Fakten: Die
Frau mit der 45er Manum (Ms. 45)
USA. 1981. Regie: Abel Ferrera. Buch: Nicholas St. John. Mit: Zoë Lund Tamerlis,
Alber Sinkys, Darlen Stuto, Helen McGara, Abel Ferrara, Editta Sherman u.a. Länge:
80 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story: Die stumme Thana wird gleich zweimal an einem Tag vergewaltigt. Den letzte
Angreifer, ein Einbrecher, kann sich aber überwältigen und töten. Seinen
Leichnam zerstückelt sie und entsorgt ihn Stück für Stück in der Stadt. Seine
Waffe, eine 45er Magnum, nimmt sie an sich, um sich besser schütze zu können.
Als Thana einen Mann erschießt, von dem sie sich bedroht fühlt, leitet dies
einen Wandel in ihr aus. Sie nutzt die Waffe nun, um sich an der Männerwelt zu
rächen.
Meinung: Höllenschlund
NYC - ab den 1970ern ein gefundenes Fressen für die stetig verruchende
Leinwand, auch für Independent-Regisseur Abel Ferrara, der sich in seinem
Output so ziemlich vollkommen diesem Setting menschlicher Abgründe hergab. Gilt
auch für diesen seinen Rape-&-Revenge-Albtraum, einer nicht weniger
brutalen, aber psychologisch konsequenteren, feministischen Antithese zur
Selbstjustiz-Blaupause 'EIN MANN SIEHT ROT'.
Noch steht die Männerwelt über Thana
Als Zuschauer wird man schon früh in die Enge getrieben, mit einem
hart-schneidenden Weiß-auf-Schwarz-Vorspann, der seinen unmissverständlichen
Titel mit gezielten Schüssen auf die Netzhaut klebt. Als Beobachter sind wir
dann auch nicht viel sicherer als Protagonistin Thana (Zoë Lund), der es
aufgrund ihrer Stummheit nicht möglich ist, Hilfe zu rufen, als sie aus dem
Nichts in der dreckigen Gasse vergewaltigt und traumatisiert zurückgelassen
wird. Dabei sehen wir vorher schon einen Einbrecher, der sich zu einer Wohnung
Zutritt verschafft, später stellt sich heraus: es ist ihre eigene - überall
lauert die rücksichtslose Boshaftigkeit, so ziemlich ausschließlich von Männern
ausgehend, die mit dumpfer Geilheit der Gewalt/Macht und dem sexuellen Trieb
folgen. Als Thana aber das zweite Mal in ihrer kleinen Wohnzelle sexuell
angegriffen wird, schlägt sie im Affekt zurück. Die Polizei spielt danach keine
Rolle (erst zum Schluss des Films), sie kann sich ihren Mitmenschen eh schon
nur schwer mitteilen, speziell in ihrem mickrigen Job als Näherin, die
tagtäglich eingetrichtert bekommt, wie die Frau von heute auszuschauen und dem
männlichen Kunden zu gefallen hat. Scheu und verletzlich wie sie aufgrund all
dieser Faktoren ist, versteckt sie den Leichnam in ihrer Badewanne, der
Eindringling hat allerdings noch ein Werkzeug der Gewalt hinterlassen: die
titelgebende 45er Magnum.
Thana erlebt nur die Schattenseiten des Lebens
Je mehr ihr die gnadenlos-stickige Luft der Seelen-umschließenden Stadt den
Atem zuschnürt, der Hund der Mieterin unentwegt bellt und sie kaum noch ihren
eigenen Körper frei lassen kann, ohne sich ständig in horriblen Visionen vom
pechschwarzen Leder angepackt zu fühlen, desto eher lässt sich nachvollziehen,
dass sie ihrem Leidensweg eine drastische Rache zukommen lässt. Bei Ferrara hat
dies aber weniger eine reaktionäre Note, wie bei Bronson/Winner, sondern stellt
zunächst die kontinuierliche Wiedererlangung, den Wiederaufbau der eigenen
Seele und des Körpers dar. Und natürlich ist es auch brachial-mörderische
Furchtbewältigung, die damit anfängt, dass sie die Gliedmaßen vom Kadaver des
Vergewaltigers abtrennt, immer mehr in der Stadt und bei Fremden verteilt, bis
nichts mehr von ihm in ihrer Wohnung übrig ist. Nebenbei greift sie zunächst
erst aus Zufall, später voll geplant zur tödlichen Schusswaffe, um die Straßen
von dauergeilen Sleazoids zu reinigen. Es wird für sie soweit zum anlockenden,
zielsicheren Ritual (bezeichnendes Bild: der Shootout mit 4 Kerlen im
Stadtpark-Zirkel), dass sie schon grundlos Vertreter der Männerwelt richten
möchte. Eine zwiespältige Entwicklung, welche der Film auch in ihrer Begegnung
mit einem betrogenen Mann anerkennt. Dieser hat in seiner Verzweiflung über die
Beziehung seiner Frau zu einer Anderen deren Katze erwürgt, Thana/der Zuschauer
möchte da aus Reflex schon abdrücken, hat die Waffe aber nicht entsichert. Der
Mann greift sich die Knarre, richtet sich damit jedoch selbst. Einsicht oder
seelisches Elend?
