Review: MEN BEHIND THE SUN – Was verbirgt sich hinter dem Mythos?



Fakten:
Men Behind the Sun (Hei Tai Yang 731)
China, Hongkong. 1988. Regie und Buch: Tun Fei Mou. Mit: Hsu Gou, Wang Gang, Andrew Yu, Quan Zhe, Jin Tie Long, Mei Zhao Hua u.a. Länge: 103 Minuten. FSK: keine Freigabe. Auf DVD erhältlich.


Story:
Gegen Ende des zweiten Weltkriegs, im Lager 731 werden bestialische Experimente an der chinesischen Zivilbevölkerung durchgenommen. Außerdem wird den japanischen Kadetten jegliche Menschlichkeit abtrainiert.





Meinung:
Es begrüßen uns in Sepiafarben gehüllte Originalaufnahmen der Einrichtungen von Einheit 731; eine ausgeschlachtete Anlage, marode und verlassen. Das knistern von der Tonspur und einige informative Schriftzüge wahren weiterhin den dokumentarischen Charakter, bis auch die verbale Erklärung aus dem Off einsetzt: Im Vorfeld des zweiten Weltkrieges, am 18. September 1931, verübten zwei Offiziere der Kwantung-Armee einen Anschlag auf die Eisenbahn nahe Mukden. Die Südmandschurische Eisenbahn erklärte China daüfr verantwortlich. Japan besetzte 1932 die unter russischem Protektorat stehende Mandschurei und rief einen Marionettenstaat aus, um das Reich der aufgehenden Sonne wieder zu der Wirtschaftsmacht zu formen, die es vor dem ersten Weltkrieg noch war. Dass in diesem Gebiet von der berüchtigten Einheit 731 auch im Geheimen Experimente mit biologischen wie chemischen Waffen verübt wurden, hat sich inzwischen bestätigt. Wie extrem die Vorfälle in diesem Komplex, bestehend aus 150 Gebäuden, allerdings wirklich waren, kann heute aufgrund der Vernichtung von Beweisen niemand mehr genau aufklären.


Foltern im Namen der Wissenschaft
Regisseur Tun Fei Mou setzte sich aber schon 1988 zum Ziel, die hiesigen Vorfälle in der Mandschurei aufzudecken, konnte seinen Wunsch, eine Dokumentation darüber zu entwerfen, jedoch nicht in die Tat umsetzen, da es, wie gesagt, unmöglich war, fundierte Belege aufzubringen. Mit dem bevorstehenden Angriff der Sowjetischen Armee hat Ishii Shiro, Leiter der in der Mandschurei stationierten Einheit, die Zerstörung befohlen, um „alles mit ins Grab zu nehmen“. Geschlagen in seinen Absichten, inszenierte Tun Fei Mou den heute gar mythisch in der Filmwelt verankerten „Men Behind the Sun“. Monolithisch steht dieses Werk in Relation mit der Deklaration, der wohl 'härteste, abartigste Schocker aller Zeiten' zu sein. Legenden ranken sich um Mous Werk, versprechen die totale Grenzüberschreitung. Aber wie definiert sich diese „Härte“ eigentlich? Durch ihre visualisierten Gräueltaten, durch die Gewalt, die aus dem Fokus gerückt wird und sich in den Gedanken erst zu entfalten weiß oder doch durch seine seelische Brutalität? Vielleicht ist es ja die Mischung, die den Zuschauer paralysiert und beinahe in Ohnmacht versetzt. Zwei gute Beispiele dafür wären Michael Hanekes „Funny Games“ und Tobe Hoopers „Blutgericht in Texas“.


Keine Gnade
Es wäre indessen ein Fehler, „Men Behind the Sun“ einzig auf seine expliziten Szenen zu reduzieren, auch wenn er davon so einige parat hält und nicht nur eine Katze im blutigen Kampf gegen eine riesige Horde Ratten festhält, bis das weiße Fell vollends blutüberströmt ist, sondern gar eine echte Vivisektion an einem kurz zuvor verstorbenen Kind ausführlich abfilmt. Mit Sicherheit wird es Menschen geben, die sich „Men Behind the Sun“ einzig wegen dieser Momente anschauen, Gorehounds, die den Kick suchen, um sich an derlei Extremen zu laben, aber „Men Behind the Sun“ schreitet (größtenteils) einen ganz anderen Weg ein. Ergötzen kann man sich in keiner Sekunde an diesem Film, nicht an abgetrennten Gliedmaßen, nicht an einer äußerst widerwärtigen Szene, die die Folgen einer Unterdruckkammer gnadenlos auskostet. „Men Behind the Sun“ ist so erschreckend nihilistisch, so abscheulich direkt, dass es schnell absehbar wird, hier keinen Genre-Film zu sehen, sondern ein Menetekel, einen filmischen Aufruf nach Gerechtigkeit und mehr historischer Transparenz. Mou beschönigt nichts, agiert mit Wut im Bauch, das merkt man, und doch gelingt ihm zeitweise das Kunststück, die Charaktere nicht der stupiden Schwarz-Weiß-Malerei zu unterziehen.


Sicher, Einiges scheint fehl am Platze, ist plakativ und gleichwohl dilettantisch gemacht. Im Inneren von „Men Behind the Sun“ verbirgt sich eine humanitäre Botschaft, etwas das uns daran erinnern lässt, dass wir alle gleich sind und „nur“ weil wir uns in Kriegszeiten befinden, müssen wir nicht vollends verrohen und zu Bestien werden ohne jeden Funken moralischer Instanz verkommen. Dass „Men Behind the Sun“ nicht immer sonderlich differenziert daherkommt, ist angesichts der wieder und wieder aufkommenden Debatten über das reißerische Profil des Films wirklich ein Aspekt, den man durchaus dankend annimmt, erwartet man doch eigentlich eine viel despektierliche Ausarbeitung. Schlussendlich bleibt „Men Behind the Sun“ ein zorniges, abschreckendes, nihilistisches, aber in seinen Ansätzen (manchmal auch darüber hinaus) sehr richtiges Werk, das der Perzeption seiner Rezipienten schon etwas Weitsicht abverlangt. Dafür wird man schon etwas belohnt, wenn auch nicht überwältigt.


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von souli

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