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Review: SHREW'S NEST - Zuhause ist immer noch am schönsten

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Fakten:
Shrew’s Nest (Musarañas)
ES, 2014. Regie: Juanfer Andrés, Esteban Roel. Buch: Juanfer Andrés, Sofía Cuenca. Mit: Macarena Gómez, Nadia de Santiago, Hugo Silva, Luis Tosar, Gracia Olayo, Lucía González, Carolina Bang u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Ab dem 8.1. 2016 auf DVD und Blu-ray erhältlich.

                    
Story:
Spanien in den 50er Jahren: Die streng religiöse Schneiderin Montse hat aufgrund einer schwer ausgeprägten Agoraphobie ihre Wohnung seit Jahren nicht mehr verlassen. Einzige echte Bezugsperson ist ihre 18jährige Schwester, die sie seit dem Tod der Eltern großgezogen hat. Eines Tages liegt ihr Nachbar Carlos aus der Wohnung über ihnen nach einem Treppensturz schwer verletzt vor Montses Tür. Angetrieben von der christlichen Nächstenliebe überwindet sie für einen Moment ihre panischen Ängste, um den Verletzten in ihre Wohnung zu holen. Zunächst dankbar für die Pflege merkt Carlos erst durch die warnenden Worte von Montses Schwester, dass er mehr Gefangener als Gast ist…

                                                                                    
Meinung:
In den letzten 20 Jahren erlebte das spanische Genrekino einen mächtigen Aufschwung, nicht unerheblich vorangetrieben durch den internationalen Erfolg der Filme von Tausendsassa Álex de la Iglesia. Iglesias Beiträge mit ihrem meistens garstigen Humor und einem dezenten Hang zur grotesken Übertreibung (zuletzt „Witching & Bitching“) haben da noch einen Sonderstatus inne, andere Regisseure wie  Jaume Balagueró („[REC]“, „Sleep Tight“), J.A. Bayona („Das Waisenhaus“), Juan Carlos Fresnadillo („Intruders“), Guillem Morales („Julia’s Eyes“) oder Oriol Paulo („The Body – Die Leiche“) haben von Found Footage, Suspense, Mystery, Haunted House bis hin zur Giallo-Hommage etliche Felder beackert und damit über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt. Der spanische Genrefilm lebt (ganz im Gegensatz zu den meist kümmerlichen Versuchen hierzulande) und für die Zukunft scheint gesorgt. Auch Dank Álex de la Iglesia, der als Produzent publikumswirksam mit seinem inzwischen klangvollen Namen neuen Filmemachern den Weg ebnet. In diesem Fall dem Duo Juanfer Andrés und Esteban Roel, die mit ihrem Langfilmdebüt „Shrew’s Nest“ auf dem Sprung nach oben sein dürften. Soviel sei vorab gesagt: Der Film kann sich sehen lassen und macht Lust auf mehr von den Herrschaften.


Hier ist nie Tag der offenen Tür...
Mal wieder ist ein Apartmentkomplex („La Communidad“ und „Sleep Tight“ lassen grüßen) der Handlungsort, diesmal allerdings zum größten Teil beschränkt auf eine Wohnung. In dieser lebt Montse mit ihrer jüngeren Schwester, die sie seit dem Tod der Mutter bei deren Geburt und dem des Vaters während des Kriegs (wir befinden uns zeitlich irgendwann Anfang der 50er) als Elternersatz großgezogen hat. Mit einer behütenden, nicht lieblosen, aber durchaus züchtigenden Hand, dogmatisch verankert im katholischen Glauben. „Die Kleine“ (ihr Name wird nie genannt) – inzwischen 18 Jahre alt – hat sich trotz der schwierigen Bedingungen zu einer lebensfrohen, attraktiven jungen Frau entwickelt, ganz im Gegensatz zu ihrer älteren Schwestern. Denn Montse kennt die Welt da draußen nicht. Seit Jahren hat sie die Wohnung nicht verlassen, leidet an einer extremen Form von Agoraphobie, der Angst vor öffentlichen Plätzen. In ihrem Fall zählt dazu alles, was sich jenseits der Wohnungstürschwelle befindet. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie als Schneiderin, lebt von Hauskundschaft, doch selbst in diesem abgeschotteten Zustand ist sie geplagt von Angstzuständen. Ohne die regelmäßige Versorgung durch eine Stammkundin – einer Arztgattin – mit opiathaltigen Tropfen sind diese kaum in den Griff zu bekommen. Bis eines Tages der Zufall bzw. ein Unfall ihr einen Weg zurück ins Leben öffnet. Ihr schwer verletzter Nachbar bittet nach einem Sturz im Treppenhaus um Hilfe. Angetrieben von ihrem christlichen Verständnis von Nächstenlieben springt Montse kurz über ihren Schatten und lässt ihn in ihren Sarg, wie sie die heimischen vier Wände selbst nennt.


