Review: GET OUT - SCHWARZ UND WEIß IST NICHT GLEICH GRAU

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Fakten:
Get Out
USA, 2017. Regie & Buch: Jordan Peele. Mit: Daniel Kaluuya, Allison Williams, Catherine Keener, Bradley Whitford, Caleb Landry Jones, Marcus Henderson, Betty Gabriel, LilRel Howery, Stephen Root, Lakeith Stanfield u.a. Länge: 105 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Nach vier Monaten Beziehung steht für Chris der erste Besuch bei der Familie von Rose an. Er ist nervös. Nicht nur wegen dem üblichen „ersten Mal“. Denn Chris ist schwarz, Rose weiß. Und ihre Familie noch nicht über diese Tatsache im Bilde. Die Ankunft gestaltet sich erfreulich unkompliziert und herzlich, doch schnell fallen Chris winzige Details auf, die ihn stutzig machen. Irgendwas ist hinter der aufgesetzten Freundlichkeit mehr als faul. Oder auch nicht…?

                                                                                      

Meinung:
Get Out ist einer dieser unerwarteten Paukenschläge des Filmjahres, den im Vorfeld wohl nur die aller Wenigsten auf dem Zettel hatten. Regisseur und Autor Jordan Peele ist als Comedian und Satiriker seit einigen Jahren (in seiner Heimat) schon ein bekannter Name auf dem Weg nach oben, mit seinem Spielfilmdebüt schafft er sich noch ein womöglich weitaus vielversprechenderes Standbein. Einerseits als offenbar sehr talentierter Filmemacher mit Qualitäten nicht nur im einem Bereich, andererseits gar als mögliche Genre-Hoffnung. Denn Get Out kann jetzt schon locker zu den interessantesten, kreativsten und besten…ja, nennen wir es Horrorfilmen…der letzten Jahre bezeichnet werden. Gerade da es (lange) nicht so genau sicher ist wo wir uns bewegen und es dann mit der spät runtergelassenen Hose sogar nur besser als schlechter wird, was angesichts der Prämisse das wahre Kunststück ist.  

Der erste Besuch bei den Schwiegereltern, ein aufrüttelndes Erlebnis

Exakt 50 vorher wurde Sidney Poitier in Rat mal, wer zum Essen kommt als der neue, afroamerikanische Lover der weißen Oberschicht-Tochter zum Schock für das konservative Elternhaus und führte zum Diskurs über Vorurteile und Alltagsrassismus. Wie gesagt, 1967. 2017 dürfte das ja alles gar kein Thema mehr sein. Naja, zu einem „besseren“ Zeitpunkt hätte Jordan Peele seinen Genre-Mischling wohl kaum auf den Markt werfen können. Wenn in den USA die Rassismus-Debatte wieder am Hochkochen ist, übertriebene Polizeigewalt (teilweise mit Todesfolge) von weißen Polizisten gegenüber Schwarzen und dementsprechende Unmutsäußerungen wieder die Schlagzeilen füllen und der erste, farbige Präsident der USA (aus Mangel an Alternativen) abgelöst werden „musste“ durch den Albtraum jedes…ach, warum ausschmücken…Menschen mit einem als halbwegs normal zu bezeichnenden Leben. Perfektes Timing, aber eins sollte ganz klar gesagt werden: Get Out ist bei aller giftiger, satirischer Finesse natürlich kein politischer oder gar wirklich ernstzunehmender Film. Zumindest versteht er sich selbst ganz klar nicht als solcher…außer ein ganz kleines Bisschen in seinem „pechschwarzen“ Humor, und macht das richtig gut, erstaunlich abgebrüht. Für einen Debütfilm (in dem Genre) erst recht!


Get Out ist einer dieser Filme, über deren Plot man so wenig wie möglich verraten darf. Dementsprechend ist es enorm schwierig, ein komplett von ungünstigen Informationen gefiltertes Fazit näher zu begründen. Den Versuch hat er sich aber verdient. Denn er selbst gibt sich weitaus mehr Mühe nicht an seiner schwierigen Mischung zu scheitern, was fast unmöglich klingt, wenn man die Story ohne Spoilerwarnung vorher grob erzählt bekommen hätte. Es beginnt als subtiles Psychospielchen mit feinen Nadelstichen, verläuft sich in eine paranoid-angehauchte Hokuspokus-Wundertüte und mündet in einem exploitativ-wilden Finale, das nur wegen dem geduldigen, behutsamen und immer wieder selbstironischen, sich und der (theoretisch) absurden, aber in ihrem Kern natürlich genauso beunruhigenden Prämisse (beruht ja durchaus auf immer noch vorhandenem Gedankengut) nicht über Gebühr ernst nimmt. Zwischendurch wird die Skurrilität des nur vermuteten Szenarios offensiv ausgelacht, um mit einer noch schrägeren Nummer um die Ecke zu kommen. Das dies trotzdem niemals gaga, sondern zu gleichen Teilen garstig, spannend, ruppig, unterhaltsam, manchmal gar (angemessen) komisch und in seiner Gesamtheit verblüffend effektiver, klüger und hintergründiger ist als so mancher Zeigefinger-Film. Ach so, und ganz nebenbei und losgelöst von allen Genre- und Subtext-Malereien: Das ist einfach mal ein selbstbewusster, ein unkonventioneller Film, der sich was traut. Egal in welche Richtung, Quatsch mit oder ohne Hirn und Soße. Fein, sehr fein.

7,5 von 10 klirrenden Teelöffeln

Review: mother! - Ein Film, der sich in die Synapsen frisst

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Fakten:
mother!
USA. 2017. Regie und Buch: Darren Aronofsky. Mit: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris, Michelle Pfeiffer, Domhnall Gleeson, Kirsten Wiig, Jack Gleeson, Stephen McHattie u.a. Länge: 115 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 14. September im Kino.

Story:
Ein Dichter und seine junge Ehefrau leben allein in einem großen viktorianischen Haus auf dem Land. Eines Tages steht ein fremder Mann  und kurz darauf dessen Gattin vor der Tür, die der Dichter beide begeistert einlädt, bei ihnen zu wohnen. Als überraschend auch noch die Söhne des Ehepaars auftauchen, eskalieren die Spannungen im Haus...




Meinung:
Jedes Wort zu mother! wäre eines zu viel. Der neue Film von Darren Aronofsky ist ein Werk, welches definitiv das Publikum spalten, ja vermutlich sogar auseinanderreißen wird. In Zeiten von ewigem Konsens in den Multiplexen hat solch ein filmischer Faustschlag durchaus etwas belebendes. Aber damit es funktioniert, ist es wohl wirklich zwingend notwendig ohne Vorwissen sich die Leinwand zu setzen und hinab zu tauchen, in die Vision von Aronofsky, der nach seinem Noah... nein, wir schweigen.

Was gesagt werden kann von unserer Seite ist aber, dass mother! mehr Ereignis als wirklich Film ist. Anhänger von Kohärenz, klar definierter Logik und einem deutlich erkennbaren Storystrang werden hier wohl nur mit hängenden Schultern, schüttelnden Köpfen und enttäuschten Blicken den Saal verlassen. Aronofsky ist die vordergründige Geschichte erst mal ziemlich egal. Es geht um das, was dahinter steckt und vor allem um die Gefühle, die es auslöst. Wer sich darauf einlassen kann und will, könnte vielleicht ein unvergesslichen Trip im Kino erleben. Denn mother! ist wüst, löst zunehmend Unbehagen aus, konfrontiert sein Publikum mit der eigenen Machtlosigkeit und versilbert dies alles dazu mit einer großen Portion Orientierungsverlust. Ein Werk welches stetig und wankend umherspringt: Sanft und aggressiv, leise und laut, Lachen und Weinen, Singen und Schreien, energetisch und katatonisch, lebendig und tot. Ein Drahtseilakt, bei dem jeder Absturz zum Konzept gehört und einem Schlag in den eigenen Körper gleichkommt. Verstörender war Kino eines großen US-Studios seit Jahren nicht mehr.

Zu mother! kann und sollte wohl nur ein Rat erteilt werden: Hingehen und ansehen. Am besten im Kino, wo sich das superbe Sound Design und die fokussierten Bilder richtig in die Synapsen brennen und hineinfressen können. Ob einem das gefällt steht auf einem anderen Blatt Papier. Aber alleine die Erfahrung sollte es wert sein. In diesem Sinne: Willkommen in der Apokalypse.

