Review: THE NEON DEMON – NWR und die Faszination der Oberfläche

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Fakten:
The Neon Demon
DK, FR, US. 2016. Regie: Nicolas Winding Refn. Buch: Mary Laws, Polly Stenham, Nicolas Winding Refn. Mit: Elle Fanning, Karl Glusman, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Christina Hendricks, Keanu Reeves u.a. Länge: 117 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Im Kino.


Story:
Die hübsche und zurückhaltende Jesse kommt mit gerade einmal 16 Jahren nach Los Angeles, um dort als Model zu arbeiten. Die Branche ist begeistert von ihrer Natürlichkeit, doch alsbald ruft das auch zahlreiche Neider auf den Plan. Bald verwandelt sich Jesses Traum in einen Alptraum.




Meinung:
Von der Kritik zerrissen und in Cannes ausgebuht, dazu ein Titel, den sich selbst der größte Refn-Fanboy nicht besser hätte ausdenken können. Ja, auch Nicolas Winding Refns neuster Streich ist ein Dorn im Auge zahlreicher Zuschauer. Nach dem bereits mehr als kontrovers diskutierten „Only God Forgives“ treibt der eigensinnige Regisseur seinen Stil weiter auf die Spitze, provoziert dadurch fast schon seine Kritiker. Dass auch „The Neon Demon“ ein inszenatorischer Augenschmaus ist, steht außer Frage, was der Film jedoch darüber hinaus zu bieten hat ist ein streitbares und dadurch enorm interessantes Thema.


Tödlich schön?
Wo soll man anfangen, bei einem Film, dessen Anfang bereits unmissverständlich auf das Ende verweist? Vielleicht bei einer Spoilerwarnung (die sich in Anbetracht des minimalistischen Narratives fast schon als lächerlich erweist), denn ohne kann kaum eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Film stattfinden. „The Neon Demon“ setzt sich von den gängigen Mechanismen einer klassischen Erzählung ab, zumindest auf der inhaltlichen Ebene. Auf der formalen Ebene kann man jedoch keinesfalls von einer komplett neuartigen Herangehensweise sprechen, zwar schafft Refn es durchaus etwas Eigenes zu schaffen, und doch ist sein Stil sicherlich auch ein Rückbezug. Die Einflüsse sind dabei vielfältig, sicherlich haben die Giallis rund um Dario Argento („Suspiria“) und Mario Bava („Blutige Seide“) etwas mit der Atmosphäre und Farbgebung des Films zu tun. Gewissermaßen bezieht er sich sogar auf die Stummfilmzeit, denn Refn macht unmissverständlich klar, dass sein Kino ein visuelles ist. Vielmehr ruft er sogar dazu auf, dass sich die Kunstform Film stärker auf ihre Bilder verlassen soll, ja „The Neon Demon“ ist ein Plädoyer für die Macht der Bilder und das visuelle Erzählen. An einer Stelle heißt es: „Beauty isn’t everything, it’s the only thing“, laut Refn könnte es auch lauten: „Pictures aren’t everything, they’re the only thing“.


Der Anfang vom Ende?
Essentiell ist natürlich auch das Sujet, mit dem sich Refn hier auseinandersetzt. Von vielen Seiten wird ihm vorgeworfen, er wäre lediglich daran interessiert die Oberflächlichkeit der Modebranche zu porträtieren und würde sich dadurch mit seinem Fokus auf optische Schauwerte selbst deklassieren. Das stimmt einerseits zumindest insofern, dass der dänische Regisseur in Hinblick auf die Model-Industrie natürlich nichts Neues ans Tageslicht fördert. Wir sehen selbstverliebte Menschen, exzentrische Fotografen, neidzerfressene Konkurrentinnen und durchlaufen die üblichen Klischees von Schönheitsoperationen über Diäten bis hin zum drohenden Karriereende mit 21. „The Neon Demon“ reduziert seine Figuren maßgeblich auf ihre äußere Form, jedoch nicht, weil Refn sich nicht für sie interessiert, sondern weil ihr Umfeld es fordert, weil sie sogar selbst auf diese Oberflächlichkeit beschränkt werden wollen. Immer wieder treibt der Film diesen Punkt auf die Spitze, wenn er menschliche Körper in geometrische Formen überführt und dadurch unmissverständlich deutlich macht, dass diese reine Oberflächlichkeit nichts Natürliches oder Menschliches mehr an sich hat. Es gibt viele Filme, die sich mit dem Innenleben ihrer Figuren beschäftigen, doch nur wenige, die sich im selben Maße mit Äußerlichkeiten auseinandersetzen. Refn reflektiert darüber und unverdienterweise wird ihm deswegen fehlender Tiefgang vorgeworfen.


