Fakten:
Die Katze (Le Chat)
FR, IT 1971. Regie: Pierre Granier-Deferre. Buch: Pierre
Grenier-Deferre, Pascal Jardin, Georges Simeon (Vorlage). Mit: Jean Gabin, Simone
Signoret, Annie Cordy, Jaques Rispal, Nicole Desailly, Harry-Max, André Rouyer,
Carlo Nell, Yves Barsacq u.a. Länge: 90 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren.
Auf DVD erhältlich.
Story:
Julien und Clémence sind seit Jahrzehnten verheiratet, die Liebe
ist allerdings schon lange gestorben. Einst war Clémence eine gefeierte
Artistin, bis ein Unfall ihre Karriere beendete. Seitdem ist sie dem Alkohol
verfallen, still leben sie und ihr Mann neben- aber nicht miteinander. Dann
findet Julien eine Katze, nimmt sie auf und schenkt ihr all die Zuneigung, die
in der Ehe seit Jahren keine Rolle mehr spielt.
Meinung:
„Es müsste ein Gesetz geben. Für Leute die sich nicht mehr
lieben, ist das Zusammenleben verboten.“
Dafür hat der liebe Gott die Scheidung erfunden, nur das
scheint für Julien (Jean Gabin) und Clémence (Simone Signoret) gar keine Option
zu sein. Einst haben sie sich innig geliebt, schienen füreinander geschaffen,
dann hat ein tragischer Unfall alles verändert. Nicht schlagartig, eher
schleichend. Er hat die beiden Menschen verändert, ihre Beziehung zueinander.
Der Punkt, an dem sie das erkennen und die mögliche Reißleine ziehen konnten
ist weit überschritten. Nun leben sie zusammen und doch weit entfernt, halten
an der Bastion Ehe fest. Liebe und Zuneigung ist in Gleichgültigkeit und sogar
Abneigung geendet, aus dem Traumpaar eine Zweckgemeinschaft geworden, die noch
nicht mal einen Zweck erfüllt. Alles liegt in Trümmern, emotional wie faktisch,
sinnbildlich wie räumlich.
So nah und doch so fern. |
Daraus macht Pierre Granier-Deferre bei seiner gleichnamigen
Romanverfilmung überhaupt keinen Hehl und verdeutlicht von Beginn an unverblümt das zerstörte Verhältnis seiner Figuren. Es geht so weit, dass
selbst beim „gemeinsamen“ Einkaufen einzeln die Läden betreten werden, sie mit
deutlichem Abstand zueinander den Heimweg bestreiten, als wenn sie nur zufällig
in die selbe Richtung müssten. Fast ist man schockiert, als sich das Duo als
Ehepaar herausstellt. Was ist da passiert, wie konnte es so weit kommen? Diese
Fragen beantwortet Granier-Deferre anhand von kurzen Rückblenden und vor allem
in dem Zusammenspiel seiner umwerfenden Darsteller, Gabin und Signoret, zwei
der größten Künstler ihrer Zeit. Schnell ist es verständlich, was da passiert
ist, ohne es im Detail breitlatschen zu müssen, das grundsätzliche Problem ist
offensichtlich. Ein Schicksalsschlag, geplatzte Lebensträume, unausgesprochene
Vorwürfe, die über die Jahre in fast tiefen Hass umgeschlagen sind und
ungesundes Totschweigen haben tiefe Schluchten gerissen, die einfach nicht mehr
zu überbrücken sind. Wie für ihr Umfeld – eine einst schicke Wohngegend,
verwandelt in eine Dauerbaustelle – schwebt die Abrissbirne tonnenschwer über
den Fragmenten, in dem Fall einer Ehe, reißt alles ein und hinterlässt nur
Schutt, für einen Neubau ist es viel zu spät.
Wenn es um seine Muschi geht, versteht ein Franzose keine Spaß. |
Symbolisch – und menschlich schmerzhaft nachvollziehbar –
findet der verbitterte Julien Geborgenheit im Schoß einer Hure und Zuneigung
wie Bestätigung bei einer zugelaufenen Katze, der endgültige Sargnagel für den
Rest von dem, was schon lange tot und begraben war. Clémence sieht das Tier als
Konkurrenz – so weit ist es schon gekommen – obwohl sie nicht weniger Schuld an
allem Elend hat. Für sie ist ihr Ehemann der Verursacher ihres verwelkten
Lebenstraums, obwohl er rein logisch nichts dafür kann. Jeder Mensch, dem etwas
Essenzielles genommen wurde, braucht ein Feindbild, einen Katalysator, einen
Schuldigen, den man dafür verantwortlich machen kann, um sich nicht der
unfairen Macht des Schicksals hinzugeben. Wenn einer schuldig ist, ist so
vieles einfacher, greifbarer, angreifbarer. Das nun eine neue „Liebe“ zwischen
sie tritt, verdeutlicht Clémens umso schmerzhafter, wonach sie sich seit einer
Ewigkeit sehnt, selbst abgestoßen hat und nie wieder bekommen wird. Der
endgültige Anfang vom Ende.
-
„Wir müssen es bis zum Ende durchstehen.“
-
„Zu welchem Ende?“
Zum logischen, sich jahrelang angedeutetem Ende. Das mit dem
großen Happy davor war eh schon durch, wenn überhaupt wäre nur noch
Schadensregulierung möglich. Selbst das wäre in Anbetracht der Umstände schon
viel wert. Wenn man dem Film nur irgendwas vorwerfen kann, dann das er sein
grandioses Potenzial nicht immer perfekt ausspielt. Minimale Hänger in der
Narration sind vorhanden, gerade weil alles – trotz der bemühten Symbolik – so glasklar
und offensichtlich ist, überraschen kann einen da gar nichts. Manchmal tanzt
der Film (auf einem hohen Niveau) um das emotionale Lagerfeuer, ohne es immer
sinnvoll anzuheizen. Sei es drum: Intelligent, bitter, traurig, feinfühlig, in
seiner teils nüchternen Beobachtung und dann wieder so ergreifenden Wucht und
Ehrlichkeit ist das nicht nur packend, es ist schonungslos,
irgendwie schön, weil es so schlimm und ungefiltert, dadurch extrem berührend
ist.
Nachdenklich stimmendes, menschliches Kino aus der Spätphase
des großen, europäischen Films, veredelt durch zwei seiner prägenden Gesichter.
Der Großvater von „Blue Valentine“. Ehe ist…nicht immer schön.
8 von 10 baufälligen Ruinen
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