8 von 10 unerwarteten Besuchen

Review: LOGAN LUCKY - Ocean's Eleven mit Rednecks

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Fakten:
Logan Lucky
USA. 2017. Regie: Steven Soderbergh. Buch: Rebecca Blunt (Jules Asner). Mit: Channing Tatum, Adam Driver, Riley Keough, Daniel Craig, Seth MacFarlane, Sebastian Stan, Katie Holmes, Dwight Yoakam, Jim O'Heir, Rebecca Koon, Boden Johnston, Sutton Johnston, David Denman, Charles Halford, Alex Ross, Tom Archdeacon, Eric Perez, William Mark McCullough u.a. Länge: 119 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 14. September 2017 im Kino.

Story:
Die Brüder Jimmy und Clyde Logan werden vom Pech verfolgt. Während der impulsive Jimmy einen Job nach dem nächsten verliert, wird Barkeeper Clyde, der nur einen Arm hat, regelmäßig schikaniert. Und dann wären da noch die Geldsorgen. Aber Jimmy hat eine brillante Idee, die den beiden aus der misslichen Lage helfen soll: Ein Raubüberfall im großen Stil! Das prestigeträchtigste und legendärste NASCAR-Rennen der Welt, der Coca-Cola Cup 600, bietet scheinbar die perfekten Voraussetzungen für einen cleveren, unterirdischen Raubzug! Unterstützung erhoffen sich die Brüder vom berüchtigtsten platinblonden Safeknacker des Landes: Joe Bang - der sitzt allerdings noch im Gefängnis fest. Während der Planung des großen Coups tauchen immer neue Hindernisse auf, doch gemeinsam mit ihrer Schwester Mellie setzen die beiden Brüder alles daran, ihre lebenslange Pechsträhne endlich zu beenden...




Meinung:
Mit Kino sei er fertig, sagte Steven Soderbergh einst. Dann drehte er noch ein paar Filme und kümmerte sich dann um die Serie The Knick. Doch nun, nach vier Jahren Pause kehrt der Oscar-Preisträger wieder zur Leinwand zurück. Mit Logan Lucky (nicht Lucky Logan!) liefert er eine Gaunerkomödie ab, die sich am besten und effektivsten mit folgenden Worten beschreiben lässt: Ocean's Eleven mit Rednecks. Dies bedeutet dass die Eleganz, die Grandezza und der Style der Ocean's-Trilogie fehlt, aber die gesamte Taktung der Geschichte lässt sie wie einen vierten Teil erscheinen.

Mit Adam Driver und Channing Tatum als Hauptdarsteller hat Soderbergh zwei Asse im Ärmel und Daniel Craig als blondierter Joe Bang fungiert als Herzbube. Immer wenn er vor der Kameralinse steht, gehört ihm die Szenerie. Mut zur Hässlichkeit, zur Übertreibung und der Dekonstruktion seines 007-Image sind der Grund dafür. Das macht alles Freude, besitzt einen guten Flow und das Herz am rechten Fleck. Problem: Logan Lucky lässt sich Zeit, viel Zeit. Mit seinen knapp zwei Stunden Laufzeit ist die Komödie mindestens 20 Minuten zu lang. Schuld daran sind Figuren, die der Film immer wieder einführt und manchmal sogar regelrecht zelebriert, die letztlich aber den Stellenwert und die Bedeutung einer Randnotiz haben. Sie sind Füllmaterial, die der Film letztlich gar nicht nötig gehabt hätte. Ein weiteres Manko ist das, welches auch die Ocean's-Filme hatten (zumindest Teil 2 und 3): So clever und durchdacht sind die dargebotenen Überfall-Pläne nicht. Am Ende wird ein Twist aus dem Hut gezaubert, der irgendwie recht faul und undurchdacht wirkt. Ohne ihn wäre Logan Lucky zum einen kürzer, zum anderen wäre der Gesamteindruck des Werks wesentlich geerdeter und somit wahrscheinlich auch kompakter. So bleibt ein zerfaserter Nachgeschmack zurück.

Freunde von Gaunerkomödien und den teilnehmenden Schauspielern machen mit einem Kinobesuch aber sicherlich nichts verkehrt. Der große Wurf ist Logan Lucky sicher nicht. Mehr ist es wohl eine Aufwärmübung von Soderbergh, eine Art Wiedererweckungsritual. Neue Stärken hat Soderbergh in seiner Kinopause scheinbar nicht hervorgerufen und seine bekannte Schwäche der Geschwätzigkeit (narrativ wie szenisch) hat sich auch nicht verringert. Aber wie sangen einst Tocotronic in „Let there be Rock“ so schön: „Und alles was wir hassen / Seit dem ersten Tag / Wird uns niemals verlassen / Weil man es eigentlich ja mag“.

