Review: GERMAN ANGST - Deutsche malen den Teufel an die Wand


Fakten:
German Angst
D. 2014. Regie: Jörg Buttgereit, Michal Kosakowski, Andreas Marschall. Buch: Jörg Buttgereit, Andreas Marschall, Goran Mimica. Mit: Lucia Wolf, Ewa Nurzynska, Milton Welsh, Rüdiger Kuhlbrodt, Denis Lyons, Lola Gave, Ludo Vici, Andreas Pape, Annika Strauss, Magdalena Ritter, Désirée Giorgetti, ua. Länge: 110 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Story:
Drei Episoden über Liebe, Sex und Tod in der deutschen Hauptstadt. Sei es ein Mädchen, dass sich der gesellschaftlichen Bindung entledigt, ein paar Nazis, die hilflose Ausländer attackieren oder ein Fotograf, der Erfüllung in der dunklen Unterwelt Berlins sucht.





Meinung:
Der Untergrund-Projekt „German Angst“ hat damit Aufmerksamkeit generieren können, dass drei Regisseure hier an einem episodischen Horror-Konstrukt arbeiten und dass der Film nach der ersten Prüfung von der FSK abgelehnt worden sei. Falls dem so ist, muss man auf die zweite Episode zeigen. Jörg Buttgereit, der sicherlich der bekannteste Herr im Bunde ist, hat er doch in 80ern die international bekannten „Nekromantik“-Filme gedreht, ist jedoch für die erste Episode zuständig gewesen. Michal Kosakowski zeichnet für die zweite Episode verantwortlich und Andreas Marschall der vor ein paar Jährchen den Horrorfilm „Masks“ gedreht hat, gebührt das Recht des letzten Wortes der Reise.


Können die anderen Filme auch so fesseln?
1.) Final Girl
Buttgereit fängt alsbald an, den Menschen in seiner von Close-Ups und unscharfen Rändern dominierten Episode als ein Tier zu etablieren. Ein Tier, das gar nicht weiß, wie ihm geschieht. Was einer der Aspekte ist, der sehr gern zur definierten Abgrenzung zwischen Mensch und Biest hinzugezogen wird. Der Mensch weiß nicht, wieso er gewisse Dinge macht. Vor allem nicht das klassische Final Girl des Slasher-Genres (so auch der Name der ersten Episode), das Mädchen, das bis zum Ende überlebt hat. Es hat stets eine unsichere und ungewisse Zukunft, kann sich nie sicher fühlen, da der Täter irgendwie doch noch irgendwo unterwegs ist. So viel zum klassischen Final Girl. Hier jedoch sieht man ein Mädchen, das alles andere als klassisch vorgeht. Sie lebt in einer von Verfall und Desinteresse gezeichneten Ranzbude in einem Hochhaus. Das einzige, was sauber scheint ist der Käfig ihres Meerschweinchens. Man glaubt, alles gesehen zu haben, man fühlt sich unwohl, doch in diesen Momenten, in denen man Veränderung herbeisehnt, setzt Buttgereit noch einen drauf und schmeißt dem Zuschauer mehr und mehr Informationen ins Gesicht, von denen er sich dann auch noch erholen muss. Die bedrückende Atmosphäre steht von Anfang an, das extreme Gefühl der Unsicherheit wird jedoch erst nach und nach deutlich, wenn man einen Comic Relief erwartet - und einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Tranceartig, fast schon schüchtern überliefert das Final Girl ihren Voice-Over in der Episode. Alles klingt vorgelesen, als würde sie ganz brav aus ihrem gedanklichen Tagebuch vorlesen. Und gerade wenn der emotionale Druck so stark wird, dass man sich befreien will, erweist sich das Meerschweinchen als wahrer Retter, vor dem man anfangs noch ein wenig angewidert war. Buttgereit bedrückt, verwirrt, widert an und transformiert den Zuschauer nach und nach. Elegant.


Scheiß Nazi
2.) Make a Wish

Es muss nicht einmal ein Vergleich zur guten ersten Episode herbeigezogen werden, um zu erkennen, was für eine Katastrophe die zweite Episode ist. Kosakowski bekommt es nicht hin, eine Stimmung irgendeiner Art bewusst aufzubauen. Emotionen verspürt man beim Sehen trotzdem; hauptsächlich ist es Wut darüber, was man vorgesetzt bekommt. Und dabei geht es gar nicht um die erbärmlich getimten Szenen, die sich viel zu viel Zeit lassen und dadurch sogar auch noch die Wirkung ihrer selbst verringern. Es geht vorrangig um die Menschenverachtung, Gewaltgeilheit und den Sadismus, der hier offenbart und zelebriert wird. Der ironische Raum, der von sich aus entsteht, wenn man visuell einerseits richtig saftig an der Gore-Schraube zieht und all diese Bilder mit Schlafgut-Musik unterlegt, verliert sich leider in der Bedeutungslosigkeit, da die Musik allein nicht im Stande ist, die widerlichen Fehler der Geschichte auszugleichen. Die Intention wird erst nach einer halben Stunde am Rande erkennbar, jedoch noch im gleichen Atemzug dadurch gehörig in den Sand gesetzt, dass die Gier der Gewalt unstillbar scheint. Vergleichsweise mag der Film nicht allzu brutal sein, der geneigte Fan hat all das schon schlimmer, blutiger und expliziter gesehen, jedoch ist es diese misanthropische Einstellung, die anwidert und der FSK wahrscheinlich sauer aufstieß. Verachtend, ekelerregend und ehrlich gesagt strunzdumm. Eine filmische und ethische Vollkatastrophe.


Ich würde damit ja mal zum Arzt gehen
3.) Alraune

Andreas Marschall schafft das visuell eindrucksvollste Segment dieser Kollaboration. Die Atmosphäre kommt vor allem durch die vielen Kniffe und die interessante Beleuchtung zu Stande, die die Neugier stets hoch hält, wodurch auch der ein oder andere lange Moment zu verschmerzen ist. Wir folgen einem Fotografen in der Berliner Kunstszene, ein professioneller Voyeur, wenn man so will, der von ganz oben nach ganz unten alle Stationen abgeklappert hat und nun eine ihm fremde Welt erkunden will. Er will seinem Abwärtssturz ein Ende bereiten und sucht die Erfüllung in der Selbstzerstörung, die dadurch noch tragischer wird, dass die Menschengruppe es als Selbstoptimierung ansieht. Das Verlangen nach mehr, die Habgier, die krankhafte Sucht nach dem Unbekannten. All das geht nach hinten los und Eden (der Fotograf), der erst die Zerstörung sucht und sich später widersetzen zu können scheint. Marschall fährt wirklich vieles auf und bietet Schauwert über Schauwert. Und das nicht in der billigsten Manier. Je weiter Eden in den Schlund des Verderbens zu schreiten scheint, desto extremer und undeutlicher wird das Spiel mit Handlungs- und Zeitebenen und vor allem das Spiel mit dem zuschauereigenen Verstand. Aber dennoch mag der Funke im Mittelteil nicht so Recht überspringen. Ein ansehnlicher Trip, der letzten Endes auch einigermaßen viele Höhepunkte liefern kann, der einen jedoch ein wenig hilflos zurücklässt.


„German Angst“ ist ein sehr holpriger, weil qualitativ wechselhafter Ritt geworden, der zwar schnell über die Bühne geht, aber von interessant bis verwerflich alle Bereiche abdeckt. Die erste Episode von Jörg Buttgereit ist durchdacht, vermag mehr mit dem Zuschauer anzustellen, als sich in Worte fassen lässt und ist in seiner 25-minütigen Kompaktheit schlicht und ergreifend ein rundes Erlebnis. Die zweite Episode ist eine Frechheit und würde als alleinstehender Film wahrscheinlich hetzende Hasstirade verschmäht werden. Und das ist sie gewissermaßen auch. Das Ende von Andreas Marschall fährt dagegen mit durchdachten Reizen auf, die den Zuschauer bei der Stange halten, die zeigen, dass der Mann talentiert ist und einen freien Kopf hat. Da darf gerne mehr kommen. Was bleibt unter dem Strich? Gut, beschissen, ganz nett. Eine unterdurchschnittliche Wertung würde den beiden äußeren Episoden nicht gerecht werden, obwohl der Mittelteil weit, weit  unter Durchschnitt ist.


5 von 10 Muschelverstümmelungen


von Smooli

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