Review: RATTENNEST – Der Film Noir verabschiedet sich



Fakten:
Rattennest (Kiss me deadly)
USA. 1955. Regie: Robert Aldrich. Buch: A.I. Bezzerides, Mickey Spillanes (Vorlage). Mit: Ralph Meeker, Cloris Leachman, Paul Stewart, Gaby Rodgers, Albert Dekker, Maxine Cooper, Jack Lambert, Fortunio Bonanova, Juano Hernandez, Wesley Addy u.a. Länge: 105 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Mike Hammer, Privatdetektiv, ermittelt im Mordfall einer Frau, die aus einer Anstalt floh und die er kurz vor ihrem Mord noch als Anhalterin mitnahm. Von der Zimmergenossin der Ermordeten erhält Mike Hilfe
.





Meinung:
Barfüßig und nur in einen Trenchcoat gehüllt rennt sie in tiefster Nacht über die Straßen; der kalte Asphalt unter ihren Sohlen, den Schrecken in die Gesichtszüge gebrannt: Christina ist auf der Flucht und Privatdetektiv Mike Hammer, dem sie sich in den Weg stellt und dessen grelles Scheinwerferlicht die verzweifelte Frau aufsaugt, um sie dann im letzten Moment vor der tödlichen Kollision zu bewahren, soll ihr diese Flucht ermöglichen. Kurze Zeit darauf ist Christina tot, ihre Beine zappeln von nun an nicht mehr und der stattlich gebaute Mike findet im Krankenhaus langsam wieder zu sich: Robert Aldrich lädt mit diesem Prolog zu „Rattennest“ zum selbstreflexiv gestalteten Tanz um die eigene Noir-Achse. Denn „Rattennest“ stellt sich zu Anfang unwiderlegbar in die Tradition der Schwarze Serie, bedient die stilistische Motivik, aus der die ganz klassischen Charaktertypen emportsteigen: Der ambivalente Detektiv hier, die blonden, verführerischen Damen auf der anderen Seite und eine ganz Bandbreite von undurchsichtigen Gestalten soweit der Blick reicht.


Wieso er Hammer heißt? Ihre recht Hand weiß es.
„Rattennest“ lässt seine Charaktere aber nicht länger für sich funktionieren, sie werden durch ein offensichtlich abstruses Szenario gescheucht, in dem sie mehr und mehr eine repräsentative, denn eine autonom Position beziehen. Repräsentanten eines Stils, einer Ära, einer Strömung, die Robert Aldrich in 105 Minuten wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lässt und damit gleichzeitig den funktionalen Mechanismus des Kinos in seiner ganzen effektiven Wirksamkeit höchstpersönlich freischaufelt. „Rattennest“ negiert jedwede Möglichkeit der Psychologisierung seiner Charaktere, schafft es gleichwohl aber, den Zuschauer unaufhörlich an die Fersen den zynisch ermittelnden Mike Hammers zu heften, dessen von Natur aus gegebene Neugier ihn in eine echte Sisyphusarbeit auf der Suche nach einer Wahrheit führt, auf die er sich besser hätte nie begeben sollen. Mit dieser Suche, die eine mögliche Spur nach der anderen serviert und Mike Hammer doch nicht weiterbringt, karikiert das Drehbuch den Film Noir bis aufs Letzte: Erst wird er durch sichere Ironie in der Tonalität gebrochen und entmythologisiert, dann nimmt „Rattennest“ (in der richtigen Version) gar apokalyptische Ausmaße an.


Was in Finsternis beginnt, das soll auch in Finsternis enden. Aber durch das Dunkle bewegen wir uns in „Rattennest“ auch dann, wenn den Figuren, den Schablonen, den Abziehbildern, die Sonne schelmisch in das Gesicht lacht. Mike Hammer aber bleibt sich treu, versucht den Fährten zu folgen, kryptische Hinweise zusammenzufügen, die nicht ineinander passen. Lernt blonde Frauen kennen, zwielichtige Gauner und grimmige Ordnungshüter, denen er am laufenden Band Backpfeifen verteilt. Bis er schließlich in einen nihilistischen Ausdruck der Angst, eine Impression der atomaren Bedrängung aus den eigenen Reihen, der 1950er Jahre gespült wird: Kalter-Krieg-Paranoia auf ihrem Höhepunkt, durch exerziert und unverblümt ehrlich – Mit sich, dem Zuschauer, der Narration, dem Kino. Wenn ein Koffer, ein McGuffin, seinen Platz im Geschehen einnimmt, mischen sich noch perfide Mystery-Elemente in das Drehbuch, um im hellsten Licht des Wahnsinns zu erstrahlen und das große Finale einzuleiten: Wir sind dem Untergang geweiht. Das Kino allerdings, das verfügt über eine ewigwährende Beständigkeit. Glücklicherweise.


8 von 10 baumelnden Frauenbeinen


von souli

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