Fakten:
Diary oft he Dead
USA, 2007. Regie & Buch: George
A. Romero. Mit: Michelle Morgan, Joshua Close, Shawn Roberts, Amy Lalonde, Joe
Dinicol, Scott Wentworth, Philip Riccio, Chris Violette, Tatiana Maslany, Todd
Schroeder u.a. Länge: 92 Minuten. FSK: Freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD und
Blu-ray erhältlich.
Story:
Der Filmstudent Jason, seine
Freundin Debra und ein aus Mitstudentin bestehendes Filmteam drehen einen
Horrorfilm für die Uni, als im Radio erste Meldungen von wiederauferstehenden
Toten laufen. Verzweifelt und verängstigt versucht die Gruppe, sich zu ihren
Familien und Freunden durchzuschlagen. Doch Jason beschäftigt ein ganz anderes
Problem: Weil er die Verlogenheit der Berichterstattung anprangert, lässt er
auf der Flucht vor den Untoten gnadenlos seine Kamera mitlaufen und
dokumentiert den Angriff der Zombies, um sie später über das Internet der
Allgemeinheit zugänglich zu machen.
Meinung:
„Wenn du und die Kameras nicht
dabei waren, ist es dann überhaupt geschehen?“
…oder die Metapher mit dem
umfallenden Baum und dem Geräusch, das niemand hört. „Diary of the Dead“ ist
der Neuanfang nach dem Neuanfang bzw. nach dem konsequenten Ende. George A.
Romero war mit „Night of the Living Dead“ der Vater des modernen Zombiefilms,
interpretierte den haitianischen Mythos des lebenden Toten neu und stampfte
damit ein ganzes Subgenre aus dem Boden. Er selbst ließ mit „Zombie – Dawn of
the Dead“ und „Day oft he Dead“ („Zombie 2 – Das letzte Kapitel“) noch zweit
weitere Filme folgen, die seine Trilogie vom Untergang der Menschheit als
Allegorie auf deren selbstzerstörerische Natur vollendete. Danach blieb es
verhältnismäßig ruhig um ihn, seine weiteren Arbeiten erreichten nicht
ansatzweise den Stellenwert seines Lebenswerks. Bis ausgerechnet ein Remake –
das von Zack Snyder zu „Dawn of the Dead“ – ein großer Hit wurde, mit dem zwei
Jahre vorher erschienenen, artverwandten Erfolg „28 Days Later“ von Danny Boyle
im Rücken dem inzwischen mausetoten Treiben wieder eine Bühne gab. Romero
lieferte mit „Land…“, Diary…“- und „Survival of the Dead“ direkt im Anschluss
eine neue Trilogie ab. Dieses Mittelstück ist tatsächlich der einzige Film der Reihe,
der sich inhaltlich mit den realen Entwicklungen aus den vergangenen 20 Jahren
zu seinem letzten Zombiefilm beschäftigt.
Immerhin: Der Verkehr wird noch geregelt. |
Während „Land of the Dead“ noch als
theoretische Weiterführung der Geschehnisse, oder zumindest als relativ zeitgleiche
Parallelhandlung von „Day of the Dead“ zu verstehen war – einem Zeugnis der gesellschaftlichen
Struktur nach der Machtergreifung des lebenden Todes, das die Menschen in der
Rolle der bedrohte Minderheit auf ihr Klassen- und Machtschichten reduziert als
hässliche, egoistische und brutale Spezies entlarvte -, setzt „Diary of the
Dead“ den Zeiger zurück auf die Null, zumindest fast. Er schildert erneut das
plötzliche Aufkeimen einer unbegreiflichen Epidemie, die innerhalb kürzester
Zeit für Chaos, Tod und Anarchie sorgt. Inhaltlich somit eher an Romeros Prunk-
und Mittelstück „Zombie – Dawn of the Dead“ angelehnt, sowie von seiner
aktuellen Kritik, die bei „Land of the Dead“ eher allgemeingültig, zeitlos
angesiedelt war, in praktisch jeder Menschheitsepoche spielen und funktionieren
könnte. Klassendenken, die Unterjochung und Ausbeutung des Pöbels durch die
Wohlhabenden, gab es immer und wird es immer geben. 1978 bei „Dawn…“ kam zu dem
alle Filme umfassenden, portraitierenden Niedergang von menschlichem Anstand,
Moral und Ethik im Ausnahmezustand – der die Zombieplage als eine auslösenden,
von außen lauernde Bedrohung darstellte, die im Umkehrschluss die Überlebenden
zur Selbstzerfleischung antrieb - eine zweite, viel mehr am realen Leben
verankerte „Tugend“ des Menschen, ein sehr direkter Zeitbezug hinzu, der den
Film zu weit mehr machte, als „nur“ einen hervorragender Survival-Schocker. Die
dort zum Hauptschauplatz des Geschehens genutzte Shoppingmall zog die Untoten
nicht nur mit der Hoffnung auf warmes Frischfleisch an. Der Konsumtempel war über
den Tod hinaus ein Fixpunkt geworden.
Vielleicht finden wir noch Aktivität... |
Nun, fast 30 Jahre später, hat sich
die exzessive Verbrauchsgesellschaft nicht unbedingt zum Besseren entwickelt,
es sind lediglich neue Phänomene hinzugekommen. Mit „Diary of the Dead“ findet
Romeros Weltuntergangsphantasie im Zeitalter der neuen Medien, der digitalen,
vernetzten Generation YouTube statt. Sie startet bewusst von vorne, ein Reboot,
das alten Wein in neuen Schläuchen serviert. Angemessen (darüber lässt sich
sicher streiten) im Found Footage-Stil, dem oft und gerne verwendeten
Wackel-Dackel der Low-Budget-Schule. Daran muss man sich als Kenner und Fan der
klassischen Romero-Filme erst stark gewöhnen, die Wahl der Waffe erscheint im
inhaltlichen Kontext durchaus sinnvoll und konsequent. Konsequenz steht bei dem
Einsatz dieser Methode allerdings nicht an höchster Stelle, für einen Found
Footage-Film ist „Diary of the Dead“ immerhin schön augenfreundlich, ein
Mittendrin-Gefühl, einen vorgegaukelten Realismus der Aufnahmen erzeugt Romero
dabei nicht wirklich. Da ist nie etwas unscharf, immer gut ausgeleuchtet, die
Bewegungen nie zu hektisch, das fühlt sich keinesfalls „echt“ an. Das erspart
einem zwar einen synaptischen Kollaps mit hohem Nervfaktor, aber wenn ich schon
diesen Weg gehen will, sollte ich keine Scheu vor Experimenten haben. Wie so
was auch thematisch vergleichbar exzellent funktioniert, bewies ausgerechnet im
selben Jahr die spanische Perle [REC], dem dieser Film in Sachen Tempo,
Beklemmung und unbändigem Terror nie das Wasser reichen kann und zunächst nur
wie der Versuch eines alten Mannes wirkt, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen,
der nicht in seine Richtung fährt.
Kein Mann vieler Worte... |
Plötzlich ist es wieder da, dieses
Romero-Gefühl. Der Weg dahin war nicht ohne Stolpersteine, lässt sich nicht
gänzlich schön reden, aber am Ende findet er wieder in die Spur. Nicht sein
bester, dennoch ein nicht unwürdiger Film, der seine wahren Qualitäten erst
spät vollends entfaltet. Besser spät als nie.
„Sind wir es wert gerettet zu
werden? Sag du es mir…“
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