Figur oder Körper?
Vordergründig ist „The Neon Demon“ natürlich ein Film über die Model-Industrie, doch im eigentlichen Sinne beschäftigt sich Refn mit menschlichen Oberflächen. Zu Beginn arbeitet er unermüdlich mit Spiegeln, fängt die Körper und Gesichter der Figuren dadurch oft mehrmals in jeder Einstellung ein. Es betont die Oberflächlichkeit, die Reduktion auf äußere Formen, die unweigerlich beim ersten Kontakt zweier Individuen entsteht. Bald zerbrechen jedoch diese Spiegel (im wahrsten Sinne des Wortes) und natürlich ist es die Scherbe aus einem solchen, mit der sich die Protagonistin Jesse an der Hand verletzt. Ihre Oberfläche ist durchtrennt, die Grenze zwischen Innen und Außen geöffnet. Doch Jesse selbst beharrt weiterhin auf die äußere Form, sie will nicht, dass jemand sich ihren inneren Werten nähert, Liebe weist sie zurück. Es ist unklar, ob Unsicherheit oder Unverständnis dahintersteckt, doch für sie, wie auch für fast alle anderen Figuren des Films, gibt es nur Äußerlichkeiten. Und das ist nicht, wie fälschlicherweise angenommen, eine Abrechnung mit der Modewelt, sondern vielmehr eine überspitzte Kritik an der Oberflächlichkeit in unserer heutigen Gesellschaft. Ein Zerrspiegel, denn nur in einem geeigneten Umfeld kann eine solche Branche überhaupt gedeihen.


Schöne Menschen sieht man reichlich
Doch „The Neon Demon“ ist keinesfalls ein Film, der rein auf interpretatorische Ansätze angewiesen ist. Davon abgesehen ist er ein inszenatorisch wie atmosphärisch wirkungsvolles Werk, welches sich unmöglich auf ein Genre festmachen lässt. Wenn die psychedelische Technokulisse über die Szenerie wabert und Refn gewohnt kryptisch und vage erzählt, dann generiert das an erster Stelle Unbehagen und Anspannung. Jede Aktion, jede Bewegung scheint mit ausreichend Wirkung versehen zu sein. Ein Film, der zunächst erlebt werden muss, ein Film, der seine Zuschauer in einem Rausch aus Farben und Bilder bindet. Dabei ist „The Neon Demon“ überaus angreifbar, vielleicht noch mehr als andere Filme Refns, denn er ist über die Maße schwer zu fassen und man hat das Gefühl er bestünde aus unzähligen Kleinigkeiten. Kleinigkeiten, bei denen nicht jede zu überzeugen vermag und noch mehr gar nicht gedeutet werden können. Doch den Film zu sehen ist eine überaus persönliche Erfahrung, weil er das Medium Film und auch die eigenen Sehgewohnheiten an bestimmte Grenzen treibt. Denn letztlich ist „The Neon Demon“ selbstreflexives Kino, nicht wie wir es bisher kannten, aber so wie es im Jahr 2016 sein muss.


Über „The Neon Demon“ zu schreiben ist eine undankbare, bisweilen auch frustrierende Aufgabe. Auch wenn es die Länge des Textes nicht unbedingt impliziert, so werden diejenigen, die den Film bereits gesehen haben, diese Empfindungen durchaus nachvollziehen können.  Denn es ist schwer Worte für ein Werk zu finden, das so sehr von seinen Bildern lebt und noch schwerer die unzähligen und zum Teil auch widersprüchlichen Gedanken, die einem während der Sichtung durch den Kopf schweben, in produktive Bahnen zu lenken. Abschließend bleibt lediglich zu sagen: Schaut euch diesen Film an, egal ob ihr ihm letztlich etwas abgewinnen könnt oder nicht, denn „The Neon Demon“ verdient es gesehen zu werden.


7 von 10 unverdauten Augäpfel 

Review: CONJURING 2 – Geisterjagd, die Zweite!

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Fakten:
Conjuring 2 (The Conjuring 2)
US. 2016. Regie: James Wan. Buch: Chad Hayes, Carey Hayes, James Wan, David Leslie Johnson. Mit: Vera Farmiga, Patrick Wilson, Madison Wolfe, Frances O’Connor, Simon McBurney, Maria Doyle Kennedy, Franka Potente, Sterling Jerins u.a. Länge: 134 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Im Kino.


