Review: RASHOMON - DAS LUSTWÄLDCHEN - Filme für die Ewigkeit aus Japan


Fakten:
Rashomon - Das Lustwäldchen (Rashomon)
J. 1950. Regie: Akira Kurosawa. Buch: Shinobu Hashimoto, Akira Kurosawa, Akutagawa Ryunosuke (Vorlage). Mit: Toshiro Mifune, Machiko Kyo, Masayuki Mori, Kichijiro Ueda, Takashi Shimura, Minoru Chiaki, Noriko Honma, Daisuke Kato, ua. Länge: 86 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Ein berüchtigter Bandit lebt im Wald der Dämonen und ist schon nach einer Sichtung hin und weg von der Frau eines Samurai. Kurze Zeit später ist der Samurai tot, die Frau vergewaltigt und nicht aufzufinden und ein Holzfäller als Zeuge vor Gericht. Doch bald schon stellt sich heraus, dass niemand der Zeugen so recht die Wahrheit erzählen mag.






Meinung:
Als Akira Kurosawa im Jahr 1950 seinen Film „Rashomon“ veröffentlichte, wurden er und der Hauptdarsteller Toshiro Mifune mit einem Schlag in der ganzen Welt berühmt. Außer in Japan ironischerweise, denn dort erfuhr Kurosawa wie so oft wenig Beachtung und Anerkennung. Das ist schade, tut aber nichts zur Sache, da der japanische Meister der Nachwelt dreißig Filme hinterließ, die dem Publikum nicht mehr genommen werden können. „Rashomon“ ist gewissermaßen ein Phänomen, ein Film, nachdem mittlerweile ein Bonmot aus dem Boden gestanzt wurde. Als Rashomon-Effekt bezeichnet man nun den Umstand der kognitiven Verzerrung, also der subjektiven Einfärbung von erlebten Sachverhalten. Denn genau darum geht es in diesem Werk.






Am Anfang prasselt der Regen gnaden- und endlos auf die Erde nieder. An einem bereits halb zerfallenen Tor treffen sich drei Menschen (ein Bürger, ein Mönch und ein Holzfäller). Schließlich nutzt Kurosawa diese Figuren, um drei erzählerische Ebenen zu entfalten. Die Rahmenhandlung findet an besagtem Tor statt, die Erzählungen der drei Figuren werden in einer Gerichtsverhandlung gezeigt, in der der Zuschauer der Richter ist und von den Zeugenberichten einmal mehr in eine neue Ebene geführt werden - den fraglichen Geschehnissen im Wald der Dämonen. Über die Geschichte selbst sollte hier jedoch wenig Text verloren werden, da es elementar wichtig erscheint, dass die Geschichte sich für den Zuschauer bei einer Erstsichtung frei entfalten kann. Besonders (vor allem im Erscheinungsjahr) ist hier jedoch, dass der Film mehrere Versionen einer Geschichte erzählt, jeweils abgeänderte Fassungen, die von Figuren selbst erzählt werden und der Zuschauer letzten Endes zu entscheiden hat, wem er Glauben schenken soll. „Film ist die Wahrheit 24 mal in der Sekunde“ hat der König des selbstreflexiven Films Jean-Luc Godard berühmterweise mal gesagt. Zehn Jahr zuvor beweist Kurosawa dem Publikum bereits das Gegenteil. Nichts an diesem Film muss der Wahrheit entsprechen. Wahrscheinlich ist, dass drei Viertel des Werkes das auch nicht tun. 





Der arme Baum...
Kurosawa nutzt überaus geschickt die visuellen Möglichkeiten des Mediums und gestaltet seine dreilagige Geschichte überraschend flüssig, leicht identifizierbar und übersichtlich, dass man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kommt. Das wurde bedeutend später in der Filmgeschichte schon bedeutend schlechter gelöst. Zudem beeinflusste er damit ganz offensichtlich das allmählich aufkeimende New Wave-Kino und weltbekannte Filmemacher wie Steven Spielberg, Martin Scorsese oder Robert Altman. Tatsächlich lassen sich an „Rashomon“ einige interessante Formalien behandeln; so zum Beispiel der Einsatz visueller Stile in seiner Regiearbeit. Man achte einmal auf die Linienführung in den verschiedenen Episoden. Die Rahmenhandlung ist dominiert von vertikalen Linien, der endlose Regen ist da nur der Anfang. Die Gerichtsverhandlung wird ausschließlich in horizontalen Linien erzählt (was die Ausgeglichenheit und Gerechtigkeit des Gerichts suggerieren soll) und die pikanten Geschichten im Wald, von denen man nicht weiß, welche Version wahrhaftig ist, sind durchsetzt von Diagonalen, Horizontalen und Vertikalen. Sie sind quasi ein schönes Durcheinander. Das ist große Regie-Arbeit, so was lässt einen nostalgisch werden ob der beeindruckenden Zeit so vieler kreativer Spitzenkünstler, die es im heutigen Filmsystem alles andere als einfach hätten. 






Vor Gericht, aber glücklich
Natürlich aber ist „Rashomon“ mitnichten auf seine visuelle Ebene zu reduzieren. Tatsächlich ist der knapp anderthalbstündige Film ein ungemein vielschichtiger Film geworden, der wahrlich intelligent daherkommt, viel erzählt aber noch mehr erfahrbar macht und quasi als Parabel angesehen werden kann. Die Gerechtigkeit ist eines der großen Themen des Films. Die Frage nach ihr, die Frage, ob sie existiert. Ob Menschen überhaupt im Stande sind, sie zu erkennen und zu vollstrecken. Oder ob sie eine übergeordnete Instanz dafür benötigen - einen Gott, sofern er uns noch nicht verlassen hat. Immer wieder schaut der Bandit (Mifune) mit einer Mischung aus Wut und Sehnsucht in den Himmel. Auf der Suche. (Die Legende besagt, Kurosawa sei der erste gewesen, der in die Sonne gefilmt habe.) Hand in Hand mit der Thematik geht der zweite Komplex des Films, der als Glauben zusammenzufassen ist. Optimismus trifft auf Realismus, der Glauben wird mit Zweifeln konfrontiert (bzw. von ihm bedingt) und Hoffnung trifft auf Enttäuschung trifft auf Hoffnung. Der dritte thematische Stamm des Films behandelt die japanische Kultur selbst und verbindet somit traditionelle Kultur mit modern-westlicher Filmsprache. Die bittere Erbarmungslosigkeit, mit der Kurosawa schließlich den japanischen Ehrenkodex auseinandernimmt und seiner Zerbrechlichkeit preisgibt, hat etwas sehr Orientierungsloses. Japanisches Nachkriegskino eben.






Mit „Rashomon“ hat Akira Kurosawa der Welt eines von vielen inszenatorischen Meisterstücken erbracht. Der Regisseur Robert Altman selbst sagte zu dem Werk, dass an ihm nichts und alles wahr sei, was den Film zu einem Gedicht mache. Tatsächlich ist der Film jedoch auch auf die visuelle Ebene äußerst interessant zu betrachten, nimmt der Postmoderne viel vorweg und erzählt eine Geschichte, deren vage Unbestimmtheit durchaus dazu führt, pessimistisch zu wirken. Und dennoch findet sie am Ende symbolisch zum Ziel, mündet in einem ruhigen Plädoyer für Menschlichkeit, Verantwortung und Respekt, bis auch der Regen verschwindet. Ein großartiger Film, der noch eine weitere Frage stellt, auf die es wohl keine Antwort gibt. Wie verstehen Japaner diesen Film wohl?





8 von 10 unzuverlässigen Erzählern

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