Fakten:
Caligula (Caligola)
IT, USA, 1979. Regie: Tinto Brass.
Buch: Gore Vidal, Bob Guccione, Giancarlo Lui. Mit: Malcolm McDowell, Helen
Mirren, Peter O’Toole, Teresa Ann Savoy, John Steiner, Guido Mannari, Paolo
Bonacelli, Anneka Di Lorenzo, Lori Wagner u.a. Länge: ca. 150 Minuten. FSK:
Keine Freigabe. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Im Jahr 37 n. Chr. tötet Caligula
seinen Onkel Tiberius und ernennt sich selbst zum neuen Herrscher Roms. Unter
seiner Regentschaft erreichen die ohnehin schon vorhandene Dekadenz, die Gewalt
und sexuelle Ausschweifungen einen neuen Höhepunkt. Mit den Jahren verfällt er
immer mehr dem Wahnsinn, ruft sich sogar zum Gott aus. Es entwickelt sich ein
Widerstand gegen den Tyrannen.
Meinung:
„Ich bediene mich zwar des Körpers
und der Seele des Gaius Caligula, also bin ich ein Mensch. Und bin doch kein
Mensch. Also muss ich nur eins sein: Nämlich ein Gott!“
Sogenannte Skandalfilme gab es in
der Kinogeschichte immer wieder, dieses meist negativ behaftete Etikett behielten
über die Jahrzehnte aber nur wenige. Oft reichte es gegen damals gängige
Sehgewohnheiten zu verstoßen. Ein vielleicht besonders heikles Tabuthema
anschneiden oder mit dem Status quo von Sex und Gewalt zu brechen. Viele Werke
gelten aus heutiger Sicht eher als harmlos, maximal für ihre Zeit gewagt; das
dort Gezeigte entspricht in seiner expliziten und drastischen Darbietung meist
nicht mal dem, was aktuell gang und gäbe ist. Doch manch speziellen Exemplaren
gelingt es, das Publikum über Generationen hinweg immer wieder in Erstaunen und
Abscheu zu versetzen, etwas kaum Vergleichbares aufzufahren. Wenn ein Film sich
dieses Prädikat verdient hat, dann Tinto Brass‘ kolossales Monstrum „Caligula“.
-"Was zahlen sie dir?" -"Zu wenig, eindeutig zu wenig..." |
"...aber schon schön hier." |
Eigentlich ist es unmöglich, „Caligula“
ernsthaft als guten, gelungen Film zu bezeichnen. Selbst wenn man über den
extremen Selbstzweck des reichlich eingefügten, pornografischen Materials
hinwegsieht, das ganze Ding ist unabhängig davon ein riesiges,
verhackstückeltes Durcheinander. Konfus, brutal, pervers, nicht nur kontrovers
und obszön, sondern bewusst seiner künstlerischen Ambitionen durch
provozierendes Kalkül teilweise beraubt. Und auf eine merkwürdige Art auch
wieder nicht. So etwas gab es vorher nicht und wird es wohl auch nie wieder
geben. Eine bombastische Orgie, der „Ben Hur“ des Schundfilms, verschwenderisch
riesig aufgeblasen und mit seinem grenzüberschreitenden, vor nichts und
niemanden haltmachend Spektakel vielleicht näher dran an dem von Intrigen,
Machthunger, Größenwahn und heute nur noch als viehisch zu betrachtenden
Zustände jener Zeit als jeder andere Film. Hier wird nicht nur mit der Tür ins
Haus gefallen, die ganze Bude wird mit phallischem Gigantismus eingerissen.
Zwischen epischem Müll und unter den Trümmern vergrabener Kunst präsentiert
sich „Caligula“ als schonungslose, politisch-historische Satire, die mit
Ejakulat und Blut kleckert und gleichzeitig mit seinem Pomp und Mut zum
Unzeigbaren klotzt. So trieben es die alten Römer wahrscheinlich wirklich, auch
wenn der Film es natürlich genießt, mit voller Absicht und ohne Rücksicht auf
Verlust die Nadel des guten Geschmacks bis zum Anschlag in den roten Bereich zu
penetrieren.
Faszinierend mit beizuwohnen, wie
in teilweise verschwenderisch tollkühnen Sets mitunter völlig sinnlose Szenen
runtergehobelt werden, während einige in ihrem opulenten Amoklauf einfach nur
beeindruckend sind (die gewaltige Enthauptungsmaschine: „Was würde ich mir nur
für einen Aufwand sparen, wenn ganz Rom nur einen einzigen Hals hätte.“
Sagenhaft!), wieder andere tatsächlich aus einem großen, wichtigen Werk
entsprungen scheinen und sich Weltstars neben Pornosternchen tummeln. Der große,
langsam vor sich hin schimmelnde Peter O’Toole vollbringt bereits eine
unangemessen hervorragende Leistung, doch nichts geht über einen Malcolm
McDowell, der sich voller Inbrunst, sichtlich ungebremst und einmal heiß
gelaufen in Rage spielen darf, da wackeln die Wände. Kaum zu übersehen wie hier
zu viele Köche den Brei mit immer neuen Stilrichtungen geschmacklich komplett
verdorben haben, aber die in den Futtertrog geworfenen Pampe ist definitiv
einzigartig. Es ist kein verkanntes Meisterwerk wie Passolini’s auf den ersten
Blick grob vergleichbares Scheusal „Salò – Die 120 Tage von Sodom“, vielleicht
wollte er es gerne sein. Trotzdem ein Unsittengemälde, dass sich in seinem
radikalen, selbstbewussten und natürlich auch fehlgelenkten Auftreten ein sehr
merkwürdige Form von tiefen Respekt verdient. Kann man mögen oder nicht, beides
aus guten Gründen, aber ein Bild davon machen erweitert definitiv den Horizont.
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