Fakten:
Shrew’s Nest (Musarañas)
ES, 2014. Regie: Juanfer Andrés,
Esteban Roel. Buch: Juanfer Andrés, Sofía Cuenca. Mit: Macarena Gómez, Nadia de
Santiago, Hugo Silva, Luis Tosar, Gracia Olayo, Lucía González, Carolina Bang
u.a. Länge: 91 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Ab dem 8.1. 2016 auf DVD
und Blu-ray erhältlich.
Story:
Spanien in den 50er Jahren: Die
streng religiöse Schneiderin Montse hat aufgrund einer schwer ausgeprägten
Agoraphobie ihre Wohnung seit Jahren nicht mehr verlassen. Einzige echte
Bezugsperson ist ihre 18jährige Schwester, die sie seit dem Tod der Eltern
großgezogen hat. Eines Tages liegt ihr Nachbar Carlos aus der Wohnung über
ihnen nach einem Treppensturz schwer verletzt vor Montses Tür. Angetrieben von
der christlichen Nächstenliebe überwindet sie für einen Moment ihre panischen
Ängste, um den Verletzten in ihre Wohnung zu holen. Zunächst dankbar für die
Pflege merkt Carlos erst durch die warnenden Worte von Montses Schwester, dass
er mehr Gefangener als Gast ist…
Meinung:
In den letzten 20 Jahren erlebte
das spanische Genrekino einen mächtigen Aufschwung, nicht unerheblich
vorangetrieben durch den internationalen Erfolg der Filme von Tausendsassa Álex
de la Iglesia. Iglesias Beiträge mit ihrem meistens garstigen Humor und einem
dezenten Hang zur grotesken Übertreibung (zuletzt „Witching & Bitching“) haben
da noch einen Sonderstatus inne, andere Regisseure wie Jaume Balagueró („[REC]“, „Sleep Tight“), J.A.
Bayona („Das Waisenhaus“), Juan Carlos Fresnadillo („Intruders“), Guillem Morales
(„Julia’s Eyes“) oder Oriol Paulo („The Body – Die Leiche“) haben von Found
Footage, Suspense, Mystery, Haunted House bis hin zur Giallo-Hommage etliche
Felder beackert und damit über die Landesgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt.
Der spanische Genrefilm lebt (ganz im Gegensatz zu den meist kümmerlichen
Versuchen hierzulande) und für die Zukunft scheint gesorgt. Auch Dank Álex de
la Iglesia, der als Produzent publikumswirksam mit seinem inzwischen
klangvollen Namen neuen Filmemachern den Weg ebnet. In diesem Fall dem Duo Juanfer
Andrés und Esteban Roel, die mit ihrem Langfilmdebüt „Shrew’s Nest“ auf dem
Sprung nach oben sein dürften. Soviel sei vorab gesagt: Der Film kann sich
sehen lassen und macht Lust auf mehr von den Herrschaften.
Hier ist nie Tag der offenen Tür... |
Beim Ausgehmakeup noch unerfahren |
Der bemitleidenswerte Unglücksrabe
namens Carlos – selbst für den Zuschauer mit einer leicht zwielichtigen Aura
behaftet – wird vom ungebetenen, hilfebedürftigen Gast zum Hoffnungsschimmer,
Objekt der Begierde und ausgelieferte Geisel, ehe ihm es wirklich gewahr wird.
Ein ganz leichter Hauch von Hitchcock weht durch das bestechend fotografierte
Beinah-Kammerspiel, bis der ambivalente Suspense-Nebel (etwas zu schnell)
aufbricht und dennoch nicht zwingend an Reiz einbüßt. Die Fronten sind eher
geklärt als erwartet (oder erhofft), nun wird „Shrew’s Nest“ zur beengten
Variation von „Misery“, mit einer entscheidenden Hauptperson mehr, stetig
begleitet von den Geistern und Lügen der Vergangenheit, die genau wie Montse die
Wohnung nie verlassen werden. Neben der erstaunlich abgebrühten, stilistisch
sicheren Regie überzeugt der Film besonders auf darstellerischer Ebene. Bei der
überregional bekannten, männlichen Akteuren Hugo Silva und Luis Tosar
überrascht das weniger, gerade Nadia de Santiago als „Die Kleine“ und
insbesondere Macarena Gómez als Montse spielen groß auf. Gómez kann ihre
interessante, weil nicht einfach Rolle perfekt auf den Punkt performen. Zwischen
(gefühlt) alter Jungfer, trauriger, überforderte Ersatzmutter, traumatisiertem
Opfer und – trotz ihrer Taten – nicht eiskalter Psychopathin, eher ein Opfer
ihres Lebens. Worunter andere jetzt leiden müssen. Oder schon immer mussten.
Wenn sich „Shrew’s Nest“ etwas
vorwerfen lässt (das dafür relativ deutlich), dann das Auslassen seines
Potenzials (wobei wir immer noch über ein Spielfilmdebüt reden, das sollte
nicht vernachlässigt werden). In diesem Film stecken exzellente Ansätze, wie
die für die Plotentwicklung ausschlaggebende Agoraphobie der Protagonistin, die
im Gesamtkontext einer äußerst bittere Note beinhaltet und zeitgleich das
Szenario ergänzend zuschnürt, stärker begrenzt, aber in Richtung Finale kaum
bis gar keine relevante Berücksichtigung mehr findet. Außer für die erklärende
Pointe (die ehrlich gesagt auch nur noch semi-überrascht). Von leichten Logikmängeln
(die auch nur Erbsenzählern den Spaß mindern dürften) mal abgesehen, „Shrew’s Nest“
holt aus seiner tragisch-traumatischen Prämisse nicht das Optimum raus,
verläuft sich in einem leicht konventionellen Finale, versäumt den ganz
cleveren Höhepunkt. Trotzdem ist das ein toll inszenierter, bemerkenswerter Film,
dem nur die entscheidende Garnierung fehlt. Schon jetzt (da deutscher
Heimkinostart erst diese Woche) ein Geheimtipp für 2016, eventuell in
Top-Ten-Nähe, wir werden sehen.
7 von 10 giftigen Spitzmäusen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen