Fakten:
Der fremde Sohn (Changeling)
USA, 2008. Regie: Clint Eastwood.
Buch: J. Michael Straczynski. Mit: Angelina Jolie, John Malkovich, Jeffrey
Donovan, Michael Kelly, Jason Butler Harner, Colm Feore, Devon Conti, Eddie
Alderson, Amy Ryan, Denis O‘ Hare u.a. Länge: 136 Minuten. FSK: Freigegeben ab
12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Los Angeles, 1928: Als die
alleinerziehende Mutter Christine Collins von der Arbeit nach Hause kommt, ist
ihr 9jähriger Sohn Walter spurlos verschwunden. Monatelang gibt es kein
Lebenszeichen. Dann präsentiert das LAPD stolz und bewusst als Medienspektakel
inszeniert den verlorenen Sohn. Doch der Junge ist nicht Walter. Christine wird
von der Polizei, speziell dem leitenden Ermittler Jones, als unzurechnungsfähig
dargestellt. Schlechte Presse kann das unter scharfer Kritik stehende
Department nicht gebrauchen. Christine wird sogar in die Psychiatrie
eingewiesen, um sie zum Schweigen zu bringen. Nur Pfarrer Briegleb, ein
erklärter Kämpfer gegen die verwerflichen Methoden der Polizei, kämpft um ihr
Recht. Dann bringt ein unvorhersehbares Ereignis Bewegung in den Fall…
Meinung:
Clint Eastwood, das Arbeitstier mit
längst überschrittenen Rentenanspruch, ein Phänomen des US-Kinos. Sein
Werdegang im Filmgeschäft steht in einem ähnlich überraschenden Verhältnis wie
sein Auftreten als Privatperson zu dem, was er seit etlichen Jahren als
Regisseur darbietet. Der eigentlich erzkonservative, republikanische Hardliner,
früherer Western- und Actionheld, ist über die Jahre – positiv gemeint –
altersweise geworden (zumindest in seiner Arbeit) und dürfte aktuell zu den
wenigen prominenten Regisseuren des Landes zählen, der sich noch als echter
Geschichtenerzähler definiert, das Spektakel und das eigene Ego seiner
Inszenierung und der Geschichte hinten anstellt, „altmodisches“ Kino im besten
Sinn auf die große Bühne bringt. „Der fremde Sohn“ – schockierender Weise
beruhend auf einer wahren Begebenheit – ist sowohl menschliche Tragödie,
spannender Thriller, Justiz-Drama, Zeitdokument und darüber hinaus der Beweis,
dass eine starke Story in den Händen eines fähigen Mannes immer noch die beste
Formel für einen hervorragenden Film ist.
"Vermittlung? Bitte das Fundbüro." |
Stilvoll, schön ausgestattet und
angenehm befreit von jeglicher Hektik entführt uns Eastwood in das Los Angeles
der späten 20er, als die Stadt der Engel ihren Namen schon lange nicht mehr zu
recht trug, doch dies tangiert die alleinerziehende Mutter Christine Collins
bis dato nicht weiter. Im Gegensatz zu vielen Frauen in ihrer Situation zu
dieser Zeit steht sie noch verhältnismäßig gut da, hat einen ordentlichen Job,
bringt sich und ihren Sohn Walter relativ problemlos durchs Leben. Bis er
verschwindet. Nach Wochen und Monaten des Bangens, der Ungewissheit, scheint es
doch noch ein Happy End zu geben. Was darauf folgen soll, klingt so bizarr wie
schmerzhaft und ist tatsächlich wohl nur der schreckliche (bekannte) Höhepunkt
einer Ära, als Polizeiwillkür und deren zügellose Macht auf einem grausamen
Höhepunkt war. Eastwood beherrscht den nicht einfachen Spagat zwischen den
Genres so spielend, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Ohne das sich
irgendwann ein Ungleichgewicht einstellt entwickelt sich die Geschichte nie
vorhersehbar weiter, neue Figuren erscheinen auf der Bildfläche, es werden
stetig andere Akzente gesetzt, Spannung und Dramatik gehen wie
selbstverständlich Hand in Hand. Die bis ins bittere Detail glaubwürdige Dramaturgie
– das vermeidlich Einzelschicksal der Christine Collins – würde schon für einen
eigenständigen Film reichen, das sich nicht auf einzelnen Höhepunkte verlassen
wird birgt ein gewisses Risiko, was sich letztendlich jedoch voll auszahlt.
Statt daran zu scheitern blüht „Der fremde Sohn“ dadurch erst richtig auf.
Der Experte sagt: Alles tacko. |
Ein Pfaffe redet Klartext. |
Was dem Altmeister zudem hoch
angerechnet werden muss, er verlässt sich nicht blind auf Star-Power, besetzt
lediglich seine Hauptrolle (Angelina Jolie) und einen Nebenpart (John
Malkovich) prominent. Der restliche Cast ist maximal vom Gesicht der breiten
Masse bekannt, wenn überhaupt. Eine hervorragende Entscheidung, so werden die
Rollen authentisch mit Leben gefüllt, sie werden voll abgenommen, ohne das es
an Talent und Ausdruckskraft fehlt. Ganz im Gegenteil. Es ist wirklich schön zu
sehen, dass ein Film dieser Größenordnung eher auf passende als auf zugkräftige
Gesichter setzt. Wenn wir schon dabei sind: Die oft rein auf ihr Image als Taff-Girl
oder fast schon androgyne Zwitterwesen besetzte und nicht immer überzeugende
Angelina Jolie zeigt hier eine ihrer besten, wenn nicht die beste Leistung
ihrer Karriere. Sie mal als die ganz normale Frau von nebenan zu sehen, abseits
ihres Stigmas, und dann so einfühlsam, leidend und kraftvoll, ist mehr als
angenehm, bewegend, treffsicher. Eine erstaunlich gute Wahl, die sie persönlich
bis dahin kaum bestätigen konnte.
„Der fremde Sohn“ steht für alles,
was Clint Eastwood in den letzten 20 Jahren als Regisseur auszeichnete. Ein
Mann, der die Materie beherrscht, der weiß wie Spannungskino funktioniert, der
sich auf das Menschliche versteht, der Filmsprache fließend spricht und dem es
auch noch gelingt, alles unter einen Hut zu bekommen. Ein weiterer Baustein an
seinem Denkmal, im Bereich der Krone.
8 von 10 Größenmarkierungen im Türrahmen.
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