Beim Ausgehmakeup noch unerfahren
Der bemitleidenswerte Unglücksrabe namens Carlos – selbst für den Zuschauer mit einer leicht zwielichtigen Aura behaftet – wird vom ungebetenen, hilfebedürftigen Gast zum Hoffnungsschimmer, Objekt der Begierde und ausgelieferte Geisel, ehe ihm es wirklich gewahr wird. Ein ganz leichter Hauch von Hitchcock weht durch das bestechend fotografierte Beinah-Kammerspiel, bis der ambivalente Suspense-Nebel (etwas zu schnell) aufbricht und dennoch nicht zwingend an Reiz einbüßt. Die Fronten sind eher geklärt als erwartet (oder erhofft), nun wird „Shrew’s Nest“ zur beengten Variation von „Misery“, mit einer entscheidenden Hauptperson mehr, stetig begleitet von den Geistern und Lügen der Vergangenheit, die genau wie Montse die Wohnung nie verlassen werden. Neben der erstaunlich abgebrühten, stilistisch sicheren Regie überzeugt der Film besonders auf darstellerischer Ebene. Bei der überregional bekannten, männlichen Akteuren Hugo Silva und Luis Tosar überrascht das weniger, gerade Nadia de Santiago als „Die Kleine“ und insbesondere Macarena Gómez als Montse spielen groß auf. Gómez kann ihre interessante, weil nicht einfach Rolle perfekt auf den Punkt performen. Zwischen (gefühlt) alter Jungfer, trauriger, überforderte Ersatzmutter, traumatisiertem Opfer und – trotz ihrer Taten – nicht eiskalter Psychopathin, eher ein Opfer ihres Lebens. Worunter andere jetzt leiden müssen. Oder schon immer mussten.


Wenn sich „Shrew’s Nest“ etwas vorwerfen lässt (das dafür relativ deutlich), dann das Auslassen seines Potenzials (wobei wir immer noch über ein Spielfilmdebüt reden, das sollte nicht vernachlässigt werden). In diesem Film stecken exzellente Ansätze, wie die für die Plotentwicklung ausschlaggebende Agoraphobie der Protagonistin, die im Gesamtkontext einer äußerst bittere Note beinhaltet und zeitgleich das Szenario ergänzend zuschnürt, stärker begrenzt, aber in Richtung Finale kaum bis gar keine relevante Berücksichtigung mehr findet. Außer für die erklärende Pointe (die ehrlich gesagt auch nur noch semi-überrascht). Von leichten Logikmängeln (die auch nur Erbsenzählern den Spaß mindern dürften) mal abgesehen, „Shrew’s Nest“ holt aus seiner tragisch-traumatischen Prämisse nicht das Optimum raus, verläuft sich in einem leicht konventionellen Finale, versäumt den ganz cleveren Höhepunkt. Trotzdem ist das ein toll inszenierter, bemerkenswerter Film, dem nur die entscheidende Garnierung fehlt. Schon jetzt (da deutscher Heimkinostart erst diese Woche) ein Geheimtipp für 2016, eventuell in Top-Ten-Nähe, wir werden sehen. 

7 von 10 giftigen Spitzmäusen

Review: MOON – Die dunkle Seite des Mondes!

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Fakten:
Moon
UK, 2009. Regie: Duncan Jones.
Buch: Nathan Parker. Mit: Sam Rockwell, Kevin Spacey, Dominique McElligott, Kaya Scodelario, Benedict Wong u.a. Länge: 96 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
In naher Zukunft dient auf dem Mond abgebautes Helium-3 als entscheidender Energieträger auf der Erde. Sam Bell arbeitet als Astronaut und Wartungskraft auf einer zu diesem Zweck errichteten Mondbasis und wird dabei lediglich durch eine künstliche Intelligenz unterstützt. Kurz vor der Erfüllung seines 3-Jahres Vertrages baut seine psychische Belastbarkeit aber immer mehr ab, die direkte Kommunikation zur Erde ist nicht möglich und er leidet an Halluzinationen. Als er nach einem Unfall von seinem eigenen Klon gerettet wird, zweifelt Sam an sich selbst und seiner Realität.





