Review: POINT BREAK - Und ich schieße in die Luft...

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Fakten:
Point Break
USA, 2015. Regie: Ericson Core. Buch: Kurt Wimmer. Mit: Luke Bracey, Edgar Ramirez, Ray Winstone, Teresa Palmer, Matias Varela, Clemens Schick, Delroy Lindo, Tobias Santelmann, Max Thieriot, Nikolai Kinski u.a. Länge: 115 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Früher war Utah Extremsportler und YouTube-Star, nun strebt er eine Karriere beim FBI an. Gleich in seinem Bewährungsfall kommt ihm sein Talent zunutze. Eine Serie von spektakulären Überfällen quer über den Globus, deren Täter offenkundig selbst über unglaubliche, sportliche Fähigkeiten verfügen und kein Risiko scheuen. Utah gelingt es sich das Vertrauen der Verdächtigen zu erschleichen, wird selbst Mitglied ihrer Bande, aber im entscheidenden Momente kann er Professionalität nicht von Emotionalität trennen…

                                                                               

Meinung:
Irgendwie surreal, dass nun auch Kathryn Bigelow’s „Point Break“ („Gefährliche Brandung“) inzwischen schon 25 Jahre auf dem Buckel hat und somit „alt“ genug, um reif für den Remake-Fleischwolf zu sein. Sieht man sich das Original heute nochmal man wird einem erst bewusst, wie wenig der Film – trotz seines unverkennbaren Früh-90er-Stil- und Zeitgeistes – eine Neuinterpretation nötig hat. Gerade weil ihm diese Attribute zu einem Klassiker des Actionthrillers anwachsen ließen. Was zählt der Ruhm vergangener Tage, wenn es ein neues Publikum zu erobern gilt…und kreative Drehbücher im Mainstreamkino nicht von den Bäumen fallen.


T-Shirts machen ihn nur hässlicher.
Gerne würde man versuchen, diese Version isoliert von der geistigen Vorlage zu betrachten und zu bewerten, denn immerhin wird kein ganz uneigenständiges 1:1-Remake zusammen gewerkelt. Das ursprünglich als Basis dienende Surfer-Milieu ist nicht mal mehr als eine Randerscheinung, der Sport nur ein minimaler Baustein im globalisierten Jagd nach der Extreme. Plakativ wird alles größer, umfassender vorgetragen, von erzählen kann dabei kaum gesprochen werden. Denn mit dem Erzählen einer Geschichte hat der neue „Point Break“ erschreckend wenig am Hut. Von seinem groben Inhalt natürlich gleich, mit einigen für nötig befundenen, praktisch unvermeidlichen Reminiszenzen versehen (die gen Himmel gefeuerten Kugeln, die finale Konfrontation), transportiert der Film vom gelernten Kameramann Ericson Core sein gesamtes Können ausschließlich über die Bilder, die zugegeben an manchen Stellen recht beeindruckend ausfallen. Und doch ist es lange nicht so malerisch wie einst bei Bigelow. Dort war es die Kombination aus verträumt-schönen, ruhigen Passagen und für seine Zeit bald ultimativ-dynamischen Actionsequenzen, hier ist es in opulenter, rein auf die Action fokussierter Clip-Ästhetik, was durchaus seinen Schauwert besitzt.


Ich bin dann mal weg...
Darüber hinaus bleibt alles ein ausgehöhltes, blasses Gerippe, das wenig interessiert an seinen Figuren und ihrer eigentlich essentiell wichtigen Beziehung zueinander ist. Ein zwischenmenschliches Dilemma aufgrund einer beiderseitig erbblühten Zuneigung wird zwar benutzt, verständlich aufgebaut jedoch nicht. Warum plötzlich Pro- und Antagonist sich so schwierig, konfliktbeladen nahe sind, es stand halt so im Skript. Oder eher in dem, was noch aus der Feder der alten Autoren stammte. „Point Break“ ist so sehr in die Neuzeit modifiziert, dass er sich nicht nur weitläufiger, spektakulärer und rastloses präsentieren will, er ist auch genauso oberflächlich und unsympathisch. Die Lagerfeuerromantik und das schlichte Streben nach Adrenalin sind zu wenig, zu Hippie-verseucht. Heute werden platte Öko- und Sozialphrasen gedroschen, während permanent versucht wird sich möglichst cool selbst (und andere, die im Weg stehen) umzubringen und – das ist mal konsequent - zu Was-kostet-die-Welt-House-Partys auf die Kosten reicher Hobby-Kapitäne abfeiern zu lassen. Selbstdarstellung und doppelmoralisches Geblubber, damit ist „Point Break“ tatsächlich ein Kind unserer Zeit. Mögen muss man das deshalb noch lange nicht. Nur hoffentlich feststellen, was man an „alten“ Dingen zu schätzen weiß.