Story:
England, 1977. Die alleinerziehende Mutter Peggy lebt mit ihren vier Kindern in einem Haus in Enfield. Immer wieder kommt es nachts zu mysteriösen Vorkommnissen, die sich immer Laufe der Zeit stetig verschlimmern. Das ruft zahlreiche Geisterforscher und Dämonologen auf den Plan, darunter auch Ed und Lorraine Warren, die nach einem besonders schwierigen Fall in Amityville jedoch auch noch mit eigenen Problemen zu ringen haben.




Meinung:
Es ziemlich genau drei Jahre her, dass James Wans Horrorfilm „Conjuring“ in den internationalen Kinos lief und einen nicht zu verachtenden Hype generierte. Was für viele Zuschauer der beste Horrorfilm der letzten Jahre ist, stellt für andere einen völlig überbewerteten Streifen dar. Unbestritten ist jedoch der finanzielle Erfolg, und deswegen war es auch nur eine Frage der Zeit, dass uns nach dem letztjährigen Spin-off „Annabelle“ nun die offizielle Fortführung „Conjuring 2“ in den Kinos erwartet.


Geister sorgen gerne mal für Unordnung!
Zunächst macht „Conjuring 2“ da weiter, wo sein Vorgänger aufgehört hat. Einige Jahre nach dem Spuk in Rhode Island heißt es bei den Geisterjägern Ed und Lorraine Warren business as usual und sie ziehen weiterhin kreuz und quer durchs Land um Familien von dämonischen Erscheinungen zu befreien. Zeitgleich richtet der Film sein Augenmerk auf eine Familie in Enfield, die erwartungsgemäß ebenfalls den typischen Kreislauf der Haunted-House Heimsuchungen durchmacht. Was mit weggezogenen Decken, knarrenden Türen und Stimmen in der Dunkelheit beginnt, nimmt alsbald extremere Züge an. Aufgrund Wans gekonnter Regie erzeugt der Film dadurch immer wieder unheimliche Momente und sorgt stellenweise sogar für Gänsehaut. Überraschenderweise erreicht „Conjuring 2“ seinen Höhepunkt dabei schon gegen Ende der ersten Hälfte, noch bevor die Geisterjäger überhaupt in England ankommen. Das macht die erste Stunde des Films zu einer spürbar konzentrierten Steigerung an wirkungsvollen Horrorszenen, obgleich sich Wan einmal mehr etwas zu sehr auf Jump Scares verlässt. Atmosphärisch dicht, stilsicher inszeniert und stellenweise wirklich schaurig könnte die erste Hälfte daher fast schon als eigener Film fungieren. Dass „Conjuring 2“ danach noch über eine Stunde dauert, spricht dann leider doch gegen den Film.


Nur ein Gemälde?
Denn sobald die selbsternannten Geisterjäger Ed und Lorraine in Enfield ankommen, gerät der Film zusehends aus dem Gleichgewicht. Immer wieder wiederholt Wan dann seine Spuksequenzen, bis sich die Heimsuchung letztlich erschöpft hat und jeglicher Wirkung im Nichts verpufft. Dazu streut der Regisseur immer wieder persönliche Elemente der Figuren mit ein und zieht das Ganze dadurch nur weiter in die Länge. Es hat durchaus seinen Grund, dass Filme dieses Subgenres zumeist eine Laufzeit von 90 Minuten haben. Wan wäre durchaus dafür zu loben die bestehenden Mechanismen des Genres etwas aufzulockern, doch leider funktioniert genau das im fertigen Film eben nicht. Er verändert Erzählrhythmus und versucht den Film gegen Ende sogar in ein Charakterdrama zu verwandeln, ein Konzept das schlichtweg nicht aufgeht. Was hängen bleibt sind einzelne Szenen, die für sich genommen wirklich gelungen sind, doch als zusammenhängender Film funktioniert „Conjuring 2“ nur bedingt. Hier verschenkt man einiges an Potential, hätte eine straffere Version der Geschichte doch wirklich gut sein können. Dafür gibt sich Wan dem Genre dann aber doch zu wenig hin und vertraut vielleicht auch ein Stück weit zu wenig auf seine eigenen Fähigkeiten.


