Review: SIEBEN - Sieben Schritte in den Abgrund der menschlichen Psyche



Fakten:
Sieben (Seven/Se7en)
USA. 1995. Regie: David Fincher. Buch: Andrew Kevin Walker. Mit: Morgan Freeman, Brad Pitt, Kevin Spacey, Gwyneth Paltrow, R. Lee Ermey, John C. McGinley, Richard Roundtree u.a. Länge: 127 Minuten. FSK: Ab 16 Jahren freigegeben. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Story:
In einer namenlosen Großstadt werden der kurz vor seiner Pensionierung stehende Detective Somerset (Freeman) und sein junger, hitzköpfiger Nachfolger Detective Mills (Brad Pitt) zu einem Mord gerufen, bei dem das Opfer solange zum Essen gezwungen wurde, bis es geplatzt ist. Wenig später wird eine weitere Leiche gefunden, die ähnlich gefoltert wurde und bei der das Wort „greed“ auf dem Teppich geschrieben stand – Habgier, eine der sieben Todsünden. Als Somerset daraufhin am ersten Tatort eine ähnliche Botschaft, nämlich Völlerei, findet, wird klar, dass noch fünf weitere Morde folgen werden. Und die beiden Cops müssen alles versuchen, um dies zu verhindern.




Meinung:
David Fincher schuf mit seinem zweiten Spielfilm einen Psychothriller, wie es ihn kaum jemals gegeben hat. Er pfiff auf gängige Konventionen, kombinierte Bestandteile des film noir mit Horrorelementen, verbindet die Ästhetik des Zerfalls und der Zerstörung mit schauspielerischen Glanzleistungen und verpackte das in einer Mischung aus Kriminalgeschichte und Psychodrama. Zwei Cops, ein Serienmörder, sieben Todsünden, eine trostlose Stadt und eine ebensolche Atmosphäre, das sind die Zutaten für einen der besten Thriller, die je das Licht, ach was, die je die Düsternis und den Regen der Welt erblickt haben. Eine atemlose Hetzjagd durch Regen und Nacht, Verzweiflung, Gewalt und ethischer Stillstand. Wer Menschlichkeit sucht, der muss schon ganz genau hinsehen.


Der zweite Tatort. Ob der Täter alle Spuren beseitigt hat?
Aber was ist denn eigentlich passiert? Detective Somerset (Morgan Freeman), kurz vor der Rente, und sein Nachfolger Detective Mills (Brad Pitt) werden zu einem Tatort gerufen, wo die Leiche eines dicken Mannes gefunden wurde, an einen Stuhl gefesselt, zwischen Kotze und Scheiße sitzend und scheinbar solange zum Essen gezwungen, bis er geplatzt ist. Nur etwas später wird der junge Detective Mills alleine zu einem weiteren Mord geschickt. Ein bekannter Anwalt wurde tot aufgefunden. Auch er wurde anscheinend gefoltert und sollte sich mit einem Messer Teile seines Körpers abschneiden, woraufhin der Anwalt starb. Auf dem Teppich steht mit Blut das Wort „greed“ geschrieben – Habgier. Somerset, der damit rechnete, dass der Geplatzte nicht der einzige Mord war, nimmt sich daraufhin den ersten Tatort noch einmal vor und erkennt, dass diese beiden Morde zusammenhängen. Verbunden durch sieben Todsünden. Sollten tatsächlich noch fünf weitere, grausame Morde stattfinden? Für die beiden Detectives Somerset und Mills beginnt eine fieberhafte Suche nach dem Mörder. Ein Spiel gegen die Zeit, ein Spiel gegen das Unbekannte. Und sie ahnen nicht, welche Abgründe dieses Spiel, diese Welt noch für sie bereithält.


Ja, das A und O des Films ist die Welt und ihr Aussehen. Sie beeinflusst alles und jeden in diesem Film. Es ist eine pessimistische, dreckige, düstere Welt. Die namenlose Großstadt, in der die Gesellschaft so sehr verkommen zu sein scheint, dass selbst der Himmel weint, wird zum Moloch aufgebaut. Fast pausenlos regnet es in die dunklen Straßenschluchten hinein. Trostlos und bedrückend frisst die Anonymität der Großstadt das kleinste bisschen Hoffnung und Glück erbarmungslos auf. Selbst schöne Dinge wie eine neue, hübsche Wohnung werden lediglich als Schein entlarvt, der das kurze Glück nicht lange aufrechterhalten kann.


Diese Flecken gehen wohl nicht mehr raus.
Die Menschen sind nicht viel besser. Wo man auch hinsieht sind es Egoismus und Gewalt, sind es negative Eigenschaften, die die Charakterzüge bestimmten. Aber es gibt auch Hoffnung. Junges Glück in Form von Tracy Mills (Gwyneth Paltrow), die von ihrem Mann David ein Baby erwartet. Doch sie hat Zweifel, ob sie ein unschuldiges Kind in diese schreckliche Welt setzen soll. Sie wendet sich an die einzige weitere moralische Instanz, Detective Somerset mit ihrem Problem, doch der hat bereits aufgegeben in dieser Welt. Einst wohl optimistisch und voller Tatendrang gestartet, hat ihm die Welt ein anderes Gesicht, eine andere Realität offenbart. Eine Realität, in der Morde, Gewalt, Trostlosigkeit und die fehlende Hoffnung dominieren.



Wenn nur dieses Sauwetter nicht wäre.
In dieser Umgebung passieren nun eben diese bestialischen Morde und die beiden Cops versuchen sie aufzuklären. Brad Pitt als junger Hitzkopf, der eine riesige Bandbreite extremster Emotionen präsentiert und Morgan Freeman als Ruhepol, relativ monoton aber durch kleinste Nuancen extrem viel ausdrückend. Schwer zu sagen, wer hier besser spielt, wahrscheinlich befruchten sich die beiden Darsteller mit ihrer unterschiedlichen Art gegenseitig und pushen sich zu absoluten Höchstleistungen. Mills und Somerset, diese beiden verschiedenen Typen, sind sich aber eigentlich gar nicht so unähnlich. Sie wollen Gerechtigkeit und den Mörder schnappen, nur eben jeder auf seine Weise. Sie bedienen sich dabei den Vorgehensweisen, die sie diese Welt gelehrt hat, die in dieser Welt nötig zu sein scheinen. Und beide sind somit Teil dieser Welt. Teil des perfiden Spiels, das sich der namen- und gesichtslose Mörder zurechtgelegt hat, das er perfektionistisch geplant hat und nun in die Tat umsetzt. Kevin Spacey komplettiert dieses Dreigestirn schauspielerischer Offenbarung. Obwohl er erst sehr spät überhaupt im Film zu sehen ist, so schwebt er ständig über der Szenerie. Er, sein John Doe (etwa Max Mustermann), ist die fleischgewordene Verkörperung dieses Großstadtmolochs. Und keiner kann ihm entkommen.


Die Settings sind geprägt von Finchers Detailverliebtheit unterlegt von extrem unterschiedlicher und doch immer zur Atmosphäre passender Musik. Alles wirkt so echt. Das ist einerseits toll, andererseits aber auch brutal. Fincher zeigt alles ungeschönt und ehrlich, in dieser verlogenen Welt. Der Film schockiert. Nicht, weil er übertreibt oder auf billige Effekthascherei setzen würde. Nein, es ist eben gerade die angesprochene Ehrlichkeit. Weil er schonungslos in die Abgründe der menschlichen Psyche taucht. Weil er das Innerste nach außen kehrt. In den Figuren des Films, aber auch in uns. Wir zittern, hoffen und bangen mit den Figuren. Wir verzweifeln anhand dieser Trostlosigkeit, werfen vielleicht auch unsere eigenen Prinzipien über den Haufen. Zerstören mit Hilfe der beiden Bezugspersonen Mills und Somerset unsere eigene Ordnung, unseren eigenen Rettungsanker. Müssen zusehen, wie die Welt langsam aber sicher den Bach runtergeht. Und am Ende sind wir vielleicht ratlos, vielleicht desillusioniert. Aber vielleicht stellen wir uns auch Fragen. Über uns und unser Verhalten, über das Leben, über die Welt. Tja, und selbst wenn man sich das alles nicht fragt, so hat man zumindest einen der spannendsten, brutalsten, originellsten, beeindruckendsten, nervenaufreibendsten und besten Filme aller Zeiten gesehen.


10 von 10 rätselhafte Pakete


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