Meinung:
Der in London geborene Regisseur Duncan Jones, der vor seinem Langfilmdebüt wohl in erster Linie dafür bekannt war der Sohn des Rockstars David Bowie zu sein, lieferte 2009 mit „Moon“ eine kleine, aber sehr feine Low-Budget Produktion ab. In 33 Tagen abgedreht spielte der Film nach seinem Überraschungserfolg am Sundance Filmfestival knapp 10 Millionen Dollar ein, was dem Doppelten seiner Produktionskosten entspricht. Von den niedrigen Produktionskosten ist im fertigen Film jedoch wenig zu spüren, optisch steht der Film Sci-Fi Hingucker der letzten Jahre (beispielsweise „Gravity“) in nichts nach und auch beim Cast findet man prominente Namen. Wobei der Begriff Cast etwas übertrieben wirkt, denn der einzige Schauspieler, der wirklich einen Auftritt hat ist Sam Rockwell. Dafür sieht man ihn teilweise sogar in dreifacher Ausführung und wer sich die Originalversion zu Gemüte führt bekommt außerdem Kevin Spacey als Stimme der künstlichen Intelligenz GERTY.


Lunare Lethargie
Einen Preis für Kreativität gewinnt „Moon“ auf jeden Fall nicht, soviel dürfte jedem klar sein, der in seinem Leben auch nur eine handvoll Klassiker des Sci-Fi Genres gesehen hat. Neben zahlreichen Einflüssen schwebt vor allem ein Film über der Produktion, Kubricks „2001“. Man kann nun hinterfragen bei welchem Genrestreifen das nicht der Fall ist, Kubricks Meisterwerk ist nun mal ein dermaßen stilprägendes und essentielles Werk, das es die Sprache des Genres nachhaltig verändert hat. Außerdem ist „Moon“ alles andere als ein billiger Abklatsch, vielmehr zitiert er seine Vorbilder auf eine liebevolle Weise, greift Teilaspekte respektvoll auf und erweitert diese dann mit eigenen Ansätzen. Erneut steht die Frage nach der menschlichen Identität allgegenwärtig im Raum. Dabei erweitert der Film die übliche Beziehung zwischen Mensch und Maschine (sprich künstliche Intelligenz) nämlich um eine dritte Komponente, den Klon. Interessant ist vor allem die künstliche Intelligenz GERTY, die durch einen kleinen Display seine Stimmung in Form eines Smileys visualisiert. Schon zu Beginn wirkt sein Grinsen etwas zu übertrieben, der lachende Smiley wirkt zynisch und scheint Sam zu verspotten.


Der Blick hinauf zu den Sternen
Man kann „Moon“ guten Gewissens einen minimalistischen Film nennen. Große Teile spielen sich in der Mondbasis ab und werden lediglich durch kurze Abstecher auf die Oberfläche des Planeten ergänzt. Hier kann der Film durch eine sehr gelungene Optik punkten. Alle Elemente wirken stimmig, die sterile Basis wird durch zahlreiche persönliche Elemente erweitert und erweckt dadurch einen sehr realistischen Eindruck. Außerdem verleihen sie den einzelnen Räumen so einen gewissen Wiedererkennungswert und liefern dadurch eine optimale Kulisse für die kammerspielartige Erzählung in deren Zentrum Sam Rockwell steht. Der liefert nämlich eine grandiose One-Man-Show ab, in vielen Szenen ist er sogar in zweifacher Ausführung zu sehen, denn die Interaktion von Sam und seinem vermeintlichen Klon nimmt einen großen Stellenwert ein. Von der Annäherung über Konflikte und Diskussionen bis hin zum gegenseitigen Verständnis ist das Verhältnis der beiden stets nachvollziehbar und wirkt dadurch sehr natürlich. „Moon“ spielt mit der Erwartungshaltung seiner Zuschauer, der vermutet hinter der künstlichen Intelligenz und dem „anderen“ Sam nämlich zunächst einen Feind. Das Schöne ist aber, dass es letztlich überhaupt keinen direkten Feind gibt und das Zweifeln und Hadern mit der eigenen Identität das wirkliche Hindernis des Films darstellt.


