Review: ROTER DRACHE - Altes neu aufgetischt


Fakten:
Roter Drache (Red Dragon)
USA, 2002. Regie: Brett Ratner. Buch: Ted Sally, Thomas Harris (Vorlage). Mit: Edward Norton, Anthony Hopkins, Ralph Fiennes, Harvey Keitel, Emily Watson, Mary-Louise Parker, Philip Seymour Hoffman, Anthony Heald, Ken Leung, Frankie Faison, Tyler Patrick Jones u.a. Länge: 120 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
FBI-Profiler Will Graham hat sich eigentlich zur Ruhe gesetzt, als ihn sein Vorgesetzter Crawford um die Mithilfe bei einem Fall bittet. Der Serienkiller „Die Zahnfee“ tötet bei Vollmond ganze Familien, die Ermittler haben keine heiße Spur. Widerwillig nimmt Graham an, steht aber bald selbst auf dem Schlauch. Da der nächste Vollmond naht, muss er einen Pakt mit dem Teufel eingehen: Er sucht die Unterstützung von Dr. Hannibal Lecter, dem kannibalischen Psychiater, den er zu Letzt hinter Gitter brachte und dabei fast sein Leben verlor.



Meinung:
Nach der von der Kritik zwar umstrittenen, kommerziell dafür sehr erfolgreichen Wiederbelebung des ikonischen, kultivierten Kannibalen Dr. Hannibal Lecter in „Hannibal“ wollte man sich die Chance auf einen weiteren Hit nicht entgehen lassen. Da ein Jahr später natürlich noch keine neue Geschichte von Autor Thomas Harris vorlag, ging man eben den Weg der Neuverwertung. Harris‘ erster Lecter-Roman wurde einfach nochmal verfilmt. Bereits 1986 entstand unter der Regie von Michael Mann mit „Manhunter“ eine filmische Adaption des Stoffs, ging seiner Zeit allerdings an den Kinokassen gnadenlos unter. Vielen Menschen war der Film gar kein Begriff, als 1991 mit der Umsetzung des Folgeromans „Das Schweigen der Lämmer“ ein Welthit geschaffen wurde, der fünf Oscars abräumte und Anthony Hopkins für seine unfassbare Interpretation des gebildeten, hochintelligenten und diabolisch-manipulativen Monsters hinter Plexiglas zum Superstar machte.


Back in the Game...
Der Neustart ist somit vom wirtschaftlichen Standpunkt bald logisch, birgt natürlich dennoch ein großes Risiko, aus unterschiedlichen Gründen. Mal unabhängig zu der teilweise zwar nachvollziehbaren, nichtsdestotrotz in der Radikalität zu massiven Unterschätzung von Michael Manns Film (dazu gleich), schon „Hannibal“ blieb weit hinter den Erwartungen zurück und musste sich einiges an herber Kritik gefallen lassen. Der Regisseurs des Film, Ridley Scott, trägt daran die geringste, um nicht zu sagen gar keine Schuld. Ganz im Gegenteil, gerade durch ihn und seine Leistung ist die Verfilmung von „Hannibal“ eigentlich mehr wert, als es die Grundlage hergibt. Der schwarze Peter zu dem deutlichen Qualitätsabsturz von „Das Schweigen der Lämmer“ zu „Hannibal“ liegt eindeutig bei Thomas Harris, der schlicht nicht das Niveau halten konnte. War „Das Schweigen der Lämmer“ in Buch und Film noch ein exzellenter Psychothriller, war „Hannibal“ bereits in der literarischen Version getrüffelter Pulp. Exploitativer Edel-Trash, den Scott bald irritierend elegant auf die Leinwand brachte und der Diskrepanz aus brutalem Blödsinn und berauschender Inszenierung eine ganz eigene Note verlieh, eigentlich doch den Geist des Buchs einfing, besser als es dieses wohl selbst geplant hatte. „Hannibal“ war extrem wüstes, teils absurdes Kino mit überkandidelten Figuren und Konstellationen, serviert als elitäres Dinner im klassischen Ambiente. Exakt damit traf Scott die merkwürdige Wechselwirkung des Hannibal Lecter auf den Punkt: Ein abscheuliches, perverses Monster, gleichzeitig der eloquente, gebildete und angepasste Weltbürger. Ein Wiederspruch in sich, was Scott damals grandios (und meistens verkannt) in Bilder verpacken konnte.


