Fakten:
Anomalisa
US, 2015. Regie: Charlie Kaufman,
Duke Johnson. Buch: Charlie Kaufman. Mit: David Thewlis, Jennifer Jason Leigh, Tom Noonan.
Länge: 90 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 21. Januar 2016 im Kino.
Story:
Michael Stone ist erfolgreicher
Autor von Sachbüchern, die sich mit dem Kunden als individuellen Erfolgsfaktor für jedes Unternehmen
beschäftigen. Er selbst könnte allerdings nicht einsamer und isolierter sein. Auf einer
Geschäftsreise lernt er Lisa kennen, die seinem eintönigen, festgefahrenen Leben eine völlig neue Wendung
verpasst.
Meinung:
Charlie Kaufman war schon immer
jemand, der andersartige Geschichten schrieb. Seine
Drehbücher, welche meist
zwischenmenschliche Dynamiken sowie tragikomische Ereignisse
behandeln, verschleiern ihren Kern
unter Schichten surrealer und abstrakter Einfälle, mit denen der eigenwillige Querdenker wiederholt
die Herzen von Anhängern außergewöhnlicher Geschichten höher schlagen ließ. Nachdem er
2008 mit "Synecdoche, New York" eines seiner Drehbücher erstmals selbst verfilmte, wurde es
länger ruhig um ihn. Zu vertrackt und unangepasst war dieses Werk, das es sowohl vom
Vermarktungswert her wie auch bei der Anerkennung eines großen Publikums mehr als schwer hatte und
hierzulande beispielsweise gar nicht erst im Kino startete. Dank finanzieller Unterstützung
durch die Crowdfunding-Plattform "Kickstarter" konnte Kaufman nun allerdings ein neues Projekt
realisieren und drehte gemeinsam mit Duke Johnson den Stop- Motion-Animationsfilm
"Anomalisa", welcher auf einem seiner Theaterstücke basiert.
Ein einsamer Tropf: Michael |
Es knistert zwischen Michael und Lisa |
"Anomalisa" entfaltet
nach und nach eine fast schon gewöhnliche Liebesgeschichte, die in ihrer Ausführung weitaus weniger
unkonventionell ist, als alle bisherigen Arbeiten von Kaufman. Doch gerade mit seiner schlichten
Einfachheit und lebensnahen Schilderung entfaltet der Film eine emotionale Wucht, die man anfangs
nicht mal erahnen konnte. Will man sich nach der Sichtung einzelne Szenen oder den gesamten
Film in Erinnerung rufen, so hat man keine animierten Figuren oder künstlich erschaffenen Welten
vor Augen, sondern echte Menschen, wahrhaftig gezeichnet und mit einer derartigen Menschlichkeit
versehen, wie man es in einem charakteristisch ruckeligen Stop-Motion-Animationsfilm nie für
möglich gehalten hätte. Gerade dadurch, dass Kaufman das Animations-Genre nicht für extrem
verspielte und fantasievolle Spielereien nutzt, für die es eigentlich so prädestiniert ist,
erzeugt er eine wohlige Magie, ein Gefühl von wahrer Innovation, was seine rührende Geschichte in
diesem höchst ungewöhnlichen Rahmen durchzieht. Und "rührend" ist auch
sicherlich das eindeutigste Adjektiv, das einem zu "Anomalisa"
einfällt. Gerade im Mittelteil, wenn sich
Michael und Lisa, die einzige Figur, die neben Michael eine eigene Stimme besitzt, kennenlernen,
annähern und in einem besonders herausragenden wie einzigartigen Segment im Hotelzimmer von Michael
endgültig zueinander finden, sprüht der Streifen nur so vor ehrlicher Zwischenmenschlichkeit
und echten Gefühlen. Es gibt zwar auch in diesem Werk so manch surreale Einlage und selbst
der Humor kommt nicht zu kurz, doch am Ende wird man sich vor allem an den einen Moment
erinnern, in dem ein Mann mit Tränen in den Augen kurzzeitig neue Lebensfreude und Leidenschaft
schöpft, nachdem ihm eine Frau in ihrer eigenen, nicht gerade mit perfekter Gesangsstimme
vorgetragenen Version "Girls Just Wanna Have Fun" von Cyndi Lauper vorgesungen hat.
Charlie Kaufman ist immer noch ein
Genie und beweist sein Können selbst nach vielen Jahren noch. "Anomalisa" trägt
unverkennbar seine Handschrift, doch vor allem im Hinblick auf den außergewöhnlichen Umgang mit dem
Animations-Genre hat er sich doch auch irgendwie neu erfunden. Ein emotionales Juwel und
jetzt schon einer dieser ganz besonderen Filme im Kinojahr 2016.
9 von 10 Martinis mit einer Schale
Zitrone
von Pat
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