Was Duncan Jones mit seinem Spielfilmdebüt „Moon“ abgeliefert hat ist nicht weniger als einer der besten Science-Fiction Filme der letzten 15 Jahre. Ein kammerspielartiges Drama, das sich zu großen Teilen im Kopf der Zuschauer abspielt und dadurch auch noch lange nach dem Abspann zum Nachdenken anregt. Der Film strotzt zwar nicht vor Kreativität, erweitert die Frage nach der menschlichen Identität aber um eine interessante Komponente und beleuchtet das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Nicht nur für Genrefans eine Empfehlung.


8 von 10 Frisuren von einem Roboter


von Vitellone

Review: DIE MUSE - Erfolg erfordert Opfer

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Fakten:
Die Muse
BRD, AT, 2011. Regie & Buch: Christian Genzel. Mit: Thomas Limpinsel, Henriette Müller, Jean-Luc Julien, Peter O. Kellerer u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Als Video on Demand erhältlich.


Story:
Im Parkhaus wird Katja hinterrücks von einem Mann betäubt. Sie erwacht in einem selbstgebauten Verlies im Keller seines Hauses. Der Mann, der sich ihr als Peter Fischer vorstellt, hat allerdings keine finanziellen, sexuellen oder sonst gängige Motive für die Entführung. Er ist Schriftsteller und hat Katja als Muse für sein neuestes Werk auserkoren. Warum, erfährt sie zunächst nicht. Durch ihre Anwesenheit erhofft er sich die nötige Inspiration, um sein längst überfälliges Buch endlich zu beenden.




Meinung:
„Die Muse“ ist das Spielfilmdebüt des in Österreich lebenden, ursprünglich aus Kassel stammenden Regisseurs und Autors Christian Genzel, der zuvor lediglich einige Kurzfilme inszenierte. Bereits 2011 fertiggestellt ist der Film seit kurzer Zeit als Video on Demand erhältlich und somit erstmals für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Solch einheimische Independent-Filme, gerade mit Genrehintergrund, haben es oftmals nicht leicht. Im Kino ist dafür kein Platz, selbst ein Lichtblick wie Andreas Marshall’s liebevolle Giallo-Hommage „Masks“ erschien erst mit deutlicher Verspätung überhaupt auf DVD. Absurd: Im Gegenzug wird dafür (allerdings mit einem Studio wie Warner Brothers und sinnloser 3D-Konvertierung im Rücken) so unzumutbarer Schrott wie der Funkturm-Grusel-Heuler „Lost Place“ bundesweit über die Leinwände gejagt. Unfair geht die Welt zugrunde, gerade im Filmgeschäft. Um nicht zu sehr abzuschweifen: „Die Muse“ ist immerhin einer dieser Filme, von denen wir hierzulande – ganz grundsätzlich – viel zu wenige haben. Genrekino, was fast jede halbwegs ernstzunehmende Filmnation pflegt, nur wir halt nicht.


Kaum Auslauf, aber Einzelzelle. Immerhin.
Um nicht falsche Erwartungshaltungen zu wecken: „Die Muse“ ist zwar Genre, allerdings nicht aus der Horrorecke. Da schrillen meist eh die Alarmglocken, bedenkt man die Auswürfe von Billig-Filmern wie Olaf Ittenbach oder Uwe Boll-Kronprinz Marcel Walz („Plastic Surgery Massacre“), der jüngst sogar mit dem Sequel zu „Seed“ direkt in dessen Fußstapfen treten durfte. Von so einer Grütze ist Genzel schon rein technisch um Lichtjahre entfernt, worauf noch näher eingegangen wird. Ein Kammerspiel-artiger Psychothriller, bald mehr Psychodrama, dessen Prämisse eine Art Seitenwechsel zu der Stephen King Verfilmung „Misery“ darstellt. Damals wurde ein Schriftsteller zur Geisel einer krankhaften Verehrerin und musste unter deren strenger Regie sein Werk nach ihrem Gusto vollenden. Nun gerät eine junge Frau in die Fänge eines Autors, der nur durch ihre unfreiwillige Anwesenheit sich die Inspiration verspricht, um sein ersehntes Meisterstück zu Papier zu bringen. Gar kein schlechter Ansatz, vor allem wie Genzel das angeht. Statt eines offensiv zur Schau gestelltem, extrovertierten Folterknechts mit Dachschaden in fetten Lettern auf die Stirn getackert, präsentiert er seinen Kidnapper als unscheinbaren, beunruhigend sanften Mann aus der Nachbarschaft, der lange nur durch seine eigentliches Vorhaben, weniger durch seine menschliche Präsenz wie ein gefährlicher, gestörter Geist wirkt. Thomas Limpinsel gelingt eine wohl dosierte, meist relativ glaubwürdige Darstellung, kann besonders in den Momenten punkten, in denen man als Zuschauer mehr über seine Figur und deren Innenleben erfährt. Hinter dem erst nur als schlicht geisteskrank einzustufenden Kerl steckt eine Geschichte, ein Leben voller Rückschläge, Zurückweisungen, Enttäuschungen, ambitionierter Ziele und der harten Realität, die ihn immer dann einholt, wenn Zahltag ist.


