Review: AN IHRER SEITE – Wenn Liebe im Alter zur Probe wird



Fakten:An ihrer Seite (Away From Her)
Kanada. 2006. Regie: Sarah Polley. Buch: Sarah Polley. Mit: Gordon Pinsent, Julie Christie, Michael Murphy, Olympia Dukakis, Kristen Thomson, Wendy Crewson, Alberta Watson u.a. Länge: 110 Minuten. FSK: ohne Altersbeschränkung freigegeben. Auf DVD erhältlich.


Story:
Das alte Ehepaar Grant und Fiona lebt glücklich in Kanada. Doch als Fiona an Alzheimer erkrankt und schließlich nach gemeinsamer Überlegung in ein spezielles Pflegeheim geht, verändert sich das Leben der beiden völlig. Fiona vergisst ihren Ehemann. Sie vergisst, ihn gekannt, ihn geliebt zu haben. Und gleichzeitig findet sie in diesem Heim eine neue Liebe. Für Grant eine niederschmetternde, neue Situation, mit der er überfordert zu sein scheint. Wie soll er sich verhalten? Seine große Liebe ihr neues Leben leben lassen? Die 44 Jahre Ehe einfach so vergessen? Oder für seine Ehe und gegen diese schlimme Krankheit kämpfen?




Meinung:
Grant und Fiona sind seit 44 Jahren verheiratet. In den verschneiten Bergen Kanadas bewohnen der ehemalige Uni-Professor und seine Gattin ein schönes, altes Haus. Aber dieses Glück wird nach und nach immer mehr gestört. Erst waren es nur ein paar kleine Dinge. Fiona schafft es zum Beispiel nicht, den richtigen Ausdruck für bestimmte Dinge zu finden oder sie klebt kleine, beschriftete Zettel an Schubladen. Doch als sie eines Tages nach einem Skiausflug nicht mehr nach Hause kommt und nach längerer Suche völlig desorientiert wiedergefunden wurde, da war klar: Fiona ist krank, sie leidet an Alzheimer und die Krankheit nimmt immer schlimmere Züge an. Die beiden entschließen sich, dass Fiona in eine spezielle Einrichtung zieht. Doch 30 Tage darf Grant seine Ehefrau nicht besuchen. 30 Tage, in denen Fiona alleine in dieser Einrichtung mit anderen Alzheimerpatienten zusammenlebt und ihr altes Leben vergisst.


Diagnose: Alzheimer. Eine schwere Entscheidung muss her.
Denn genau das ist es, mit was Grant nach den 30 Tagen konfrontiert wird. Fiona kennt ihren Mann nicht mehr, den eigenen Ehemann, von dem sie in den 44 Ehejahren nie für längere Zeit getrennt war. Noch dazu hat sich Fiona in einen anderen Mann verliebt. Schon vor dieser 30-tägigen Trennung war es für Gordon sehr schwer, seine Frau loszulassen, sie in dieses speziell für Alzheimerpatienten ausgelegte Heim zu geben, doch die neue Situation ist für Gordon schmerzhaft wie nichts zuvor. Und genau darauf wird in diesem Film besonders Augenmerk gelegt. Nicht etwa die Krankheit Alzheimer und ihre Folgen für die Betroffene, was eher nebenbei abgehandelt wird, sondern der Umgang der Mitmenschen und Freunde, der Angehörigen, hier in Person des Ehemanns Grant steht im Zentrum. Statt einer Nacherzählung der Krankheitssymptome wird viel mehr auf den Verzicht und die Erinnerung des Ehemanns eingegangen. Und auf seine großen Probleme, mit dieser veränderten Situation umzugehen.


Wichtig für das Gelingen des Films ist Hauptdarsteller Gordon Pinsent. Er spielt den Grant mit großer Ruhe und doch merkt man ihm die Sehnsucht nach seiner Frau an, die Eifersucht gegenüber „ihm“, die ihn innerlich zu zerfressen droht. Aber getoppt wird diese Leistung von Julie Christie, die diese schlimme Krankheit ein Gesicht gibt und gleichzeitig stets Anmut und Haltung bewahrt. Das besondere an ihrer Leistung: sie schafft es zusätzlich noch, immer wieder einen Tropfen Charme und Humor mit hineinzulegen. Vielleicht ist es auch nur ihre sowieso wunderbar sympathische Art. Aber gerade weil die beiden Hauptfiguren so sympathisch und so echt wirken, fällt es einem als Zuschauer schwer, die im Film dargelegten Entwicklungen zu verkraften. Fast schon schockierend beobachtet man die Entwicklungen, fühlt Mitleid mit eigentlich jeder Figur und weiß letztlich auch keinen Rat, was man denn nun tun könne. Ähnlich wie die Charaktere im Film.


Das Loslassen fällt Grant und Fiona sehr schwer.
Sarah Polley, die zum Zeitpunkt des Drehs erst 28-jährige Regisseurin des Films, schafft es, mit ruhigen Bildern eine gewaltige Wirkung zu schaffen. Sie braucht weder Kitsch oder Klischees, noch große Übertreibungen. Stattdessen zeigt sie einfach die Beziehung zwischen einem alten Ehepaar, die durch diese Krankheit von Grund auf umgekrempelt wird. Und ihr gelingt es trotz oder vielleicht auch wegen dieser so einfachen Inszenierung dieser Liebesgeschichte intensive Emotionen im Zuschauer hervorzurufen. Es sind mal die Tränen von Fiona, die sie zu verbergen versucht, dann ist es der leere Blick von Grant auf das neue Liebespaar oder der schmerzvolle Versuch, loszulassen. Lange Kamerafahrten und –einstellungen von Luc Montpellier helfen hierbei genauso, intensive Momente zu erschaffen, wie die angenehme Musik von Jonathan Goldsmith.


Vielleicht ist Sarah Polley als Schauspielerin nie besonders in Erscheinung getreten, aber mit „An ihrer Seite“, der im Original übrigens „Away From Her“ betitelt ist und ein erneutes Beispiel der sinnfreien deutschen Übersetzungen bildet, ist ihr ein erstaunlich reifer Debütfilm gelungen, der die Beziehung zwischen Gran und Fiona beschreibt. Der die durch Alzheimer bedingte Veränderungen im Leben aller Beteiligten in ruhiger, überlegter Art und Weise einfängt, ihre Sehnsüchte und ihre Probleme mit dieser neuen Situation. Und der dabei auch in der Lage ist, ohne übertriebenen Pathos und mit echten Emotionen ein eher unangenehmes Thema angenehm, vielleicht ein bisschen zu angenehm, zu präsentieren. Und im Gegensatz zu Michael Hanekes „Liebe“ geht der Film deutlich positiver, einfühlsamer und wärmer auf eine ähnliche Grundthematik ein, was dem äußerst sehenswerten Film in keinster Weise schadet.


8,5
von 10 Bücher über Island

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