Eine Frau sieht rot
Thana kennt jedenfalls kein Zurück mehr aus ihrer mentalen Zielsetzung, aber
ihr Umfeld (abgesehen von einigen etwas bedrückten Kolleginnen) wird auch kaum
hilfsbereiter - und sei es auch nur die Vermieterin, die einfach ohne weiteres
ihre Wohnung durchsucht, wenn sie mal nicht da ist oder der eigene Chef, der
sie mit eigennütziger "Unterstützung" bezirzen will. So schlägt sie
schließlich bei einer Halloweenparty in ein Extrem um, bei dem sie als Nonne
verkleidet ein Blutbad unter den anwesenden Männern anrichtet, die in
Verkleidung und hypnotischer Zeitlupe dämonische Züge tragen, aber eben nur
unterschwellig in Thanas Augen - kein Wunder, dass eine ihrer Mitarbeiterinnen,
ihre "Sister", sie aufhält. Ferrara setzt da insgesamt, basierend auf
der Ausgangssituation, zwar ein Zeichen für Verständnis und den verteidigenden
Feminismus (schließlich sind ihre "Sisters" vorher schon deutlich
stärker abgebrüht-abweisend den Macho-Arschgeigen gegenüber), macht aber in der
fatalistisch-soziopathischen Katharsis seiner Protagonistin deutlich, dass sie
mit ihrer Manie zu weit gegangen ist - auch wenn die männliche NYC-Crowd fast
durchweg Räudenmaterial darstellt und Thana als leichtes Opfer geradezu
zerfleischt hat. Am Ende ist sie dennoch keine bloße mörderische Crazy-Bitch,
macht er doch klar, dass sie zumindest nicht den Hund der Vermieterin
umgebracht hat, wie er zuvor recht eindeutig suggerierte.
Keine Heilige mehr, sondern eine Frau im Amokmodus
Noch interessanter als dieses ideologische Konstrukt ist aber die Inszenierung
an sich, die für einen derartigen Genre-Vertreter zwar deutlich einem niedrigen
Budget untergeordnet war, aber daraus in ganz pointierten Bildern und Tönen,
mit der äußerst-zerbrechlich-bis-fanatisch-gewissenlos-spielenden Zoë Lund im
Milieustudien-Mittelpunkt, prägnante und an-den-Nerven-zerrende Eindrücke
erschafft, ohne besonders explizit ihr Pulver zu verschießen. Klar, die
einzelnen Situationen sind dadurch noch immer kein harmloser Zuckerschlecken,
dafür sorgen ja unfassbar intensive Naheinstellungen und unheilvoll-montierte
Überblendungen der Bedrängnis, sowie die direkt-eingefangene Zerrissenheit der
Stadt. Aber der Film ergibt sich nie einer selbstzweckhaften Rachgier,
vermittelt den Gedanken dorthin anhand seiner Protagonistin eher auf
psychologischem Wege und kehrt sie sogar dank Thanas Nutzung ihrer Paranoia
gegen Unschuldige letzen Endes um - mit einem effektiv-bitteren Schlusspunkt,
der sich gewaschen hat.
Der Schluss, den man daraus ziehen kann, ist, dass Ferrara äußerst objektiv an
das Thema herangegangen ist - die zerbröckelnde Innenwelt seiner stummen
Hauptfrau im Angesicht des omnipräsenten Sadismus trägt er empathisch und
nachvollziehbar nach außen, macht ihre (auch körperlichen) Ängste spürbar und
schockiert natürlich auch, ganz dem Gritty-New-Wave-Kino jener Zeit gemäß. Doch
er denkt ebenso ihren psychologischen Abbau zu Ende, so dass ihr rächendes
Handeln, das man als Genre-Zuschauer erwartet, eine nicht zu verleugnende
Gefahr darstellt und dass eine weit sozialere Hilfe viel nötiger sei, wofür man
aber auch einen sozialen Grundstein haben muss, den der Männer-dominierte
Schauplatz des Films einfach nicht anbietet. Genau das ist eben das wichtigste
Argument dieser feministischen (eher doch pro-sozialen) Antithese zu 'EIN MANN
SIEHT ROT', jener 'Ms. 45' - einem kleinen, gemeinen, aber ausnahmsweise nicht
wirklich zynischen Meilenstein des New-York-Films.
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