Klingt alles überdurchschnittlich hintergründig und interessant nuanciert, zumindest Letzteres lässt sich nicht gänzlich verleugnen. Den Willen und Ansatz lässt „Die Muse“ deutlich erkennen, die Gratwanderung zwischen Thriller und Drama gelingt ihm – trotz aller Bemühungen – leider nicht im befriedigenden Maße. Als Drama ist es dann doch letztendlich viel zu oberflächlich, kratzt interessante Ideen an, vollendet sie jedoch nicht. Als Thriller bietet er viel zu wenig Drive, speziell im teilweise arg gestreckten Mittelteil, und dann dort eben nichts, was überrascht, übermäßig die Nerven strapaziert oder nicht anderswo schon deutlich besser verkauft wurde. Hoffnung auf den entscheidenden Kick am Ende – womit nicht zwangsläufig der heute fast obligatorischer Twist gemeint ist – bleiben verwehrt, die eigentlich wohl als leicht perfide erdachte Schlusspointe kitzelt auch nicht richtig. Insgesamt enthält „Die Muse“ erstaunlich viel Potenzial, weiß dieses jedoch nicht richtig zu nutzen. Auf weitere Arbeiten von Christian Genzel darf man trotzdem gespannt sein, denn für einen Low-Budget-Debüt-Film hat das handwerklich alles Hand und Fuß. In der Hinsicht lässt sich dem nichts vorwerfen, kein aufwendiger produzierter TV- (und teilweise sogar Kino)Film sieht viel besser aus, Talent hat der Mann ohne Frage. Sicher auch das Engagement, nur zünden seine Ansätze hier leider noch nicht. Aller Anfang ist schwer, nur hier sieht man definitiv, dass noch Luft nach oben ist. Wer kann das von Marcel Walz und Kumpanen behaupten?

4,5 von 10 potenziellen Bestsellern

Review: DER GOTT DES GEMETZELS – Die Maskerade der Großstädter

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Fakten:
Der Gott des Gemetzels (Carnage)
Frankreich, BRD, Polen. Regie: Roman Polanski. Buch: Roman Polanski, Yasmina Reza (Vorlage). Mit: Kate Winslet, Christoph Waltz, Jodie Foster, John C. Reilly, Elvis Polanski u.a. Länge: 80 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Nachdem es zwischen zwei Schuljungs zu einer Schlägerei gekommen ist, bei der einer der Jungen den anderen mit einem Stock angriff, treffen sich die Eltern der beiden Streithähne für ein klärendes Gespräch. Doch aus dem gesitteten Zusammentreffen wird rasch ein Gipfeltreffen aus Anschuldigungen, Wut und brutaler Wahrheit.





Meinung:
Roman Polanski ist ein Meister wenn es darum geht, einen Szenerie mit klaustrophobischer Suggestion auszubauen und den Zuschauer mit der räumlichen, wie auch der seelischen Beengtheit seiner Protagonisten zu konfrontieren. Man denke dabei nur an seine inoffizielle Apartment-Trilogie („Rosemary's Baby“, „Ekel“, „Der Mieter“) oder sein famoses Drei-Mann-Kammerspiel „Der Tod und das Mädchen“, in dem er sowohl Sigourney Weaver als auch Ben Kingsley zu berauschenden Höchstleistungen treiben konnte. Aus diesen – oftmals minimalistischen Sets – spricht eine deutliche Liebe zum Theater, die sich dann doch immer wieder in ihrer schieren Wirkung den Direktiven des Kinos unterordneten. Mit der Adaption des französischen Theaterstückes „Der Gott des Gemetzels“ ist das (wie auch seinem letzten Film „Venus im Pelz“) von Grund auf anders. Roman Polanski nämlich lässt es sich nicht nehmen – und darin kennt er keine Ausflüchte – sein „Der Gott des Gemetzels“ wie ein direkt von der Bühne auf die Leinwand projiziertes Werk aussehen zu lassen.


