Review: A TOUCH OF SIN - ...und am Ende bleibt nur Gewalt



Fakten:
A Touch of Sin (Tian zhu ding)
China, Japan.
2013. Regie und Buch: Jia Zhangke. Mit: Jiang Wu, Zhao Tao, Wang Baoqiang, Vivien Li, Zhang Jia-yi  u.a. Länge: 133 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Ab 1. August 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Das heutige China bedeckt eine riesige Fläche. So unterschiedliche wie die Landstriche sind auch die Bevölkerungsschichten, doch Gewalt ist überall gegenwärtig. A Touch of Sin verstrickt Chinesen aus unterschiedlichen Milieus in vier Geschichten die in großstädtischen Regionen wie Guangzhou, aber auch in ländlicheren Gebieten wie der Provinz Shanxi spielen. In drastischen Bildern bricht sich die Gewalt ihre Bahn und schafft hin und wieder einzelne Berührungspunkte zwischen den sonst eigenständigen Erzählungen.





Meinung:
Ganz schwierige Angelegenheit, hier definitive Worte zum Film zu finden. Einerseits ist die Gestaltung der Systemkritik und Bestandsaufnahme des Underdog-Lebens im kontemporären China auf der visuellen Ebene höchst geschickt verarbeitet und angenehm unaufgeregt. Andererseits entbehrt die episodische Struktur zusammen mit der bewusst kalten Bildsprache einer emotionalen Resonanz, erlebt man in allen 4 Geschichten bei aller nüchtern-gesellschaftskritischer Brisanz doch schlussendlich immer nur den 'Triumph' der Gewalt, in zynisch-machtloser Konsequenz. In 2 Geschichten geschieht sie als plumpe, heimlich-genussvolle und gerechtfertigt-konstruierte Rache-Fantasie aus einer proletarischen Agitprop-Wut auf grundlos bösartige Ausbeutung heraus. Die dort innewohnende Dramatik kristallisiert sich zwar dank der angewandten, kunstvollen Vermittlung augenscheinlich heavy, aber doch im Grunde - wenn man über das Gesamtgefüge wirklich mal reflektiert - allzu forciert und naiv heraus.


Gewalt, die niemand aufhalten kann (oder will)
Dort wird eine objektiv-feinfühlige Charakterzeichnung nach einigermaßen sadistischen Martyrien durch bluthaltige Genre-Auswüchse ersetzt, die teilweise so Pro-Gewalt-plakativ einen Antagonisten nach dem anderen ausschalten, als wäre man auf einmal bei Kitanos OUTRAGE (Kitano ist sogar Co-Produzent dieses Films hier) oder KILL BILL gelandet. Hier darf Moral 'mal eine Auszeit nehmen'. Fragwürdig... Die anderen 2 Episoden gehen mit ihrer Beobachtung zu den zwiespältigen Lebensverhältnissen dann wenigstens objektiver, wenn auch alles andere als subversiv um und wollen eher hinterfragen, inwiefern Tradition und alteingesessene Politik in dieser Welt noch Bestand haben, wie Menschen unter ihr Überleben oder dafür sogar zu demütigenden/moralisch abstoßenden Alternativen geradezu gezwungen werden. Doch auch hier traut sich der Film nicht, irgendeine Form von Empathie zu vermitteln, will kalt bleiben und ein Bild der unausweichlichen, korrumpiert-nihilistischen Gewalt und Unterdrückung zeichnen (sowieso: recht viele, wahllose Tierquälereien), mit Charakteren, die sich denen sowieso schon machtlos ergeben haben und mit entgeisterter Umnebelung, manchmal völlig ohne nachvollziehbare Kohärenz, ihr verdammtes Schicksal beschreiten. Zum Ende dann spricht ein traditionelles Schauspiel sein Publikum als 'Allesamt schuldig' an, woraufhin dies aber nur recht ratlos jener Anschuldigung entgegenblicken kann. Zeigt Regisseur Jia Zhangke da nun doch noch echtes Verständnis für sein Volk und spricht sogar dafür, dass die einzelnen Episoden in ihrer Konsequenz ihre Berechtigung haben, sowohl in der eskalierten, 'gerechten' Gewalt, als auch in der unzufriedenen, Freitod-wählenden Demutshaltung? Oder sieht er sein Volk als verlorene Gesellschaft, unfähig zur Sozialität und Hoffnung?


So oder so, schlussendlich erscheint das Ambiente des Werks durchweg pessimistisch und abgeklärt-verkommen - der Patient China ist tot. Insofern scheint da ein harter, bitterer Kern zur Auffassung der derzeitigen Realität durch, um einen Lösungsvorschlag wird sich dennoch wieder mal nicht bemüht - da kann nur noch die Gewalt alles regeln, wenn der Film Angst davor hat, tatsächlich sein Herz zu offenbaren. Empfinde ich alles nicht gerade als ideale Empfehlung.


6,5 von 10 Amokläufen



vom Witte

1 Kommentar:

  1. Den Film habe ich letztes Jahr schon auf einem Festival gesehen, wahrscheinlich in München, und wurde nicht gänzlich kalt gelassen. Das immerhin spricht für den Film, denn obwohl ich bei der Überschrift noch an den diesjährigen Berlinale-Gewinner gedacht habe, war ich doch schnell wieder an TOUCH OF SIN erinnert. Der Film begeht durchaus richtige und lohnenswerte Pfade, das sind aber vor allem die Momente und Episoden, die wenig Gewalt beinhalten und so als fieses Sozialdrama, teils sogar Sozial-Satire hervorragend funktionieren. So richtig gelingt aber nicht die Balance zu den übrigen Teilen, die voller Zynismus nur noch den Weg der Gewalt als Lösung(?) akzeptieren.
    Für die kritische Sicht auf Chinas sozialen Wandel kann ich den 2012er Film UFO: IN HER EYES (mit Udo Kier!) empfehlen, der auf durchaus gewitztere Weise mit dem kapitalistischen Denken im Schwellenland hantiert.

    AntwortenLöschen