Kurzum gesagt, auch „Conjuring 2“ hält sich wie sein Vorgänger stark an die altbekannten Mechanismen des Haunted-House Genres. Das muss, wie „Conjuring“ vor einigen Jahren bereits bewiesen hat, jedoch keinesfalls negativ sein. Vielmehr ist es das gekonnte Vermengen dieser Elemente, was vor allem in der ersten Hälfte für gelungenen Grusel sorgt. Wer also dem ersten Teil etwas abgewinnen konnte, der wird auch mit der Forstsetzung seine Freude haben. Auch wenn man gegen Ende dann doch einige Abstriche machen muss, weil Regisseur Wan kaum mehr das richtige Tempo findet und es zuvor bereits zu sehr übertrieben hat, um den Zuschauer noch wirklich zu erschrecken.


5 von 10 dämonischen Heimsuchungen 

Review: DEMOLITION – Auf destruktiver Suche nach dem eigenen Ich

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Fakten:
Demolition
US, 2015. Regie: Jean-Marc Vallée. Buch: Bryan Sipe. Mit: Jake Gyllenhaal, Naomi Watts, Chris Cooper, Judah Lewis, C.J. Wilson, Polly Draper, Debra Monk, Wass Stevens u.a. Länge: 101 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Im Kino.


Story:
Der Investmentbanker Davis Mitchell wird urplötzlich von einem schweren Schicksalsschlag getroffen. Bei einem Autounfall verliert er seine Frau, während er selbst ohne einen Kratzer mit dem Leben davon kommt. Viel stärker beschäftigt ihn allerdings, dass er nach diesem tragischen Ereignis keine Trauer verspüren kann. Er beginnt damit, sein bisheriges Leben grundlegend in Frage zu stellen, umzukrempeln und einzelne Bestandteile mit ungewöhnlichen Mitteln zu zerstören...




Meinung:
Nachdem er bereits früher durch sein Schauspiel in einigen Abständen Aufsehen erregte, darf sich Jake Gyllenhaal mittlerweile zu den beliebtesten Darstellern seiner Generation zählen, der jeden Film, in dem er aktuell mitwirkt, zu einem mit Vorfreude versehenen Erlebnis werden lässt. In Werken wie "End of Watch", "Prisoners", "Nightcrawler" oder "Southpaw" zog Gyllenhaal die Aufmerksamkeit durch seine markante Präsenz stets voll auf sich, weswegen viele Zuschauer nicht ganz unbegründet der Meinung sind, dass jeder Film mit ihm in der Hauptrolle alleine deshalb eine Sichtung wert ist.


Mit extremen Mitteln geht er ans Werk
Regisseur Jean-Marc Vallée hat das wertvolle Potential dieses Schauspielers ebenfalls erkannt und stellt Gyllenhaal in seinem aktuellen Film "Demolition" daher in fast jeder Szene in den Mittelpunkt der Geschichte. In der Rolle des Investmentbankers Davis Mitchell ist Gyllenhaal erneut voll in seinem Element, wenn er seine Figur als verschlossenes Fragezeichen anlegt, bei dem der Betrachter die meiste Zeit über damit beschäftigt ist, sich auf den Charakter dieses Mannes einen Reim zu machen. Davis verliert zu Beginn der Handlung seine Frau bei einem Autounfall, doch die unmittelbare Reaktion auf den schweren Verlust fällt deutlich anders aus, als es für gewöhnlich der Fall ist, wenn einem Menschen die Liebe seines Lebens von einem Moment auf den anderen schlagartig entrissen wird. Als wäre nichts geschehen, geht Davis einfach zum üblichen Tagesgeschehen über und führt seine Arbeit fort, während er nebenbei bemerkt, dass er einen auffälligen Drang dazu entwickelt, Dinge zu zerstören und sein Leben umzukrempeln.


Einfach mal wieder lächeln
Der Film setzt sich hierbei mit einer speziellen Art der depressiven Trauerbewältigung auseinander, indem Davis nach und nach vor die quälenden Fragen gestellt wird, ob er seine Frau jemals wirklich geliebt hat, ob das Leben, das er bisher geführt hat, ansatzweise dem entspricht, was er sich vom Leben erhofft und ob er tief in sich überhaupt noch irgendwelche Gefühle verspürt. Im Vergleich zu seinen vorherigen Filmen "Dallas Buyers Club" und "Wild", die eher konventioneller inszeniert waren und eine glatte Handschrift trugen, welche nach typischem Oscar-Material aussah, versprüht "Demolition" eine wesentlich verspieltere Atmosphäre. Durch die experimentelle Montage, bei der Vallée durch die Zeit springt, Erinnerungen in aktuelle Szenen einfügt und einzelne Abschnitte völlig undurchschaubar anordnet, entsteht der Eindruck eines chaotischen Erzählstils, der sich dem verwirrten Charakter der Hauptfigur stimmig angleicht. Eine große Stärke des Films besteht darin, dass er sich dauerhaft eine gewisse Unvorhersehbarkeit bewahrt, die nie erahnen lässt, in welche Richtung sich die Geschichte als nächstes bewegen wird. Man kann "Demolition" als ironische Zuspitzung einer Lebenskrise betrachten, bei der die Hauptfigur auf eine offensiv destruktive Weise nach dem eigenen Ich gräbt, wobei Davis nicht bemerkt, was er mit seinem Umfeld anrichtet, während er sich ausschließlich um persönliche Probleme kümmert.