Von hinten schöner als von vorne...
Das nächste „Problem“ einer Neuverfilmung hat zwei Seiten: Obwohl „Manhunter“ damals ein Flop war, inszenatorisch ist er über jeden Zweifel erhaben. Michael Mann gelang ein betörender, beinah hypnotischer Großstadtthriller, dem er einen ganz eigenen, individuell-mutigen Stempel aufdrücken konnte. Von den Bild- und Tonarrangements mitten in seinem Entstehungszeitraum verankert und trotzdem sehr visionär, gewagt ging Mann zu Werke, tauchte die Handlung in einen aufsaugenden Strudel, dessen Klasse (flächendeckend) erst später entsprechend gewürdigt wurde. Künstlerisch ist der Film heute noch bemerkenswert, sein größtes Mängel – abgesehen von der Tatsache, dass er damals einfach eine B-Movie-Version einer noch nicht kultisch verehrten Romanvorlage war - ist aber weiterhin vorhanden. „Manhunter“ änderte speziell das letzte Drittel des Buchs extrem ab, beraubte sich selbst des ursprünglichen Finales. Mann orientierte sich am Werk von Harris, was aber nicht akribisch auf eine getreue Abhandlung fixiert. Um nun (endlich) zu diesem „Roter Drache“ zu kommen: Der ist ganz dicht am Buch, was ein klarer Vorteil ist. Denn qualitativ sind die Romane von „Roter Drache“ und „Das Schweigen der Lämmer“ nicht so weit voneinander entfernt, zumindest nicht so weit wie zu „Hannibal“. Der psychologische Schwerpunkt liegt klar bei „Das Schweigen der Lämmer“, allein durch das penible, sezierende Psycho-Duell zwischen Clarice Starling und Hannibal Lecter, von seiner durchdachten und spannungsfördernden Dynamik sind sie sich sehr ähnlich.


Maßnehmen fürs Glasauge.
„Roter Drache“ hat somit eigentlich alles, was es für einen erstklassigen Thriller braucht. Er hat eine tolle Geschichte, er hat die entsprechenden Mittel aus der Produktionskasse, einen grandiosen Cast und den Hype um Hannibal Lecter im Rücken, wo ist denn das Problem? Es klingt so schlicht, aber es ist entscheidend: Dieser „Roter Drache“ hat keine eigene Handschrift, nicht im Ansatz. Ihm fehlt es an dem brillanten Moment von Jonathan Demme sowie dem autarken Dasein von Michael Mann und Ridley Scott. Es ist eine sehr solide, brave und konforme Transformation des geschriebenen Wortes auf die große Leinwand mit (nun) viel Budget und Starpower. Der erlaubt sich keine Ausreißer, keine Fehler aber auch keine Experimente, verlässt sich rein auf seine Rahmenbedingungen und fährt damit mutlos-sicher. Brett Ratner ist dafür der ideale Mann, der hat nie und wird nie so was wie einen eigenen Stil entdecken, der macht halt. Man sieht alles, man hört alles, Text war okay, die Darsteller sind erprobt genug, super, fertig. „Roter Drache“ ist lupenreines und jederzeit spannendes Thriller-Kino, das leider zu konform und austauchbar daherkommt. Die einzigen Abänderungen sind auch nur berechnend, klar muss Anthony Hopkins als „Star“ (obwohl die besten Szenen einzig und allein Ralph Fiennes auf sich vereint) mehr Raum bekommen als in der Vorlage, selbst das ist eher ein Kritikpunkt. Erstmal ist Hopkins zu alt für die Rolle (als Prequel, also bitte, das sieht man) und „seine“ Szenen wirken bald schon dreist bei „Das Schweigen der Lämmer“ kopiert, da merkt man schon die Mutlosigkeit bzw. die Planungssicherheit, alles bloß „richtig“ zu machen.


„Roter Drache“ ist ein durchaus guter Film, aber er könnte so toll sein. Ihm fehlt nicht nur die Kirsche, sondern gleich die ganze Sahne auf dem Eis. Bei Demme hatte man alles, bei Mann und Scott fehlten entweder Kirsche, Sahne oder Eis, aber dafür gab es Gründe. Die Gründe hier sind eher schleierhaft bzw. eben nicht, da beruhend auf dem konventionellen Dasein: Guter Standard, für die Möglichkeiten schon zu wenig. 

6 von 10 brennenden Rollstühlen

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