Review: HAIE DER GROßSTADT – Das Wiegenlied von Gewinnern und Verlierern



Fakten:
Haie der Großstadt (The Hustler)
USA. 1961. Regie: Robert Rossen. Buch: Sidney Carroll, Robert Rossen, Walter Trevis (Vorlage).
Mit: Paul Newman, Jackie Gleason, Piper Laurie, George C. Scott, Myron McCormick, Murray Hamilton, Michael Constantine, Stefan Gierasch, Clifford A. Pellow, Vincent Gardenia, Jake LaMotta u.a. Länge: 130 Minuten. FSK: freigegeen ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Unter dem Namen Fast Eddie ist der junge Billardspieler Eddie Felson stadtbekannt. Sein Talent im Spiel ist groß, so groß, dass er vorhat Minnesota Fats, dem König des Billards, zu besiegen. Doch nach fast zwei Tagen des Spielens wird Eddie dennoch besiegt. Der Zyniker Bert nimmt sich daraufhin Eddie zur Brust.





Meinung:
Jede Dekade, ach, beinahe sogar jedes Jahr darf sich mit einem von der Filmlandschaft und seinen treuen Anhängern wie Kritikern weitreichend honorierten Sportfilm mannigfacher Klasse brüsten. Da hätten wir das Boxen mit „Rocky“, "Wie ein wilder Stier“ oder auch „The Fighter“, um mit „Moneyball“, „Die Bären sind los“ oder der „Die Indianer von Cleveland“-Trilogie zum Baseball überzugehen und anschließend mit „An jedem verdammten Sonntag“ und „Spiel ohne Regeln“ Gefallen am Football zu finden. Momentan genießt Ron Howards Formel 1-Drama „Rush – Alles für den Sieg“ mit Chris Hemsworth und Daniel Brühl allerhöchste Wertschätzung und es sind nur mutige Einzelfälle von Gegenstimmen wahrnehmbar, die es sich wirklich erlauben, sich etwas vom jubelnden Kanon wegzubewegen und ihren Missmut kundzutun. Greift man allerdings tiefer in diese Sparte und hofft, auch etwas Substanzielles aus dieser Art von Film zu ziehen, dann scheitern viele Werke recht offensichtlich in der Besprechung.

 
Noch glaubt Eddie er hätte eine Chance gegen Fats
Ein Beispiel dafür ist eben auch „Rush – Alles für den Sieg“, in dem eine abstruse Rivalität herbeigedichtet wird, die als flach kalkulierte Projektionsfläche für das Charakter-Drama dienen soll, sich letztlich jedoch nur durch seine Eindimensionalität zu artikulieren weiß. Ganz anders macht es da Robert Rossens „Haie der Großstadt“ von 1961, der dem Zuschauer wirklich etwas bieten kann, weil er sich traut, ihn auch zu fordern, anstatt jede winzige Regung auf dem Silbertablett auszubuchstabieren. Im Mittelpunkt steht Eddie Felson, ein junger Mann und mehr als begabter Billardspieler. Eddie, das unterbreitet bereits das Opening, in dem unser Protagonist unzählige Whiskeys in sich schüttet, während er gleichzeitig nur darauf versessen scheint, seinen Kontrahenten bis zum Letzten das Geld aus der Tasche zu luchsen, Eddie spielt mit Leidenschaft. Doch seine Leidenschaft gilt nicht der sportlichen Herausforderung, des Sportgeistes, es geht nur schlichtweg um Geld, um Moneten, um Zaster, um den größtmöglichen Gewinn im Angesicht des größtmöglichen Risikos. Schnell wird eindeutig, dass „Haie der Großstadt“ nicht auf romantisierende Stoßgebete abzieht, nicht um den heroisierenden Konkurrenzkampf, bei dem sich im Finale die beiden Widersacher in die Arme fallen.

 
Fast Eddie hat immer den Sieg im Fokus
„Haie der Großstadt“ ist vielmehr das Wiegenlied über Gewinnen und Verlieren, für manche wohl auch der Schwanengesang, weil sie den letzten Glockenschlag in ihrer Sucht, ihrer grenzenlosen Besessenheit, nicht hören konnten – oder nicht hören wollten. Es hat gewiss etwas Anmutiges, wenn Eddie oder Minnesota Fats, in dem Eddie seinen Meister finden wird, ihre Finger um den Queue schlingen, wie zwei Violinisten, die Saiten ihrer Geige sanft zu stimmen, um sie und ihr Publikum in den nächsten Minuten, nächsten Stunden, zum Weinen zu bringen. Eddie verliert jede Menge Geld, weil er Selbstbewusstsein mit Überheblichkeit verwechselt und Minnesota Fats, ein Spieler mit innerer Balance, fokussiert und besonnen, aber niemals verbissen, so geradewegs ins Netz huscht. Aus allegorischer Perspektive funktioniert „Haie der Großstadt“ also auch vornehmlich treffend, während sich der Sport an sich langsam aus dem Zentrum bewegt, um aus „Haie der Großstadt“ ein introspektives Drama zu bilden. Eddie findet in Sarah schließlich jemanden, der sich ihm anschließt, aber genauso verloren ist wie er selbst – Im Alkohol. Die Einsicht ereilt Eddie nur zu spät, bis er es schafft, hinter seine Egomanie zu blicken und zu erkennen, wie wichtig Sarah für ihn war; wie sie ihn hätte stützen können, wäre er nur für sie dagewesen.


Eddie tritt später noch einmal gegen Minnesota Fats an, nachdem er von seinem eiskalten Manager Bert Gordon durch die Mangel gedreht wurde. Er gewinnt sich den Respekt, den er schon lange hätte besitzen können, hätte er doch neben seinem Talent auch Disziplin, Charakter bewiesen. Schlussendlich hat er alles verloren und doch gewonnen, weil er die Moral seines Lebens gefunden hat, wenn auch im Augenblick tiefsten Schmerzes. „Haie der Großstadt“ ist Milieu- als auch Moralstudie, ist Kritik am Kapitalismus als auch psychologisch dichtes Sportler- und Seelendrama. Das Drehbuch beweist dabei das nötige Feingefühl, niemals in Melodramatik oder Theatralik zu fallen, sondern den Pfad ernsthaft und glaubwürdig in Richtung sicheres Ende zu wagen. Mehr als verlässliche Unterstützung erhält es dabei natürlich von dem herausragenden Ensemble, in dem Paul Newman, Jackie Gleason, Piper Laurie, George C. Scott und Myron McCormick wirklich Großes leisten. Ein Meisterwerk über Gier, Läuterung und – auch wenn es abgedroschen klingt – die wirklich elementaren Dinge im Leben.


8 von 10 beschmierten Spiegeln


von souli

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen