Review: BLEEDER – Ein gesellschaftlicher Abgrund inmitten von Gewalt und Konsum



Fakten:
Bleeder
DK, 1999. Regie: Nicolas Winding Refn. Buch: Nicolas Winding Refn. Mit: Mads Mikkelsen, Kim Bodnia, Liv Corfixen, Zlatko Buric, Sven Erik Eskeland Larsen, Rikke Andersson, Levina Jensen u.a. Länge: 94 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Lenny, Leo, Louis und Kitjo sind Kumpels und verbringen ihre gemeinsame Zeit meistens damit, sich gemeinsam einen der favorisierten Horrorklassiker à la „Maniac“ oder „Blutgericht in Texas“ anzuschauen. Als Leos Freundin schwanger wird, gerät nicht nur seine Welt aus den Fugen, Leo zieht alle Beteiligten in einen Strudel aus Gewalt, aus dem es nur mit Glück einen Ausweg zu geben scheint, doch mit wem meint es Schicksal in einer so verkommenen Welt schon gut?




Meinung:
Heute erinnert sich Nicolas Winding Refn nur noch sehr ungern an die Dreharbeiten zu seinem zweiten Langfilm „Bleeder“ zurück. Dabei standen ihm 1999 nicht nur das mühsam-cholerische Verhalten von Kim Bodnia missfällig im Wege, auch die eigene Arroganz wie Ignoranz, die ihn schon drei Jahre zuvor dazu verleitete, geradewegs einen Film zu drehen („Pusher“), anstatt sich erst einmal auf der Kopenhagener Filmhochschule gewisse Fähigkeiten und fachliche Kompetenzen anzueignen. Diese egozentrische Pejoration wurde in „Bleeder“ immer weiter ausgebaut und auf andere Meinungen und Ideen seitens der Crew weitestgehend wenig Rücksicht genommen. Heute postuliert Refn mit einer gewissen Demut in der Stimme zu, er hätte doch gar keine Ahnung davon, wie man diesem Handwerk wirklich nachgehen sollte. Dafür darf das Resultat, sowohl von „Pusher“, als auch von „Bleeder“, nicht nur das dänische Kino für ungemein aussagekräftig befunden werden.


Lenny und seine Leidenschaft: Filme.
Obgleich sich Nicolas Winding Refn in seinen ersten Werken also mit einer enormen Unwissenheit im Repertoire durch die jeweiligen Sets schlängelte, entstanden durch diese fehlende Erfahrung zwei Filme, die in erster Linie durch ihre schiere Milieu-Atmosphäre zu gefallen wussten und sich nicht in gekünstelter Blasiertheit wälzten, sondern Refn auch dazu verhalten, sich – ohne angeworbene Professionalität – weiterzuentwickeln. „Bleeder“ nämlich hat nicht nur das rohe Feeling einer Gesellschaft am Scheidepunkt auf seiner Seite, Refn versteht es auch, ganz im Gegensatz zu seinem Debüt, sich für seine Figuren und interessieren und mit autobiographischem Gewicht zu skizzieren. Der von Mads Mikkelsen verkörperte Videothekenarbeiter Lenny nämlich könnte als Alter Ego Refns tituliert werden: Ein schüchterner, introvertierter Jedermann, dessen zurückgezogener Alltag sich einzig und allein um seine Cinephilie zu drehen scheint. Nur, und das hat sowohl Refn, wie auch Lenny im Verlauf der Geschichte gemerkt, können Filme allein kein Leben füllen.


Stress steht ins Haus.
Mit Lenny bekommen wir allerdings nur einen der Charaktere präsentiert, die das Geschehen in „Bleeder“ bestimmen sollen. Dazu gesellen sich noch der augenscheinliche Egoist Leo (Kim Bodnia), der die Liebe zu Filmen teilt, um sein Hobby aber fürchten muss, als ihm seine Freundin Louise (Rikke Louise Anderson) berichtet, schwanger zu sein. Louis (Levino Jensen), ein Rassist und Schläger, der Schwager von Leo und damit auch Bruder von Louis, hingegen freut sich schon auf den Tag, an dem ihm endlich der Titel 'Onkel' gebührt. Komplettiert wird die illustre Runde von Kitjo (Zlatko Buric), ein Kollege von Lenny und Lea (Liv Corfixen), das leise Objekt der Begierde des unauffälligen Lennys. Refn arbeitet mit charakterbezogenen Kontrasten, stellt verschiedene Muster aus und definiert sie anfangs noch mit einer differgenten Songaufwahl – Ein bekanntes Stilmittel Refns, der sich einen gesamten Film erst dann vorstellen kann, wenn er weiß, wie er auch klingen soll.


Bleeder“ ist in seiner ästhetischen Rohheit aber nicht nur einfach stilistisches Kino, das es zu erleben, zu fühlen gilt; es ist auch ein Film, der sich als Querschnitt durch eine Gesellschaft versteht, in dem sich eigentlich jeder dieser Unterklässler (Oder unterer Mittelschichtler) nach einem Mindestmaß an Wärme und Geborgenheit sehnt. Die Filmrunde um Lenny, Leo, Louis und Kitjo versucht im Allgemeinen ihre Leere mit dem Eskapismus des Filmkonsums zu kompensieren. Lenny aber taut etwas auf und sucht den Kontakt zum weiblichen Geschlecht, auch wenn er nicht der Lage zur tieferen Interaktion und ausgedehnten Dialogen scheint. Es ist ein sanftes, symbolisches Erwachen Lennys, und gleichzeitig ein in das Chaos taumelndes Abbild des fokussierten Kollektivs. Leo verfällt der Faszination der Gewalt, nachdem er das erste Mal reelles Blut geleckt hat und öffnet somit die Pforten in eine Welt, die spiralförmig in ihr hoffnungsloses Verderben sprintet.


Lea träumt sich fort...
Refn zitiert dabei die großen Vorbilder (Scorsese ist die dominante Anlaufstelle) und Inspirationsquellen, wahrt aber ebenso die persönliche, idealistische Integrität seiner Kunst. Es ist eine Welt voller Scheiße, durch die uns „Bleeder“ eskortiert. Aber aus dieser Scheiße besteht dieses dreckige Leben und die Probleme sind nicht nur ein Produkt ihrer Umwelt, sie werden auch aus verschiedensten Antrieben in den Charakteren geboren. Und doch, auch wenn das Chaos keine Konsequenz oder Radikalität scheut, gibt es hin und wieder einen verheißungsvollen Funken, an den es sich zu klammern gilt, man muss sich letztlich nur überwinden und diesen Schritt wagen, wenn das Leben schon eine solche Möglichkeit unterbreitet.


7 von 10 HIV-Infizierten Spritzen



von souli

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