Jeder braucht ein Hobby
Aber nicht falsch verstehen: Das ist in diesem Fall gewiss kein Nachteil, ist „Der Gott des Gemetzels“ doch so stringent auf sein Schauspielquartett fokussiert, in dem er gleichwohl das New Yorker Apartment vollständig in Totalen ausreizt, dass es beinahe unmöglich wäre, diesen Film NICHT wie ein 'abgefilmtes Theaterstück' daherkommen zu lassen. Ausgangslage für „Der Gott des Gemetzels“ ist eine Ausschreitung zwischen zwei Kindern im Brooklyn Bridge Park, die damit endet, dass der Sohn der Cowans dem Sohn der Longstreets mit einem Stock zwei Zähne ausgebrochen hat. Die Cowans, das sind Nancy (Kate Winslet, „Little Children“) und Alan (Christoph Waltz, „Inglourious Basterds“), erklären sich – wie es sich für zivilisierte Leute geziemt – kompromissbereit und treffen sich in der Wohnung von Penelope (Jodie Foster, „Taxi Driver“) und Michael (John C. Reilly, „Magnolia“). Der gemeinsame Nenner ist schnell gefunden und beide Elternpaare sind der Meinung, dass es zu einer gepflegten Aussprache der beiden minderjährigen Streithähne kommen sollte. Als Nancy und Alan auch schon fast wieder aus der Tür sind, wird den beiden ein Stück des selbstgebackenen Apfel-Birnen-Cobbler angeboten und das Kaffeekränzchen beginnt.


 
Noch wird die Friedensverhandlung akkurat und ruhig durchgeführt
Jedoch bleibt es nicht beim gesitteten Austausch, und wo von allen Seiten schon zu Anfang kleinere verbale Nadelstiche gesetzt werden, zeigt die so auf Diskretion erpichte Fassade der vier New Yorker nach und nach immer tiefere Risse. Anstatt die Konflikte aus dem Weg zu räumen, werden neue entfacht, während erst paarweise in den Kampf gezogen wird, bilden sich auch langsam neue Allianzen, die den Idealismus der Charaktere gekonnt auf den Kopf stellen und sie dahingehend entlarven, dass eigentlich nichts den wahren Empfinden entspricht, was von den vier Anwesenden im Laufe der Zeit gesagt wurde. „Der Gott des Gemetzels“ ist dabei sowohl Sittendrama, als auch Geschlechterkampf und Realsatire. Penelope fährt die moralische Schiene, spannt ihren Ehemann Michael in ihre persönliche Ideologie, während Alan, der als Anwalt einen Pharmakonzern vertreten muss, überwiegend seinen Senf in Form von lakonischen Spitzen zu den Gesprächen beigibt, ist die um Contenance bemühte Nancy die erste, die auch physisch auseinanderfällt, in dem sie schwallartig auf den Tisch der Longstreets erbricht.


Spätestens dann wird mit offenem Visier zur Tat geschritten: Die Fronten verschieben sich, es gibt keine Chancen auf ein Refugium – Nicht für die Charaktere, nicht für den Zuschauer. Der Dialog über Vergebung und Reue wechselt zum expressiven Streit, gesäumt aus Selbstlügen und Kampfansagen, in dem es letztlich einzig und allein um die gesellschaftliche Bestätigung geht. „Der Gott des Gemetzels“ ist kein Psychogramm, er schaufelt keine Abgründe frei, doch so spitzfindig und intelligent konnte man selten Teil einer akkuraten Charakterisierung der verlogenen und egomanischen Großstädter werden. Die brillanten Dialogsequenzen, gestärkt durch scharfzüngige Bonmots der Extraklasse, destruieren Rollenbilder und entschleiern das kultivierte Schwadronieren als bloße Pose - Selbstbeweihräucherung. „Der Gott des Gemetzels“ ist ein großer Tanz, katalytisch angefeuert von aufgeblasenen Tiraden, der nach und nach immer näher an den tatsächlichen Kern der individuellen Geisteshaltung herankommt. Dabei gibt es große Gesten, die bis in die letzte Reihe reichen, theatralische Ausuferungen, aber eben auch viel Wahrheit, die von Polanski beinahe pedantisch exakt ineinander montiert wurden.


8 von 10 Dosen warme Cola


von souli