6 von 10 hartgekochte Eier aus dem Automaten

Review: THE CIRCLE - Schöne, neue Welt

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Fakten:
The Circle
USA. 2017. Regie: James Ponsoldt. Buch: James Ponsoldt, Dave Eggers (Vorlage). Mit: Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gillan, Ellar Coltrane, Glenne Headly, Bill Paxton, John Boyega, Patton Oswalt, Judy Reyes, Nate Corddry, Mamoudou Athie, Roger Joseph Manning Jr., Joey Waronker, Michael Shuman, Nick Valensi, Beck, Regina Saldivar, Katie Costick u.a. Länge: ca. 110 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 7. September 2017 im Kino.

Story:
Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job in der angesagtesten Firma der Welt ergattert: beim "Circle", einem Internetkonzern, der alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die alles abgewickelt werden kann. Mae stürzt sich voller Begeisterung in die schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, Gratis-Konzerten und coolen Partys. Während sie innerhalb der Firma immer weiter aufsteigt, wird sie vom charismatischen Firmengründer Eamon Bailey ermutigt, an einem für den "Circle" bahnbrechenden Experiment teilzunehmen. Die Teilnahme an dem Experiment und ihre Entscheidungen zugunsten des "Circles" beeinflussen zunehmend das Leben und die Zukunft ihrer Freunde und Familie. Und dann ist da auch noch ihr mysteriöser Kollege Kalden, zu dem sie sich auf unerklärliche Weise hingezogen fühlt...




Meinung:
Mit The Circle gelang Romanautor Dave Eggers ein echter Bestseller. Die Geschichte eines gigantischen Unternehmens, eine Art fiktiver Zusammenschluss von Apple, Facebook und Microsoft, dass die Privatsphäre für antiquiert erklärt, wirkte zwar schon bei Buchveröffentlichung wenig visionär, an der kräftigen Aussage des Romans ändert dies aber nichts. Nun hat sich Hollywood dran gemacht, den Stoff zu verfilmen. Unter der Regie von James Ponsoldt, der zuletzt mit The End of the Tour bereits gelungen eine Romanverfilmung durchführte, protzt The Circle nun mit einer Besetzung, die für alle Generationen etwas bietet. Das hilft dem Film aber auch nicht weiter.


Im Grunde lässt sich The Circle zunächst nur wenig vorwerfen. Die Inszenierung ist gut und gefällig, die Darsteller geben sich keine Blöße und Ponsoldt versucht so gut es geht die damals noch dystopischen Entwürfe des Romans so zu übernehmen, dass sie für das Publikum gleichermaßen bekannt wie befremdlich wirken. Was er aber nicht tut, ist sein Publikum zu fordern. The Circle läuft auf exakten Bahnen ab, versucht sich ab dem zweiten Akt mehr schlecht als recht als Thriller und generiert Charakterentwicklungen und moralische Schockmomente die zu vorhersehbar und konstruiert wirken. Dazu kommt, dass er das ganze Konstrukt am Ende mit breiter Hüfte wieder einreißt. The Circle ist ein Film, der belehren, der aufklären will, der sich aber dabei niemals traut wirklich durchzugreifen. Er verklärt die Gefahr vom Verlust der Privatsphäre zum letztlich simpel lösenden Problem. Es ist diese Ambivalenz zwischen Aufklärung und Angst vor Überforderung, die den Film letztlich scheitern lassen.


Ist The Circle also eine Katastrophe von Film? Nein, bei weitem nicht. Was Ponsoldt nämlich ganz hervorragend gelingt ist, dass einem das alles irgendwie bekannt vor kommt. Tom Hanks als Firmenchef ist .B. die fleischgewordene Manifestierung eines Trugbildes. So wie ihn der Film zeigt, so wirken die Jobs, Zuckerbergs und Gates auf uns. Ein Rattenfänger, dem wir blind folgen. Inszenatorisch weiß The Circle also, wie er Assoziationen heraufbeschwören muss. Nur wie er diese wieder einreißt und offenlegt, damit hat die Romanverfilmung ihre klaren Defizite.

4 von 10 Energy Drinks