Review: WIR WAREN KÖNIGE - Neue Deutsche Härte?



Fakten:
Wir waren Könige
D. 2014. Buch und Regie: Philipp Leinemann. Mit: Frederick Lau, Ronald Zehrfeld, Misel Maticevic, Thomas Thieme, Bernhard Schütz, Hendrik Duryn, Tilman Strauss, Felix Göser, Urs Rechn, Simon Werner, ua. Länge: 107 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-Ray erhältlich.


Story:
In einer deutschen Großstadt reagiert nichts und niemand. Die Polizei ist relativ machtlos und generell viel mehr damit beschäftigt, dass die eigenen kriminellen Machenschaften nicht aufgedeckt werden. Wer interessiert sich da schon für ein paar Scharmützel, wenn frustrierte Jugendbanden tagtäglich aufeinander einschlagen?





Meinung:
Gangster haben es nicht leicht in der deutschen Filmlandschaft. Zwar sieht man sie mindestens jeden Sonntag im „Tatort“, aber sein wir mal ehrlich: Neu, abwechslungsreich, tiefgreifend und mutig sind da die wenigsten Folgen, was die Bösewichte betrifft. Im Kino handelt es sich bei den Kriminellen oft um Menschen, die man wohl gelinde gesagt als Deppen bezeichnen könnte - und so werden sie auch inszeniert. Idioten, die nichts gebacken bekommen, mit Assideutsch irgendwelche langweiligen Spießer aufrütteln und am Ende haben sich alle lieb. Der Spießer ist ein bisschen weniger spießig und der Gangster hört auf kriminelle Sachen zu machen. Dieser romantisierten Sichtweise verweigert sich Philipp Leinemann hier auf ganzer Linie.


Interne Probleme werden maskulin durch Anstarren gelöst
Der Film fängt visuell mit einem eingeblendeten Zitat von Johann Wolfgang von Goethe an, welches alles andere als dezent von brachialen Gangster-Rap klängen hinterlegt wird. Eine Mische, die ebenso zum Scheitern verurteilt ist, wie die Existenzen der Menschen, denen der Film den nächsten 100 Minuten folgen wird. Die Polizisten richten bei einer Durchsuchung ein Chaos an und lassen den Frust darüber untereinander aus. Kameradschaft zwischen den gebildeten Grüppchen geht nur so weit, bis sie wirklich fordert und anstrengend wird. Der Druck, der auf der Polizei lastet, kommt jedoch nicht nur von innen, sondern vor allem von außen. Und das in einem Maße, das schon fast unvorstellbar erscheint. Wer hat noch nicht grundlosen Hass gegenüber Polizisten mitbekommen? Wer hat noch nie den Schriftzug ACAB gesehen? Die Polizisten sind Freunde und Helfer von und für eine Gesellschaft, die ihnen weniger Signifikanz beimisst, als all den Straßenkriminellen, die sich mit Gewaltdelikten die Zeit vertreiben. Das wird besonders bitter, wenn der Film ein paar Minuten auf dem Buckel hat und die Szenerie Newtons drittem Gesetz gleich. Auf jede Aktion folgt eine umgekehrt gleichstarke Reaktion. Die Gewaltspirale dreht sich und dreht sich, nur ihr Radius wird immer enger, sodass mehr Gewalt auf weniger Fläche Platz finden muss. Und irgendwann den Rahmen sprengt.


Überraschungsparty a la SEK.
Deutsche Filme werden oft verpönt und das gar in dem Maße, dass manche Zuschauer sicherlich  gute Filme nicht erkennen und akzeptieren können, weil sie in Schland produziert wurden. Um es einmal klar und deutlich zu sagen: Technisch-atmosphärisch kann sich die Arbeit von Leinemanns zweitem Film durchaus sehen lassen. Der ganze Film ist aus einem Guss, vergeht sogar fast schon wie im Fluge und kann mit Spannung und Dramatik aufwarten. Und dann muss man auch etwas hervorheben, worauf der Verfasser dieser Zeilen oft empfindlich reagiert: Schauspielerische Leistungen. Die Darsteller decken auch in dieser Produktion fast die gesamte Bandbreite ab, zeugen aber auch von einem glücklichen Händchen, was die Besetzung angeht. Die hölzernen Leistungen sind nämlich beinahe ausnahmslos in den kleineren Nebenrollen zu finden, die soliden bis guten Leistungen jedoch in den Hauptrollen. Und Frederick Lau wird eh sträflich unterschätzt. Neben all den Pluspunkten reihen sich allerdings auch einige Punkte ein, die teilweise mehr als nur verbesserungswürdig sind. Ist der Stil der Produktion zwar eher ein Wagnis in der jüngeren Filmlandschaft, kann man die Geschichte leider nicht als Solches bezeichnen. Zu oft gibt der Film sich mit Klischees zufrieden, zu oft wird mehr Wert auf Geschrei und (emotionale) Explosionen gelegt, sodass die Zwischentöne des psychologischen und moralischen Zerfalls komplett unter den Teppich gekehrt werden.


Das zwanghafte Verlangen, den Zuschauer emotional zu beeinflussen, überschattet im Film leider zeitweise die atmosphärische Arbeit der Inszenierung und hinterlässt einen Eindruck, als wollte der  Film mehr sein, als er letztendlich geworden ist. Auf der einen Seite ist das enttäuschend, auf der anderen Seite steht auch viel auf der Pro-Liste. In manchen Momenten mag das Werk anstrengend sein, auf die lange Sicht hingegen entfaltet sich nach und nach ein Milieu, in der das einzige Recht jenes der Rache ist. In der das einzige, worauf Verlass ist, ist, dass man auf gepflegt auf die Fresse bekommt, wenn die Zeit gekommen ist. Jeder ist Jäger und Gejagter, Täter und Opfer und schuldig. Die Polizei vielleicht sogar noch mehr als die Kriminellen. Wer die titelgebenden Könige eigentlich sein sollen, weiß man über die Laufzeit hinweg nicht. Niemand scheint edel, niemand scheint mächtig, niemand scheint über anderen zu stehen. Doch dann, ganz am Ende, bringt Leinemann alles auf den Punkt und stößt die Maschinerie im Kopf des Zuschauers an. Könige? Das waren sie einmal, in einer vergessenen Zeit. Bevor Hass aufschäumte und dominierte und als noch niemand wusste, dass man sich selbst soweit verlieren kann, dass selbst die eigene Vergangenheit seltsam fremd erscheint.


6 von 10 Frederick Laus


von Smooli

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