Mit Sicherheit kein hässlicher, nur ein extrem belangloser und identitätsloser Film. Kann mit einigen Aufnahmen kurzzeitig Eindruck schinden und verfällt danach gleich wieder in den Stand-By-Modus. Wer eh nur ab und zu zum Bildschirm schielt und einen Film nur Aufgrund seiner Optik zu schätzen weiß, viel Spaß. Und ohne jetzt Keanu Reeves unnötig in den Himmel zu loben: So uninteressant wie sein Pendant Luke Bracey war er zu seinen schlimmsten Zeiten nicht. 

3,5 von 10 Tickets fürs Nirvana

Review: WIENER DOG – Ein Dackel macht die Runde!

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Fakten:
Wiener Dog (Wiener-Dog)
US. 2016. Regie & Buch: Todd Solondz. Mit: Ellen Burstyn, Kieran Culkin, Julie Delpy, Danny DeVito, Greta Gerwig, Tracy Letts, Zosia Mamet u.a. Länge: 88 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 28. Juli 2016 im Kino.


Story:
„Wiener Dog“ erzählt vier Geschichten rund um den namensgebenden Dackel. In diesen Episoden wechselt der Hund von Besitzer zu Besitzer und sorgt für die unterschiedlichsten Begebenheiten und skurrilen Situationen.


Meinung:
Was haben ein gegen Krebs kämpfender Junge, ein erfolgloser Drehbuchautor, eine verbitterte Großmutter und eine besorgte Tierliebhaberin gemeinsam? Gar nichts wäre in 99% der Fälle die richtige Antwort, bei „Wiener Dog“ würde der Kandidat damit aber keinen Blumentopf gewinnen. Denn der neueste Film von Todd Solondz („Happiness“) verbindet diese Einzelschicksale (und noch so einige mehr) durch einen Hund, genauer gesagt einen Dackel (oder Wiener-Dog im Englischen), der seinen Weg von Besitzer zu Besitzer findet und dabei stets für merkwürdige Situationen sorgt.


Musikliebhaber unter sich!
Schon zu Beginn erstrahlt „Wiener Dog“ im typischen Look des zeitgenössischen, amerikanischen Independent-Kinos. Kontrastreiche Farben finden zu ruhigen, hochauflösenden Bildern und mehr als nur einmal generiert Regisseur Solondz Bildmontagen mit aufpolierter Werbefilmeoptik. Die Bildgestaltung ist interessant, erweist sie sich doch bei genauerer Betrachtung als äußerst widersprüchlich. Denn während die Bildsprache durch ihre Nähe zu den Figuren vermeintliche Echtheit und Bodenständigkeit suggeriert, sorgen die knallige Optik und die reichlich überzeichneten Figuren für einen gegenteiligen Effekt. Es ist die typische Formel des aktuellen Indie-Films, der auch „Wiener Dog“ treu ergeben ist. Ein handwerkliches Geschick dafür muss man Todd Solondz jedoch auf jeden Fall attestieren, auch wenn diese mittlerweile recht generische Herangehensweise auf formaler Ebene wohl nicht mehr für euphorischen Jubel sorgen wird. Es ist jedoch auch kaum die technische Ebene auf der er seine Zuschauer abholen will, vielmehr ist dem amerikanischen Filmemacher an den zwischen- und vor allem innermenschlichen Befindlichkeiten seiner Figuren gelegen, die er mit einer ordentlichen Portion Eigenwilligkeit an die Oberfläche lockt. Das Lachen bleibt dabei immer wieder im Hals stecken, denn die Grenze zwischen skurrilem, zynischem Humor und niederschmetternder Sozialkritik vermengt „Wiener Dog“ gekonnt.


Wiener gefällig?
Für den Dackel selbst bleibt gegen Ende des Films dafür wenig Platz. Ist er zu Beginn noch zentral involviert, verkommt er bei zunehmender Laufzeit zu einem bloßen Indikator für die unterschiedlichsten Situationen. Dramaturgisch gerät „Wiener Dog“ dadurch immer wieder in ein eher schleppendes Tempo, brauchen die unterschiedlichen Episoden doch immer eine gewisse Zeit um zum eigentlichen Kern ihrer Geschichte vorzudringen. Inwiefern dem Film sein episodenhaftes Dasein wirklich zum Vorteil gereicht, darf angezweifelt werden, denn immer wieder entsteht der Eindruck, dass man von ebenjener Situation oder Figur gerne noch etwas mehr beziehungsweise weniger gesehen hätte. Es sind die typischen Probleme von Episodenfilme, die auch „Wiener Dog“ befallen und gegen die er sich kaum wehren kann. Gegen Ende bleibt man als Zuschauer etwas ratlos, denn die verschiedenen Einzelerkenntnisse fügen sich auch nach dem Abspann nicht zu einer Einheit zusammen.


Todd Solondz neuester Film erweist sich als eine mit feinen Pointen gespickte Mischung aus Satire und aufwühlender Gesellschaftsstudie, die sich zuweilen etwas vergeblich an Klischees abarbeitet, im Kern einer jeden Episode aber doch reichlich Interessantes ans Tageslicht lockt. In typischer Indie-Film Manier inszeniert, ist „Wiener Dog“ letztlich zu breit gefächert um für seine angeschnittenen Erkenntnisse wirklich gelobt zu werden, ein sehenswerter Film ist er jedoch allemal geworden.


6 von 10 explosiven Hunden 

Review: CALIGULA - Bunga-Bunga unterm Lorbeerkranz

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Fakten:
Caligula (Caligola)
IT, USA, 1979. Regie: Tinto Brass. Buch: Gore Vidal, Bob Guccione, Giancarlo Lui. Mit: Malcolm McDowell, Helen Mirren, Peter O’Toole, Teresa Ann Savoy, John Steiner, Guido Mannari, Paolo Bonacelli, Anneka Di Lorenzo, Lori Wagner u.a. Länge: ca. 150 Minuten. FSK: Keine Freigabe. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Im Jahr 37 n. Chr. tötet Caligula seinen Onkel Tiberius und ernennt sich selbst zum neuen Herrscher Roms. Unter seiner Regentschaft erreichen die ohnehin schon vorhandene Dekadenz, die Gewalt und sexuelle Ausschweifungen einen neuen Höhepunkt. Mit den Jahren verfällt er immer mehr dem Wahnsinn, ruft sich sogar zum Gott aus. Es entwickelt sich ein Widerstand gegen den Tyrannen.

                                                                              
Meinung:
„Ich bediene mich zwar des Körpers und der Seele des Gaius Caligula, also bin ich ein Mensch. Und bin doch kein Mensch. Also muss ich nur eins sein: Nämlich ein Gott!“

Sogenannte Skandalfilme gab es in der Kinogeschichte immer wieder, dieses meist negativ behaftete Etikett behielten über die Jahrzehnte aber nur wenige. Oft reichte es gegen damals gängige Sehgewohnheiten zu verstoßen. Ein vielleicht besonders heikles Tabuthema anschneiden oder mit dem Status quo von Sex und Gewalt zu brechen. Viele Werke gelten aus heutiger Sicht eher als harmlos, maximal für ihre Zeit gewagt; das dort Gezeigte entspricht in seiner expliziten und drastischen Darbietung meist nicht mal dem, was aktuell gang und gäbe ist. Doch manch speziellen Exemplaren gelingt es, das Publikum über Generationen hinweg immer wieder in Erstaunen und Abscheu zu versetzen, etwas kaum Vergleichbares aufzufahren. Wenn ein Film sich dieses Prädikat verdient hat, dann Tinto Brass‘ kolossales Monstrum „Caligula“.


