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Review: SHREW'S NEST - Zuhause ist immer noch am schönsten

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Fakten:
Shrew’s Nest (Musarañas)
ES, 2014. Regie: Juanfer Andrés, Esteban Roel. Buch: Juanfer Andrés, Sofía Cuenca. Mit: Macarena Gómez, Nadia de Santiago, Hugo Silva, Luis Tosar, Gracia Olayo, Lucía González, Carolina Bang u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Ab dem 8.1. 2016 auf DVD und Blu-ray erhältlich.

                    
Story:
Spanien in den 50er Jahren: Die streng religiöse Schneiderin Montse hat aufgrund einer schwer ausgeprägten Agoraphobie ihre Wohnung seit Jahren nicht mehr verlassen. Einzige echte Bezugsperson ist ihre 18jährige Schwester, die sie seit dem Tod der Eltern großgezogen hat. Eines Tages liegt ihr Nachbar Carlos aus der Wohnung über ihnen nach einem Treppensturz schwer verletzt vor Montses Tür. Angetrieben von der christlichen Nächstenliebe überwindet sie für einen Moment ihre panischen Ängste, um den Verletzten in ihre Wohnung zu holen. Zunächst dankbar für die Pflege merkt Carlos erst durch die warnenden Worte von Montses Schwester, dass er mehr Gefangener als Gast ist…

                                                                                    
Meinung:
In den letzten 20 Jahren erlebte das spanische Genrekino einen mächtigen Aufschwung, nicht unerheblich vorangetrieben durch den internationalen Erfolg der Filme von Tausendsassa Álex de la Iglesia. Iglesias Beiträge mit ihrem meistens garstigen Humor und einem dezenten Hang zur grotesken Übertreibung (zuletzt „Witching & Bitching“) haben da noch einen Sonderstatus inne, andere Regisseure wie  Jaume Balagueró („[REC]“, „Sleep Tight“), J.A. Bayona („Das Waisenhaus“), Juan Carlos Fresnadillo („Intruders“), Guillem Morales („Julia’s Eyes“) oder Oriol Paulo („The Body – Die Leiche“) haben von Found Footage, Suspense, Mystery, Haunted House bis hin zur Giallo-Hommage etliche Felder beackert und damit über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt. Der spanische Genrefilm lebt (ganz im Gegensatz zu den meist kümmerlichen Versuchen hierzulande) und für die Zukunft scheint gesorgt. Auch Dank Álex de la Iglesia, der als Produzent publikumswirksam mit seinem inzwischen klangvollen Namen neuen Filmemachern den Weg ebnet. In diesem Fall dem Duo Juanfer Andrés und Esteban Roel, die mit ihrem Langfilmdebüt „Shrew’s Nest“ auf dem Sprung nach oben sein dürften. Soviel sei vorab gesagt: Der Film kann sich sehen lassen und macht Lust auf mehr von den Herrschaften.


Hier ist nie Tag der offenen Tür...
Mal wieder ist ein Apartmentkomplex („La Communidad“ und „Sleep Tight“ lassen grüßen) der Handlungsort, diesmal allerdings zum größten Teil beschränkt auf eine Wohnung. In dieser lebt Montse mit ihrer jüngeren Schwester, die sie seit dem Tod der Mutter bei deren Geburt und dem des Vaters während des Kriegs (wir befinden uns zeitlich irgendwann Anfang der 50er) als Elternersatz großgezogen hat. Mit einer behütenden, nicht lieblosen, aber durchaus züchtigenden Hand, dogmatisch verankert im katholischen Glauben. „Die Kleine“ (ihr Name wird nie genannt) – inzwischen 18 Jahre alt – hat sich trotz der schwierigen Bedingungen zu einer lebensfrohen, attraktiven jungen Frau entwickelt, ganz im Gegensatz zu ihrer älteren Schwestern. Denn Montse kennt die Welt da draußen nicht. Seit Jahren hat sie die Wohnung nicht verlassen, leidet an einer extremen Form von Agoraphobie, der Angst vor öffentlichen Plätzen. In ihrem Fall zählt dazu alles, was sich jenseits der Wohnungstürschwelle befindet. Ihren Lebensunterhalt bestreitet sie als Schneiderin, lebt von Hauskundschaft, doch selbst in diesem abgeschotteten Zustand ist sie geplagt von Angstzuständen. Ohne die regelmäßige Versorgung durch eine Stammkundin – einer Arztgattin – mit opiathaltigen Tropfen sind diese kaum in den Griff zu bekommen. Bis eines Tages der Zufall bzw. ein Unfall ihr einen Weg zurück ins Leben öffnet. Ihr schwer verletzter Nachbar bittet nach einem Sturz im Treppenhaus um Hilfe. Angetrieben von ihrem christlichen Verständnis von Nächstenlieben springt Montse kurz über ihren Schatten und lässt ihn in ihren Sarg, wie sie die heimischen vier Wände selbst nennt.


Beim Ausgehmakeup noch unerfahren
Der bemitleidenswerte Unglücksrabe namens Carlos – selbst für den Zuschauer mit einer leicht zwielichtigen Aura behaftet – wird vom ungebetenen, hilfebedürftigen Gast zum Hoffnungsschimmer, Objekt der Begierde und ausgelieferte Geisel, ehe ihm es wirklich gewahr wird. Ein ganz leichter Hauch von Hitchcock weht durch das bestechend fotografierte Beinah-Kammerspiel, bis der ambivalente Suspense-Nebel (etwas zu schnell) aufbricht und dennoch nicht zwingend an Reiz einbüßt. Die Fronten sind eher geklärt als erwartet (oder erhofft), nun wird „Shrew’s Nest“ zur beengten Variation von „Misery“, mit einer entscheidenden Hauptperson mehr, stetig begleitet von den Geistern und Lügen der Vergangenheit, die genau wie Montse die Wohnung nie verlassen werden. Neben der erstaunlich abgebrühten, stilistisch sicheren Regie überzeugt der Film besonders auf darstellerischer Ebene. Bei der überregional bekannten, männlichen Akteuren Hugo Silva und Luis Tosar überrascht das weniger, gerade Nadia de Santiago als „Die Kleine“ und insbesondere Macarena Gómez als Montse spielen groß auf. Gómez kann ihre interessante, weil nicht einfach Rolle perfekt auf den Punkt performen. Zwischen (gefühlt) alter Jungfer, trauriger, überforderte Ersatzmutter, traumatisiertem Opfer und – trotz ihrer Taten – nicht eiskalter Psychopathin, eher ein Opfer ihres Lebens. Worunter andere jetzt leiden müssen. Oder schon immer mussten.


Wenn sich „Shrew’s Nest“ etwas vorwerfen lässt (das dafür relativ deutlich), dann das Auslassen seines Potenzials (wobei wir immer noch über ein Spielfilmdebüt reden, das sollte nicht vernachlässigt werden). In diesem Film stecken exzellente Ansätze, wie die für die Plotentwicklung ausschlaggebende Agoraphobie der Protagonistin, die im Gesamtkontext einer äußerst bittere Note beinhaltet und zeitgleich das Szenario ergänzend zuschnürt, stärker begrenzt, aber in Richtung Finale kaum bis gar keine relevante Berücksichtigung mehr findet. Außer für die erklärende Pointe (die ehrlich gesagt auch nur noch semi-überrascht). Von leichten Logikmängeln (die auch nur Erbsenzählern den Spaß mindern dürften) mal abgesehen, „Shrew’s Nest“ holt aus seiner tragisch-traumatischen Prämisse nicht das Optimum raus, verläuft sich in einem leicht konventionellen Finale, versäumt den ganz cleveren Höhepunkt. Trotzdem ist das ein toll inszenierter, bemerkenswerter Film, dem nur die entscheidende Garnierung fehlt. Schon jetzt (da deutscher Heimkinostart erst diese Woche) ein Geheimtipp für 2016, eventuell in Top-Ten-Nähe, wir werden sehen. 

7 von 10 giftigen Spitzmäusen

Review: WITCHING & BITCHING - Nichts als Ärger mit den Weibern

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Fakten:
Witching & Bitching (Las brujas de Zugarramurdi)
ES, FR, 2013. Regie: Álex de la Iglesia. Buch: Jorge Guerricaechevarria, Álex de la Iglesia. Mit: Hugo Silva, Mario Casas, Carmen Maura, Pepón Nieto, Carolina Bang, Terele Pávez, Jaime Ordónez, Gabriel Angel Delgado, Santiago Segura, Macarena Gómez, Secun de la Rosa, Javier Botet, Enrique Villén u.a. Länge: 114 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
José ist der Anführer einer aus der Not geborenen Räuberbande. Als Straßenkünstler getarnt landen sie einen spektakulären Coup und erbeuten einen großen Schmuckschatz. Doch ihre Flucht steht unter keinem guten Stern: Auf dem Weg nach Frankreich passieren sie die in Navarre gelegene Stadt Zugarramurdi. Die Stadt ist fest in den Händen eines Hexenkults, der just einen Sabbat abhält. Angesichts der Horde von Hexen ist die José und Co. verfolgende Polizei nun noch das geringste Problem…






Meinung:
Wenn ein silberner Christus, ein menschlicher Spielzeugsoldat, Mini Maus, SpongeBob, der Unsichtbare und ein kleiner Junge, der eigentlich seine Hausaufgaben machen sollte, einen Schmuckhändler ausrauben, sich eine blutige Schießerei mit der Polizei liefern und bei ihrer Flucht mit einem entführten Taxi mitten in einem Hexensabbat geraten, können dafür eigentlich nur Robert Rodriguez (dessen „From Dusk Till Dawn“ ganz leicht Pate stand) oder eben Spaniens Enfant terrible Álex de la Iglesia verantwortlich sein.


Niemand verarscht Jesus!
Das ist anfangs nicht weniger rasant, turbulent und unterhaltsam wie sich anhört. Der furiose Auftakt schürt die Hoffnung, dass sich Kindskopf Iglesia hier ähnlich hemmungslos und stilsicher geschmacksbefreit austoben wird wie bei seinem letzten Werk, dem bewusst polarisierenden Vorschlaghammer „Mad Circus“, der in seiner rabiaten Zügellosigkeit wohl das bisher beste Werk des unberechenbaren Spaniers darstellte. Diese Erwartungen kann sein neuester Streich „Witching & Bitching (ähnlich „sinnvoll übersetzt“ wie schon „Mad Circus“) im weiteren Verlauf leider nicht gänzlich erfüllen. Wie immer bei Iglesia und seinem Stamm-Co-Autor Jorge Guerricaechevarria werden eine gute Grundidee und zahlreiche nette Einfälle zusammengeschmissen, können dabei jedoch kein rundum stimmiges Skript ergeben. Besonders ihr Hang zu Albernheiten und dem fehlenden Gespür, wann man lieber mal gezielt auf den Punkt kommen sollte, wird ihnen gelegentlich zum Verhängnis. Altbekannte Probleme der Herren, die hier zu deutlich sichtbar sind.


"Erst noch eine Folge Bibi Blocksberg, dann gehts auf die Jagd."
Mit seinen 114 Minuten ist „Witching & Bitching“ nicht nur schlicht viel zu lang und zieht sich somit im Mittelteil stellenweise arg, er verpasst einfach oft den perfekten Zeitpunkt, um knackig ins Ziel zu kommen. Der Humor schwankt zwischen ganz lustig, nervtötent und unpassend kindisch (die beiden Polizisten, deren Zickerein untereinander nicht mal ein müdes Lächeln erzeugen können), schafft nur ganz selten dieses bösartige Niveau, was Iglesia in seinen besten Filmen auszeichnete. Im ausgiebigen Schlussspurt zieht das Tempo wieder drastisch an, das hektische Treiben erreicht dann allerdings schnell einen Punkt, der des Guten einfach zu viel ist. Der Gedanke, einen überdrehten Geschlechterkrieg zwischen südländischen Chauvis und mehr als emanzipierten Teufelsweibern in einem wilden Genre-Mix auf die wenig subtile Spitze zu treiben (inklusive einem Peter-Jackson-Gedächtnis-Finale) ist einerseits herrlich ruppig, andererseits schon extrem an der Grenze zum ausufernden Blödsinn. Feintuning ist nicht das Ding von Iglesia, der selbst seine Fans hier mit seinem teilweise pubertären Verständnis von Humor droht zu verschrecken.


Deutliche Kritikpunkte, die ganz klar stellen sollten: Wer mit dem Mann bisher wenig anfangen konnte, sollte einen großen Bogen um „Witching & Bitching“ machen. Der Rest sollte aber durchaus einen Blick riskieren, denn wenn man Iglesia eines zusprechen kann, dann Leidenschaft, Kreativität und Spaß an der Sache. Trotz Hängern und Rohrkrepierern, sein Hexenzirkus ist durchaus einfallsreich, zitiert gerne und ausgiebig aus dem okkulten Genre und versprüht diesen überdrehten Charme, den jeden seiner Filme auszeichnet. Dazu erstaunlich gut getrickst und mit spielfreudigen Darstellern besetzt, die über so manche Problemchen hinwegtäuschen können, wenn auch nicht durchgehend. Am Ende hätte man sich sicher mehr erwartet, aber wer bei Iglesia etwas voraussetzt, ist selber schuld. Dafür ist er zu wenig 08/15. Und das ist gut so.

6 von 10 Fingern im Schlafrock.

Review: EIN FERPEKTES VERBRECHEN - Nobody is ferpect

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Fakten:
Ein ferpektes Verbrechen (Crimen ferpecto)
ES, IT, 2004. Regie: Álex de la Iglesia. Buch: Jorge Guerricaechevarria, Álex de la Iglesia. Mit: Guillermo Toledo, Mónica Cervera, Luis Varela, Enrique Villén, Fernando Tejero, Kira Miró, Rosario Pardo, Gracia Olayo, Penélope Velasco u.a. Länge: 99 Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.



Story:
Rafael ist nicht nur der beste Verkäufer in der Damenmodeabteilung eines grossen Kaufhauses, er ist ein Narzist, ein Riesenarschloch und der grösste Hengst weit und breit. Keine der hübschen Kolleginnen hat er noch nicht vernascht...nur die unscheinbare Lourdes schmachtet vergeblich seit 10 Jahren nach ihm. Als nicht er, sondern sein Konkurrent Don Antonio zum Abteilungsleiter ernannt wird, bricht seine Ego-Welt zusammen. Don Antonio will ihn sogar feuern, es kommt zu einer Auseinandersetzung...und plötzlich hängt Don Antonio am Kleiderhaken, mausetot. Lourdes hat alles mitangesehen, aber verpfeifen will sie ihren Rafael nicht. Im Gegenteil, sie hilft ihm bei der Beseitigung der Leiche. Das hat jedoch seinen Preis. Rafael muss ihr nun hörig sein, monatelang muss er als ihr Lover herhalten, bis ihm irgendwann klar ist, es gibt nur einen Ausweg: Die Alte muss weg!


                                                                                                     



                                                           

Meinung:
Fotogen ist anders
Iglesia voll in seinem Element. Wie immer dürfen die Figuren des irren Spaniers gehässig leiden, um uns mit einem bösen Grinsen auf dem Gesicht zu unterhalten. Die Charaktere sind gewohnt überzeichnet wie in einem Cartoon, der Witz extrem böse und kräftig-bissig. Das gibt es bei ihm immer, erfreulicherweise verzettelt er sich diesmal nicht so stark in der Geschichte und albert nicht zu sehr rum, was einigen seiner Filme geschadet hat. "Ein ferpektes Verbrechen" ist natürlich überdreht, tauscht dafür gelegentlich-blöden Klamauk gegen die volle Breitseite Sarkasmus, zitiert und orientiert sich dabei an Klassikern der morbiden Krimikomödie, alles sehr liebevoll und pechschwarz.


Ein ernstes Wort unter Feinden
Iglesia präsentiert und den herrlich widerlichen Rafael (toll: Guillermo Toledo) und lässt ihn durch die Hölle gehen, wenn er plötzlich seiner Hässlichen-Entlein-Kollegin Lourdes ausgeliefert ist. Die schwinkt gerne und kräftig das Hackebeil, will dafür aber auch ordentlich gestopft werden und krempelt Rafaels Wohlfühl-Harem in der Damenmodeabteilung gehörig um ("Die Kundinnen fühlten sich sehr wohl bei uns. Neben den ganzen Missgeburten sahen sie aus wie Grace Kelly."). Spätestens wenn der inzwischen (fast) bemitleidenswerte Stecher zum kuriosen Diner im Schosse der Familie seiner Zukünftigen gebeten wird, dreht Iglesia wunderbar auf. Makaber, boshaft und richtig gallig, ohne seine Geschichte schleifen zu lassen, was ihm sonst gerne passiert. Da ist "Ein ferpektes Verbrechen" nicht unglaublich originell, das braucht er auch gar nicht sein, die Details sind einfach klasse. Verschenkt wird diesmal nichts, dafür schön ausgeteilt. Auch hier wirkt der Regisseur wie ein kleiner Junge mit wilder Fantasie, was ja nichts schlechtes sein muss, siehe Robert Rodriguez, der aber mal nicht den Boden unter den Füssen verliert, sondern seinen Film straight bis zum Ende durchzieht. Ein gewisser Hang zum Quatsch sollte natürlich mitgebracht werden, aber auch für Nicht-Freunde von Iglesia kann "Ein ferpektes Verbrechen" durchaus funktionieren, da es sich ja im Kern um eine klassische Story handelt, die immer wieder gerne angesehen wird.


"Du bist so abgrundtief hässlich Lourdes! Das ist nicht deine Schuld, aber erst recht nicht meine."

Wer so was lustig findet, ist hier einfach richtig. Sehr unterhaltsam und recht derbe, (k)ein Spaß für die ganze Familie.


7 von 10 blutigen Kleiderbügeln

Review: 800 BULLETS - Opa macht ernst

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Fakten:
800 Bullets (800 balas)
ES, 2002. Regie: Álex de la Iglesia. Buch: Jorge Guerricaechevarria, Álex de la Iglesia. Mit: Sancho Gracia, Ángel de Andrés, Carmen Maura, Eusebio Poncela, Luis Castro, Manuel Tallafé, Enrique Martinez, Luciano Federico, Eduardo Gómez, Terele Pávez u.a. Länge: 121 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.

Story:
Der kleine Carlos wächst ohne Vater auf. Was genau mit ihm passiert ist weiß er nicht, nur das er bei einem Unfall ums Leben kam. Dann erfährt er, dass sein Vater zusammen mit seinem Großvater Julián, den er nie kennen gelernt hat, in Western mitgespielt hat. Auf dem Weg zu einer Klassenfahrt verkrümelt sich Carlos und macht sich auf nach Almeria, um seinen Großvater zu finden. In den ehemaligen Filmkulissen von Spaghetti-Western arbeiten Julián und einige andere Saufbolde als Darsteller einer billigen Wild-West-Show und erzählt wehmütig von den Zeiten, als er noch das Stuntdouble von Clint Eastwood war. Julián will von Carlos zunächst nichts wissen, doch der Junge bleibt hartnäckig und wächst seinem knorrigen Opa langsam ans Herz. Als Carlos Mutter Laura ihn ausfindig macht, ist sie stinksauer und will es dem verhassten Ex-Schwiegervater, den sie verantwortlich für den Tod ihres Mannes macht, heimzahlen. Sie sucht eh gerade ein Gelände für einen Freizeitpark und kauft die Westernstadt, um sie abzureißen. Julián und seine Kollegen stehen vor dem Nichts. Sie besorgen sich 800 echte Kugeln und verteidigen ihre "Heimat".

