
Fakten:
Gegen die Wand
BRD,
 TR, 2004. Regie & Buch: Fatih Akin. Mit: Birol Ünel, Sibel Kekilli,
 Catrin Striebeck, Meltem Cumbul, Stefan Gebelhoff, Cem Akin, Demir 
Gökgöl, Aysel Iscan, Francesco Fiannaca, Mona Mur u.a. Länge: 117 
Minuten. FSK: ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Cahit, ein Deutsch-Türke ohne grosse Bindung 
zu den klassischen Traditionen, lernt nach einem Selbstmordversuch Sibel
 kennen, die nach ihrem verpatzten Suizid nur ein Ziel hat: Schnell aus 
ihrer Familie entfliehen, der Grund für das Öffnen ihrer Pulsadern. Sie 
bettelt quasi um eine Scheinehe, Cahit ist wenig angetan. Als er 
bemerkt, wie dringend ihr Anliegen ist, willigt er ein. Aus der 
Notgeburt entsteht echte Liebe, nur mit folgeschweren Problemen.
 
Meinung:
Fatih Akin erweisst sich mal wieder als 
Bindeglied zwischen den Kulturen und als einer der wenigen, heimischen 
Regisseuren, dem nicht nur das Talent, sondern auch seine Herkunft (gut,
 dafür kann er nichts) in die Wiege gelegt wurde. Der Multi-Kulti-Mann 
spielt seine Trumpfkarte erneut geschickt aus. Als typischer, deutscher 
Zuschauer, wie als  "zugewanderter", dürfte sein Film auf Verständnis 
wie auch für (hoffentlich) Kopfschütteln sorgen. Denn trotz nicht zu 
leugnender Schwächen trifft "Gegen die Wand" auf sozial-, wie kulturelle
 Probleme, bildet eine Brücke zwischen klassisch-kultureller und 
trauriger Wirklichkeit, auch wenn Akin im letzten Drittel etwas piano 
schon gut getan hätte.
| Sibel greift zu dratischen Mitteln | 
Not trifft Elend, sehr überdeutlich und wenig nuanciert, 
halt voll gegen die Wand. Not hat gar keinen Bock auf Elend, lässt sich 
gut nachvollziehen, warum auch, nur dann hat Not geringfügig 
schwer-glaubwürdige Schuldgefühle/Beschützerinstinkte für Elend, 
just married. So gut und milieugetreu das Akin schildert (sehr gut), 
etwas gezwungen. Der Mittelpart ist eindeutig das Herzstück von "Gegen 
die Wand". Es ist sicherlich vorhersehbar, nicht nur gering, aber 
glaubhaft verkauft. Da reitet Akin sehr geschickt auf der 
Konventions-Welle, der Erwartungshaltung des Zuschauers, den gängigen 
Mechanismen von ER muss SIE aus irgendeinem Grund an seine Seite 
stellen, nur der Hintergrund ist viel realistischer als bei dem 
langweiligen, nervigen Einheitsbrei aus der Mikrowellenkantine. Akin 
atmet den für ihn selbstverständlichen Stallgeruch, nicht nur kulturell,
 sondern auch lokal. Hamburg trifft Istanbul, türkisches 
Selbstverständniss meets mitteleuropäisches Lebensgefühl, irgendwo in 
der Mitte, wie es halt so ist, trifft Akin teilweise die Wand mit einem 
brachialen Aufprall. Der verbitterte, brutal gestürzte Mittvierzieger ( -
 "Wieso gerade ich? Ich bin ein Penner!" - "Weil meine Eltern dich 
akzeptieren würden, du bist Türke, mann!") mit der Hand am Becks, der 
Nase im Schnee, der Bude mit der Schimmelpilzgefahr, dem Sch... in der 
Nu... und recht wenig Berührungspunkten mit den religiösen Vorgaben 
seiner Herkunft trifft das verzweifelte "Auf-die-Adern"-West-meets-
| Erst Hochzeit, dann Gefühle, dann Probleme | 
Was daraus enstehen MUSS ist eindeutig, aber gerade in 
seiner Vorhersehbarkeit sehr schlüssig und authentisch. Das mag ich Akin
 gar nicht mal negativ auslegen, das sind doch die Gefühlsspielchen des 
Lebens, die viele von uns eventuell, unter unkomplizierteren 
Rahmenbedingungen, selbst schon erlebt haben (können). Auf mich trifft 
das grob auch zu, aus Notsitautionen entsteht mehr als erwartet, da ist 
Akin näher am Leben als am Groschenroman, vor allem immer so dicht am 
Revier, da steht er weit über dem Quatsch-Kram der deutschen 
Peinlichkeits-Romanze. Im Gegenteil, "Gegen die Wand" greift ein 
wichtiges, (traurig, aber immer noch) aktuelles Thema auf, überspitzt es
 nur extrem. Im zweiten Drittel wahnsinnig intensiv, glaubwürdig und 
grandios gespielt wie umgesetzt, versackt ein Topfilm in seinem Finale, 
schade.
Da gehen Akin etwas die Zügel durch, Dramatik kann selbst in einem an sich sehr glaubhaften Film überstrapaziert werden. Akin scheint immer noch was draufsetzten zu wollen, das ist zu viel des guten. So gut umgesetzt das ist, irgendwann ist halt mal Feierabend. Da fährt sich der Film (fast) "Gegen die Wand", aber halt nur fast. Wo gerade heimische Werke sich schon lange mit Überschall an der Leitplanke aufschlitzen, trifft "Gegen die Wand" leider sein titelgebendes Ziel, nur lösst sich der Airbag noch aus. Wenn der die Kurve immer elegant nehmen würde, eine Granate. Hinten scheisst die Ente, hier zu sehen, nur ist der Weg immer noch das Ziel und da macht Akin so viel richtig und erfrirschend und verhältnismässig souverän gut, sollte auf dem Zettel stehen. Die oft gelobte Sibel Kekilli hat sogar diverse Aussetzer, das darstellerische Highlight ist ganz klar Birol Ünel, ganz grosser Auftritt, der so manche erzählerische Hänger locker gegen die Wand spielt.
Kein fehlerfreier, dennoch bemerkenswerter Film aus Deutschland, der für einen Fatih Akin spricht, gegen den die inländischen Kassenknüller von Schwei-Schwei und Söhne gleich doppelt grässlich wirken. Da kann wer was, das macht er auch, nur Millionen werden am anderen Ende verdient, traurig.
7,5 von 10 Scheinehen
 
 
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