Review: DER DISKRETE CHARME DER BOURGOUISIE – Smalltalk, Träume und ein ominöser Eumel



Fakten:
Der diskrete Charme der Bourgeoisie (Le charme discret de la bourgeoisie)
Frankreich, Spanien. 1972. Regie: Luis Buñuel. Buch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière. Mit: Fernando Rey, Michel Piccoli, Delphine Seyrig, Stéphane Audran, Jean-Pierre Cassel, Paul Frankeur, Bulle Ogier, Julien Bertheau, Milena Vukotic u.a. Länge: 96 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Eine Gruppe von wohlsituierten Leuten wollen sich zusammenfinden, um gemeinsam ein Dinner zu genießen. Doch was so einfach klingt, entpuppt sich als scheinbar unlösbare Aufgabe. Immer wieder kommt es zu Problemen und Missverständnissen, die das gemeinsame Essen unmöglich machen.




Meinung:
Man muss seine Feinde kennen, um ihre Verhaltensmuster fundiert hinterfragen und die egozentrische Denke mit satirischem Feinsinn enthüllen zu können. Man muss seine Feinde eben regelrecht lieben und sie in gewisser Weise auch ins Herz geschlossen haben, um über den rigorosen Antrieb zu verfügen, der dazu veranlagt, immer und immer wieder gezielte Schüsse in die gleiche Richtung abzufeuern, denn irgendwie gibt ja es genügend Aspekte, denen man sich widmen kann, selbst wenn alles in dem selben Mikrokosmos zu finden ist. Und Luis Buñuel konnte von ausreichend Energiereserven zehren, um seine „liebste“ Gesellschaftsschicht, der Bourgeoisie, wiederholend mit einem exzellent geschriebenen und akzentuierten Drehbuch zu flankieren und ihre Gewohnheiten ohne echte Einschränkungen bloßzustellen.


Gestatten, die Bourgouisie
Natürlich ist es etwas plakativ und undifferenziert ausgedrückt, wenn man verkündet, Luis Buñuel würde eine ausnahmslos feindselige Beziehung mit dem Großbürgertum geführt haben, mit Sicherheit ist das nicht der Fall, Buñuel hingegen war daran interessiert, die Hochnäsigkeit der involvierten Damen und Herren vorzuführen und die blasierten Konventionen der Bourgeoisie gerne als lächerliches Geplänkel über Trivialitäten zu festigen. Die große Kunst in Buñuels Filmen ist die, dass er sich niemals in platten Albernheiten vergisst, in satirischen Grenzüberschreitungen, die letztlich die Kritik an dem verzogenen Gepflogenheiten vernachlässigt, oder im schlimmsten Fall, ganz aus dem Fokus verdrängt. Satire und Groteske, das bedeutet auch die richtige Balance aus Humor und antizipierender Ernsthaftigkeit halten zu können, egal welches der fundamentalen Elemente gerade den stärksten Ausdruck verleiht bekommt – Es muss harmonieren.


Wie man so etwas wirklich meisterhaft bewerkstelligt, beweist der Spanier im (oder gar SEINEM) Meisterwerk „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, bei dem allein der Titel wieder einen herrlich ironischer Schachzug darstellt, denn mit Diskretion hat die distinguierte Runde des Filmes wenig, ja eigentlich rein gar nichts zu tun. Genau diese deklarierte Diskretion könnte daher auch eine dieser bloßen Behauptungen sein, wie sie so aus einem der Munde der Beteiligten zu genüge gehuscht kommen. Man muss dazu sagen, dass Buñuel hier nicht die gesamte Oberschicht über einen Kamm scheren möchte; Buñuel war immer ein Mann, der die Subtilität in seinen Werken gewahrt hat. Die durch seine Filme entstehende Diskussionen aber durchaus in Kauf genommen hat, selbst wenn die Worte des Feuilleton mal etwas harscher gewählt wurden – Ein Abwehrmechanismus könnte man meinen, denn Buñuel wusste wie er gewisse kollektive Persönlichkeitsgattungen entwaffnen konnte.


Rudelbildung a la Bourgeoisie
Die sechsköpfige Gruppe in „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ würde sich gerne so manchen Orden an die Brust tackern, so kultiviert und belesen wie sie sich doch halten, in Wahrheit aber können sie keine dieser elitären Vorgaben wirklich einlösen. Was nicht heißen soll, dass Buñuel seine bunte Truppe zu einem Haufen Hohlköpfen degradiert; Buñuel zeigt nur, dass auch die narzisstische Gesellschaftsebene mit handelsüblichen Wasser kocht und in ihrer Attitüde des Übermenschen sich eigenständig zum Affen machen – Auch wenn sie das natürlich nicht einsehen möchten. Über Smalltalk gehen die Gespräche nie hinaus und wenn es tatsächlich einmal brenzlig, feurig, temperamentvoll zu Werke geht, dann erwacht einer der Protagonisten in seinem Bett und wurde Opfer eines fadenscheinigen Traumes: Willkommen in der gut situierten Monotonie. Eine selbsternannte Freiheit, die doch die meisten Ketten fühlt.


Buñuel verknüpft seine Satire mit einem surrealistischen Unterbau, der das Geschehen immer weiter aus den Zügeln seiner Charaktere gleiten lässt: Realität oder (Alp-)Traum können sich keiner klaren Kategorisierung unterziehen lassen, passen sich Buñuels konzeptioneller, episodenhaft anmutender Strukturierung aber zweifelsohne exzellent an. Darüber hinaus ist „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ ein unheimlich unterhaltsames, unfassbar amüsantes Treiben, ohne den zentralen Denkanstoß zu verachten. Buñuel macht sich lustig über die Bourgeoisie, allerdings ist dieser Hohn argumentativ belegt und visiert nie den Zuschauer selbst an, um ihn in irgendeiner Weise für dumm zu verkaufen. Der Rezipient ist Komplize in einem Spiel, deren nächster Schritt in der eigenwilligen Dramaturgie unvorhersehbar bleibt, die nach Belieben Harken schlägt und keine Scham vor dem kinematographischen Sitte besitzt. Die Bourgeoisie sollte sich in ihrer eingeengten Konservativität ein Beispiel nehmen.


8,5 von 10 Grashalmen im Haar


von souli

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen