne an den verschiedensten Mythen und Legenden aus der ganzen Welt vergreift, ist jeher weitreichend bekannt. Dass es der Traumfabrik dabei aber auch nur selten gelingt, sich diesen Mythen und Legenden rechtmäßig anzunehmen und mit dem nötigen Respekt zu behandeln, ist ebenfalls kein Geheimnis. Die japanische Mythologie zum Beispiel ist bereits in sämtliche Hollywoodproduktion eingeflossen und hat zuletzt mit der blutleeren Comic-Adaption „Wolverine – Der Weg des Kriegers“ wieder einmal von ihrer eher enttäuschenden Handhabung der schriftlichen Chroniken Japans bewiesen – Wenngleich sich Hugh Jackman dort in einem modernen Japan wiederfand, den Grundsätzen der Prähistorik aber gleichwohl auf den Leim ging. Ebenso – in diesem Fall ungerechterweise - verschrien wurde Edward Zwick mit seinem dramatischen Epos „Last Samurai“, in dem Tom Cruise als von Schuldgefühlen geplagter Alkoholiker den Verhaltenskodex der Samurai, den Bushidō, kennenlernt und sein Leben nach und nach an diesen anpasst.


-"K, E, A" - "Gut, bald kannst du deinen Namen schreiben"
Im Prinzip spricht nichts dagegen, auch mal eine andere Kultur zu thematisieren, die eben nicht den Gepflogenheiten der eigenen entspricht und einen Nationalmythos auch für die Menschen bekanntzumachen, die nicht schon Schwierigkeiten damit haben, sich mit den Sagen des eigenen Wurzeln selektiv zu arrangieren. Problematisch ist es nur, wenn ein Land es krampfhaft versucht, sich in eine Kultur einzuarbeiten, obwohl sie diese offensichtlich in keiner Weise verstehen kann respektive verstehen möchte. Carl Rinsch muss sich mit seiner Umsetzung der Folkloreerzählung der „47 Ronin“, die für die Bevölkerung Japans mit einem gar astronomischen Wert bestückt ist, genau dieser Prädestination fügen und scheitert mit dem 200 Millionen Dollar-Koloss eigentlich auf ganzer Linie. Natürlich soll das an dieser Stelle nicht bedeuten, dass der bis dato vollkommen unerfahrene Rinsch allein für das Missglücken des potenziellen Blockbusters verantwortlich gemacht werden darf: In „47 Ronin“ versagt man auf zu vielen Positionen, all dass man die Schuld einem Einzelnen zuweisen könnte.


Iron Man im feudalen Japan
Gut, es war von vornherein abzusehen, dass sich „47 Ronin“ nicht strikt an seine parabelhafte Vorlage halten würde, und wie das so mit der Legendenbildung und dem grundsätzlichen Wahrheitspotenzial ist, neigen die Menschen dann und wann auch gerne dazu, die Legende über all die Jahre immer weiter auszuschmücken und auszubauen – Bis zu einem Punkt, an dem das Ganze irgendwie absurd, irgendwie überzeichnet erscheinen könnte. Carl Rinsch und sein Autorenduo Hossein Amini und Chris Morgan ist dieser Punkt aber schlichtweg egal und die Geschichte wird nicht nur mit dem Halbblut Kai (Keanu Reeves) angedickt, welches als plakatives Bindeglied für den nichtasiatischen Zuschauer arbeitet, sondern es werden auch überdimensionale Fantasiekreaturen eingestreut, die die Narration aber nun zu keiner Zeit unterstützt, sie vorantreibt oder in ihrer Zusammensetzung und thematischen Strukturierung eine echte Daseinsberechtigung besitzen. Und selbst ihren Zweck als computergenerierter Schauwert für überquellende Augen im Kinosaal können die Monster nicht gerecht werden, denn dafür sind sie zudem noch äußerst mäßig animiert.


„47 Ronin“ möchte seinen adaptierten Kern in einer seltsam verzwickten Dialektik reflektieren: Erpicht auf Authentizität im Umgang mit seinen Charakteren, entreißt das Drehbuch seinem eigentlichen Hauptdarsteller Kai ziemlich zügig den führenden Rang und lässt ihn keinen der gravierenden Kämpfe austragen, sondern immer im Schatten von Oishi (Hiroyuki Sanada) verblassen. Dass „47 Ronin“ in seiner Vorlage ein wunderbares Sinnbild für die Treue und Ehre der herrenlosen Samurai ist, lässt sich auch in Rinschs Interpretation mühelos verifizieren – es fühlt sich nur nie echt an, auch wenn sich die üppigen Settings hier und da im sinnlichen Farbgewand des Fernen Osten treiben lassen, bleibt „47 Ronin“ in seinen wenigen passablen Augenblicken ein Film für das Auge, aber nicht für das Hirn und schon gar nicht für das Herz. „47 Ronin“ ist lieblos, gefühllos und anstrengend, weil er sich in seiner amerikanisierten Gestaltung viel zu ernst nimmt und den Geist des Nationalmythos nie zu greifen bekommt. Ein artifizielles und sich selbst ständig ausbremsendes (Nicht-)Epos, welches nie genau weiß, in welche Richtung es sich denn nun wirklich entwickeln soll. Nicht mal zu ordentlichem Pathos hat es gereicht!


3 von 10 Hexendrachen


von souli