 


Meinung:
Die Idee von Álex de la Iglesia und seinem Stamm-Co-Autor Jorge Guerricaechevarria (ja, der heißt wirklich so und ich muss es jedesmal abschreiben) ist, wie eigentlich immer, sehr interessant. An Einfällen und Kreativität mangelt es den beiden Herrschaften nie, allein deshalb sind die Filme eigentlich immer einen Blick wert. "800 Bullets" macht da keine Ausnahme, Iglesia, über den es sicher geteilte Meinungen gibt, versteht sein Handwerk als Regisseur formal auch absolut. Leider reicht das diesmal nicht ganz für einen klar gelungenen Film.


Die Stärken liegen mal wieder in den Figuren, die von Haus aus zwar überzeichnet, dabei aber auch diesen Charme von Comicfiguren haben. Sie sind liebenswert, sympathisch, gerade weil sie (natürlich) reichlich Ecken und Kanten haben und weit weg von "perfekten" Menschen sind. Das in die Jahre gekommene Ex-Eastwood-Stuntdouble Julián und seine Mannschaft von trinkwütigen Losern muss man einfach gerne haben. Die gesamte Idee, dass diese Möchtegern-Cowboys sich wegen ihrer Existenz nun mit scharfer Munition bewaffnen und zu Besetztern ihrer kleinen, gammeligen Westernstadt werden, hat Potenzial. Iglesias Film hat leider zwei große Probleme:


Western für Rentner in Almeria
1. Er ist zu lang. 121 Minuten klingt schon viel für so eine Geschichte, ist es auch. Grundsätzlich werden die zwei Stunden zwar immer mit irgendwas unterhaltsamen gefüllt, nur das hätte es beileibe nicht gebraucht. Kürzer, straffer würde es wohl besser funktionieren. Speziell das theoretische Finale, also ab dem Punkt, an dem die titelgebenden 800 Kugeln ins Spiel kommen, wäre als zünftig-knackiger Showdown besser gewesen. Das wirkt etwas zu ausgedehnt, was aber bei Iglesia/Guerricaechevarria (wieder abgeschrieben) nicht zum ersten Mal vorkommt. Vergleichbar mit "El dia de la bestia": Fängt gut an, die besten Momente gibt es in der Mitte, ab dann fällt es ab. Das Finale eines Films sollte eigentlich den Höhepunkt bieten, ist hier (schon wieder) nicht so. Da baut der Film leider ab. Zudem wirkt es etwas zu sentimental, aber dazu gleich noch in Punkt 2.

 
Zumindest die Bar ist gefüllt
2. Es jetzt daran fest machen zu wollen, dass ein Kind im Mittelpunkt der Handlung steht, ist vielleicht sehr oberflächlich, aber es ist mit Sicherheit ein Grund dafür: Iglesia ist nicht so böse und verrückt wie sonst. Das ist von daher schädlich, da er immer zu Klamauk neigt, sich das in seinem böse-zynischen Kontext aber sonst nicht negativ äußert. Dem Film fehlt es eindeutig an dieser geschmackvollen Geschmacklosigkeit. Nicht komplett, dass es sich um einen Iglesia handelt ist unverkennbar, aber ein gedrosselter. Richtig Iglesia ist es in der Mitte, die Feier im Saloon. Da wird hemmungslos gesoffen, der kleine Junge begrabbelt die Möpse einer Dirne, während er mit seiner Muttel telefoniert, einer der Darsteller zündet sich an und am nächsten Tag kommen die doofen Touristen, alle liegen im Halbkoma rum und sind sich nicht sicher, ob der Selbstentzünder überhaupt noch lebt. Diese leichte Boshaftigkeit, Durchgeknalltheit fehlt dem zu oft. Schmunzler gibt es immer, auch nette Running Gags wie "den Aufgeknüpften", der dauernd vergessen wird, aber da wäre doch mehr möglich und auch nötig gewesen. Iglesia ist für seine Verhältnisse viel zu brav, beraubt sich quasi selbst einer seiner Stärken. Am Schluss wird es auch unnötig tragisch, was anderen Filmen oft gut tut, nur in einer Iglesia-Bad-Taste-Show ist das schon bald "familientauglich". Das kitscht sogar fast, muss echt nicht sein.


Trotz der Kritikpunkte macht "800 Bullets" Spaß, dafür ist der einfach zu liebevoll, handwerklich und von seiner Grundidee, sowie den einzelnen, kleinen Momenten, viel zu gut gemacht. Nur wird das selbstgeschaffene Potenzial leider klar verschenkt. Freunde von Crazy-Iglesia sollten den trotzdem sehen und auch andere Filmfans werden hier kaum ihre Zeit verschwenden, nur ein Knaller ist es nicht.


Anmerkung: In der letzten Filmszene taucht "Clint Eastwood" auf, Iglesia hatte geplant, dass Clint sich selber spielt. Interesse war sogar da, aber wegen "Mystic River" hatte er einfach keine Zeit. Schade, die Idee (wie so vieles hier) ist nett.

6 von 800...äh, 10 Kugeln

 

Review: EL DIA DE LA BESTIA - Frohe Weihnachten vom Teufel

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Fakten:
El dia de la bestia.
E, 1995. Regie: Álex de la Iglesia. Buch: Jorge Guerricaechevarria, Álex de la Iglesia. Mit: Alex Angulo, Armando De Razza, Santiago Segura, Terele Pávez, Nathalie Sesena, Maria Grazia Cucinotta, Gianni Ippoliti, Saturnio Garcia u.a. Länge: 99 Minuten. FSK: ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD erhältlich.

Story:
Weihnachten steht vor der Tür, doch Pater Cura ist gar nicht in Feierstimmung. Durch jahrelange Studie der Bücher der Apokalypse hat er einen Code entziffert, der die Geburt des Antichristen vorhersagt: In genau zwei Tagen, in der Nacht auf den ersten Weihnachtstag. Er begibt sich nach Madrid, den vermutlichen Geburtsort, um die Menscheit vor der Geburt des teuflischen Sohnemanns zu bewahren. Um in Kontakt mit dem Fürst der Finsternis zu gelangen, sieht er nur eine Möglichkeit: Er muss möglichst schnell, möglichst viele Sünden begehen. Für einen gottesfürchtigen Mann gar nicht so einfach. Seiner Mission schließen sich der naive Plattenverkäufer José Maria und, nicht ganz freiwillig, der schmierig-überhebliche Fernsehmoderator Cavan an. Die Zeit ist knapp und der Zweck heiligt die Mittel.

 

Meinung:
Der zweite Kinofilm vom spanischen Enfant terrible Álex de la Iglesia lebt eindeutig von dem unverkennbaren Herzblut seines Regisseurs und Co-Autors. In diesem Punkt erinnert er irgendwie an Robert Rodriguez, obwohl ihre Filme nicht direkt miteinander vergleichbar sind. Die Parallelen zwischen den Beiden: Sie sind handwerklich enorm talentiert, verfügen über reichlich schräge Ideen und wirken immer wie kleine Jungs, die (zumindest filmisch) nie richtig erwachsen werden wollen. Mit wirklich anspruchsvollem Material wollen sie offensichtlich nichts zu tun haben, toben sich lieber in ihrem Mikrokosmos aus. Bei Iglesia wohl auch besser so, sein Ausflug in das eher konservative Auftragskino ("Oxford Murders") war äußerst bescheiden.


Dieser Film überzeugt auch in erster Linie nicht durch sein ausgefeiltes Skript (was besonders zum Ende hin deutlich wird), dafür durch seinen einzelnen Ideen, seine überzeichneten Figuren und dem Hang zur Geschmacklosigkeit, die sich aber nicht als negativ auszeichnet. Gerade das macht den Charme von "El dia de la bestia" aus, auch wenn sich einige Leute mit Sicherheit daran stören werden. Iglesia ist dabei zwar nie so gemein wie bei "Perdita Durango" oder so hemmungslos schräg wie bei "Mad Circus", es liegt irgendwo dazwischen. 


Männer, die auf Ziege starren
Fangen wir doch mal bei den drei Hauptfiguren an: Alex Angulo spielt den Pater Cura einfach wunderbar. Der zwar gebildete und intelligente, dafür vollkommen weltfremde Diener Gottes, der nach Madrid kommt um die Wiedergeburt des Antichristen zu verhindern, ist einfach ur-sympathisch, obwohl er von Beginn an alles dafür tut, sich als Sünder Kontakt zum Satan zu suchen. Wenn er einem Obdachlosen das Kleingeld stiehlt, gleiches nochmal bei einem Sterbenden, dem er statt des letzten Segens darüberhinaus noch ein "Fahr zur Hölle, mein Sohn" ins Ohr flüstert oder einen Pantomimen in einen U-Bahn-Schacht schuppst, ist das rabenschwarz und ziemlich komisch. Iglesia macht hier sofort klar, was die nächsten 100 Minuten von ihm zu erwarten ist. Noch viel sympathischer ist Death-Metal-Pummel José Maria, den Cura in einem Plattenladen, auf der Suche nach satanischer Musik, kennen lernt (- "Können sie das mal rückwärts abspielen?" - Na klar, aber das klingt genau so."). Der angebliche Hobbysatanist ist einfach ein herzensguter, aber eben so impulsiver Knuddelbär, der seinen geliebten Großvater mit LSD füttert, damit er auch noch etwas Spaß hat. Leicht blöd und tapsig, dafür ehrlich und loyal. Großvater ist übrigens so was wie der ganz heimliche Star: Hat nur wenigen Szenen, sagt kein Wort und läuft die ganze Zeit nackt rum. Großartig. Der dritte im Bunde ist der Fernsehscharlatan Clavan. In seiner reißerischen TV-Show berichtet er über dunkle Mächte und sonstigen Hokus-Pokus und lacht sich hinter den Kulissen ins Fäustchen, wie blöd doch das Publikum ist. Dumm für ihn, dass der ohne Fernseher lebende Pater und der tatsächlich blöde José Maria ihm die Show auch abkaufen und zum Partner wider Willen machen. 


The Devil's Twin Towers
Bis hier hin ist "El dia de la bestia" fast schon großartig. Wer einen Horrorfilm erwartet dürfte enttäuscht werden, es ist ein schwarze Komödie, eine überdrehte Farce. Das Ganze kommt dabei nicht ohne Klamauk aus, macht aber dennoch ungemein viel Spaß. Zwischendurch gibt es immer wieder kleinere und größere Boshaftigkeiten und einige herrlich inszenierte Momente, die ein breites Grinsen über das Gesicht zaubern. 2/3 des Streifens sind extrem gelungen, leider erscheint es dann so, als wenn Iglesia seine besten Ideen nun verschossen hätte. Gegen Ende kommt das eher flaue Skript dann zu sehr durch. Langweilig wird es nicht, doch gerade das Finale wirkt etwas blass im Vergleich zum Rest. Die zum Teil großartigen Momente können nicht ganz über die volle Distanz retten.


Unter Strich ist das ein Makel, aber kein Weltuntergang. Für das was er sein will, ist "El dia de la bestia" glasklar gelungen. Für seine bescheidenen Mittel sieht er zudem gar nicht schlecht aus, auch wenn er nur selten in die Effekt-Kiste greifen muss. 


Interessierte Leute sollten allerdings auf Iglesias Stil eingestellt sein, der mal gerne zwischen überdrehtem Humor und überhaupt nicht lustiger Gewalt (bei lebendigem Leib angezündete Menschen ist schon recht harter Tobak) hin und her springt. Wer ihm, wie ich, dafür aber einfach nicht böse sein kann, viel Spaß am Tag der Bestie.

7 von 10 teuflischen Ziegen-Peter