-"Was zahlen sie dir?" -"Zu wenig, eindeutig zu wenig..."
Dabei hätte alles ganz anders werden sollen und wer weiß, ob man dann über diesen Film überhaupt noch groß sprechen würde. Seine Entstehungsgeschichte ist so chaotisch wie kurios, vom ersten Drehtag bis zu seiner Premiere gingen gut vier Jahre ins Land. „Apocalypse Now“ lässt grüßen, die Gründe lagen jedoch an anderer Stelle. Ursprünglich als nicht besonders große Produktion geplant, verschlang der Film das Budget eines damals großzügigen Mainstreamfilms. Das Skript von Gore Vidal wurde unzählige Male überarbeitet, verunstaltet, am Ende warf der Mann entnervt das Handtuch und distanzierte sich (nicht als einziger) empört vom fertigen Produkt. Etliche Nachdrehs wurden getätigt, meist um den von PENTHOUSE produzierten Film mit zusätzlich Hardcore-Sexszenen „zu verfeinern“, was wiederum dazu führte, das komplette Passagen abgeändert wurden usw.. Eins ergab das Andere und am Ende war von dem, was „Caligula“ wohl mal sein sollte nicht mehr viel übrig. Es ist nur noch schwer zu rekonstruieren, was eventuell der anfängliche Plan war. Sicher ist nur: Ganz bestimmt nicht das. Die Nachbeben waren verheerend. Die Kritiker zerrissen ihn in der Luft, viele Beteiligte beteuerten beschämt selbst in die Irre geführt worden zu sein, radikale Kürzungen und flächendeckende Indizierungen inklusive.


"...aber schon schön hier."
Eigentlich ist es unmöglich, „Caligula“ ernsthaft als guten, gelungen Film zu bezeichnen. Selbst wenn man über den extremen Selbstzweck des reichlich eingefügten, pornografischen Materials hinwegsieht, das ganze Ding ist unabhängig davon ein riesiges, verhackstückeltes Durcheinander. Konfus, brutal, pervers, nicht nur kontrovers und obszön, sondern bewusst seiner künstlerischen Ambitionen durch provozierendes Kalkül teilweise beraubt. Und auf eine merkwürdige Art auch wieder nicht. So etwas gab es vorher nicht und wird es wohl auch nie wieder geben. Eine bombastische Orgie, der „Ben Hur“ des Schundfilms, verschwenderisch riesig aufgeblasen und mit seinem grenzüberschreitenden, vor nichts und niemanden haltmachend Spektakel vielleicht näher dran an dem von Intrigen, Machthunger, Größenwahn und heute nur noch als viehisch zu betrachtenden Zustände jener Zeit als jeder andere Film. Hier wird nicht nur mit der Tür ins Haus gefallen, die ganze Bude wird mit phallischem Gigantismus eingerissen. Zwischen epischem Müll und unter den Trümmern vergrabener Kunst präsentiert sich „Caligula“ als schonungslose, politisch-historische Satire, die mit Ejakulat und Blut kleckert und gleichzeitig mit seinem Pomp und Mut zum Unzeigbaren klotzt. So trieben es die alten Römer wahrscheinlich wirklich, auch wenn der Film es natürlich genießt, mit voller Absicht und ohne Rücksicht auf Verlust die Nadel des guten Geschmacks bis zum Anschlag in den roten Bereich zu penetrieren.


Faszinierend mit beizuwohnen, wie in teilweise verschwenderisch tollkühnen Sets mitunter völlig sinnlose Szenen runtergehobelt werden, während einige in ihrem opulenten Amoklauf einfach nur beeindruckend sind (die gewaltige Enthauptungsmaschine: „Was würde ich mir nur für einen Aufwand sparen, wenn ganz Rom nur einen einzigen Hals hätte.“ Sagenhaft!), wieder andere tatsächlich aus einem großen, wichtigen Werk entsprungen scheinen und sich Weltstars neben Pornosternchen tummeln. Der große, langsam vor sich hin schimmelnde Peter O’Toole vollbringt bereits eine unangemessen hervorragende Leistung, doch nichts geht über einen Malcolm McDowell, der sich voller Inbrunst, sichtlich ungebremst und einmal heiß gelaufen in Rage spielen darf, da wackeln die Wände. Kaum zu übersehen wie hier zu viele Köche den Brei mit immer neuen Stilrichtungen geschmacklich komplett verdorben haben, aber die in den Futtertrog geworfenen Pampe ist definitiv einzigartig. Es ist kein verkanntes Meisterwerk wie Passolini’s auf den ersten Blick grob vergleichbares Scheusal „Salò – Die 120 Tage von Sodom“, vielleicht wollte er es gerne sein. Trotzdem ein Unsittengemälde, dass sich in seinem radikalen, selbstbewussten und natürlich auch fehlgelenkten Auftreten ein sehr merkwürdige Form von tiefen Respekt verdient. Kann man mögen oder nicht, beides aus guten Gründen, aber ein Bild davon machen erweitert definitiv den Horizont. 

6,5 von 10 Live-Geburten