Fakten:
Sie küssten und sie schlugen ihn (Les Quatre Cents Coups)
Frankreich. 1959. Regie: François Truffaut. Buch: Marcel Moussy, François Truffaut. Mit: Jean-Pierre Léaud, Claire Maurier, Albert Rémy, Patrick Auffay, Yvonne Claudie, Jacques Monod, Henri Virlojeux, Guy Decomble, Jeanne Moreau, Pierre Repp u.a. Länge: 99 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Sie küssten und sie schlugen ihn (Les Quatre Cents Coups)
Frankreich. 1959. Regie: François Truffaut. Buch: Marcel Moussy, François Truffaut. Mit: Jean-Pierre Léaud, Claire Maurier, Albert Rémy, Patrick Auffay, Yvonne Claudie, Jacques Monod, Henri Virlojeux, Guy Decomble, Jeanne Moreau, Pierre Repp u.a. Länge: 99 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Schüler Antoine wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Als er versucht die Schreibmaschine seines Stiefvaters beim Pfandleiher zu Geld zu machen und dabei von seinen Eltern erwischt wird, zeigen diese ihn bei der Polizei an.
Schüler Antoine wächst in ärmlichen Verhältnissen auf. Als er versucht die Schreibmaschine seines Stiefvaters beim Pfandleiher zu Geld zu machen und dabei von seinen Eltern erwischt wird, zeigen diese ihn bei der Polizei an.
Meinung:
Die Kindheit ist wie jede weitere folgende Altersphase ein zweischneidiges Schwert. Es wäre wohl vermessen zu behaupten, die eigenen Kinderjahre hätte nur schöne Seiten gehabt, man kann lediglich in generalisierter Form sicher von einer 'tollen Zeit' reden, doch auch auf diesen Tagen fristet ein gewaltiger Schatten sein Dasein. Francois Truffaut brachte es einst mit zwei Sätzen auf den Punkt. An erster Stelle lässt sich Folgendes immer wieder zitieren: „Das Heranwachsen ist ein Zustand, der von der Familie den Eltern geleugnet wird.“ Und damit hat Truffaut – gerade wenn man wieder die Perspektive eines Kindes annimmt – absolut Recht. Wie oft musste man sich unverstanden fühlen, wie oft musste man große Pläne schmerzhaft vernichten, weil sie durch die autoritäre Macht der Erwachsenen nie das gedankliche Entwicklungsstadium verlassen durften. Der zweite Satz lautet ungefähr wie folgt: „Als Kind hat man es immer eilig erwachsen zu werden, um endlich aller Arten schlimmer Dinge zu tun und dafür nicht bestraft zu werden“.
Die Kindheit ist wie jede weitere folgende Altersphase ein zweischneidiges Schwert. Es wäre wohl vermessen zu behaupten, die eigenen Kinderjahre hätte nur schöne Seiten gehabt, man kann lediglich in generalisierter Form sicher von einer 'tollen Zeit' reden, doch auch auf diesen Tagen fristet ein gewaltiger Schatten sein Dasein. Francois Truffaut brachte es einst mit zwei Sätzen auf den Punkt. An erster Stelle lässt sich Folgendes immer wieder zitieren: „Das Heranwachsen ist ein Zustand, der von der Familie den Eltern geleugnet wird.“ Und damit hat Truffaut – gerade wenn man wieder die Perspektive eines Kindes annimmt – absolut Recht. Wie oft musste man sich unverstanden fühlen, wie oft musste man große Pläne schmerzhaft vernichten, weil sie durch die autoritäre Macht der Erwachsenen nie das gedankliche Entwicklungsstadium verlassen durften. Der zweite Satz lautet ungefähr wie folgt: „Als Kind hat man es immer eilig erwachsen zu werden, um endlich aller Arten schlimmer Dinge zu tun und dafür nicht bestraft zu werden“.
Antoine (links) und seine Klassenkameraden |
Es sind nämlich nicht allein die Momente, in denen man sich von den
Erziehungsberechtigen in gewisser Weise ungerecht behandelt sieht, es sind die
auferlegten Verbote mit erhobenem Zeigefinger und drohender Pose, die die Zeit
oftmals zur Tortur machen und den Zorn auf die Eltern immer weiter aufladen, um
diesem in der Pubertät schließlich garstigen Ausdruck zu verleihen. Sicher
nicht nur Truffaut assoziiert seine Kindheit auch mit dem ungefilterten Gefühl
der erschöpfenden Einsamkeit, denn obgleich wir Jahre später noch diese
unverfälschte, anarchische Naivität aus jenen Tagen vermissen, sind es doch
auch die bedrückenden Augenblicke dieser Spanne, die sich als individuelle Narben
auf unserem Seelenkäfig ablegen und dort bis zum letzten Atemzug verharren. Man
merkt es dem Nouvelle Vague-Klassiker „Sie küssten und sie schlugen ihn“ daher
auch in jedem Frame an, dass Truffaut hier eine unheimlich persönliche, ja
intime Herzensangelegenheit konzipiert hat.
Dass die Vergangenheit immer ein Teil unserer Gegenwart ist, wissen wir nicht erst seit Paul Thomas Andersons Anthologie-Meisterwerk „Magnolia“, davon, wie schwer es aber ist, eine zutreffende Stimmung inszenatorisch und rhetorisch einzufangen und fest zu bannen, können wahrscheinlich viele gescheiterte Filmemacher ein Liedchen trällern, gerade wenn es sich um das ausufernde Coming-Of-Age-Sujet handelt. „Sie küssten und sie schlugen ihn“ zieht seine Authentizität – und genau DAS ist Truffauts wunderbares Debüt in jeder Sekunde – aus den autobiographischen Anleihen, die den Film nicht nur zur fiktionalen, unberührten Chronik einer Jugend oder (Prä-)Adsolezenz machen, sondern den Regisseur mit seinen eigenen Erfahrungen und Eindrücken konfrontiert und gleich eine viel kräftigere, menschliche Note konstruiert wie involviert. Es ist daher wohl auch kaum verwunderlich, dass Truffaut vor der Erstpräsentation die Selbstzweifel plagten, denn es war sicher nicht nur die Angst vor der Kritik an seinem Talent als Künstler, sondern auch vor den Reaktionen, die Welt zu tief in sein unschuldiges Inneres blicken lassen zu haben.
Mutter und Stiefvater und ihre Art der Pädagogik |
Truffaut schafft es, eine magische Verve auf seine Geschichte zu legen, die es dem Zuschauer gelegentlich schwer macht zu entscheiden, ob man sich in der oberflächlichen Schönheit der Bilder unbeschwert verlieren möchte, oder doch aufgrund der dahinter lauernden Ernüchterung den Kopf andächtig senkt – einnehmend ist die Atmosphäre aber fortwährend. Ein Dualismus, der sich auch in der Kindheit von uns allen wiederfinden lässt, zwischen geknebeltem Leiden und unreflektierter Heiterkeit, zwischen prägender Empirie und frustrierenden Misserfolgen. Am Ende bleibt der Schrei nach Freiheit, und der hallt lange nach. Ein ehrliches, einzigartiges und – oder gerade deshalb – wirklich schönes Werk.
8 von 10 Sprints am Strand
von souli
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