Diesen Eindruck sabotiert das Drehbuch von Bryan Sipe im nächsten Moment aber wieder, wenn der Film dramaturgisch zunehmend episodenhaft zerfasert. Neben Davis, der durch einen eher zufälligen Briefkontakt eine tiefe Beziehung zur Kundenservice-Mitarbeiterin Karen aufbaut, schweift die Handlung immer wieder zur von Naomi Watts gespielten Figur ab, die ebenfalls in einer Sinnkrise zu stecken scheint und darüber hinaus einen Sohn hat, der mitten in der Pubertät steckt und mit seiner Sexualität hadert. "Demolition" verliert den Fokus immer wieder aus den Augen, wirkt unentschlossen, wer nun mit wem interagieren soll und landet gegen Ende im erzählerischen Nirwana, wenn nicht mehr klar ist, auf was für eine Aussage der Film zwischen all den mal mehr, mal weniger eindeutigen Metaphern schlussendlich abzielt. Die quälende Unsicherheit in Gyllenhaals Augen, sein rätselhaftes Auftreten, das zwischen eingeschüchterter Nervosität, überheblicher Ignoranz und selbstsicherer Destruktion changiert, bleibt neben der phasenweise brillanten Montage auch nach diesem Streifen im Gedächtnis, aber was darüber hinaus?


6,5 von 10 Vorschlaghämmer



von Pat

Review: 90 GRAD NORD - Grüner wird's nicht!

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Fakten:
90 Grad Nord
BRD, 2015. Regie & Buch: Detsky Graffam. Mit: Carsten Clemens, Stefan Dietrich, Jürgen Haug, Ecco Mylla, Sam Graffam. Länge: ca. 21 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Einem gestressten Geschäftsmann geht irgendwo im Nirgendwo das Benzin aus. Auf einer kleinen Verkehrsinsel einer offenbar wenig befahrenen Landstraße trifft er auf Leidensgenossen. Als einer regelwidrig trotz roter Ampel die Straße überqueren will, zeigt die Verkehrsinsel ihr wahres Gesicht und fletscht die…Zähne?!

                                                                                         
Meinung:
„Ampel sind da um den harmonischen Austausch von Fußgängern und Kraftfahrzeugen  zu gewährleisten. Ihr Verhalten hingegen ist fahrlässig, sogar sehr fahrlässig!“


Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht. Und wenn, dann sicher nur im stringent regulierten und immer zuverlässigen Schilder- und Regelwald Deutschland, wo man noch beruhigt die Straße überqueren kann ohne Gefahr zu laufen, von einem rechtsüberholenden, am Steuer telefonierenden, nicht mit einem gültigen Erste-Hilfe-Kasten, akkuraten Warndreieck und mindestens vier reflektierenden Westen ausgestatteten Rowdy überfahren zu werden. Wer schon mal in der direkten Nachbarschaft im Urlaub war und beinah den Tot beim Brötchenholen gefunden hätte, weiß unsere manchmal spießiges, aber immer korrektes, sicheres Einmaleins im Straßenverkehr sicher zu schätzen (in Dänemark einen Zebrastreifen mit blauäugigem, germanischen Selbstverständnis einfach so mitnehmen, mutig bis lebensmüde). In jedem anderen Land der Welt könnte die „Creature“ von „90 Grad Nord“ nicht existieren. Entweder würde sie an Übergewicht tragisch zu Grunde gehen oder sich gar nicht entsprechend auf die Beute konzentrieren, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen können. Deutschland macht satt, aber nicht fett. Würden sich organisch ernährende Verkehrsinseln eine Bikini-Figur nötig haben, dann hier. Ist es vielleicht so…?


Bei Rot stehen, bei Grün gehen. Easy, oder?
„90 Grad Nord“ ist eine Perle des deutschen (Genre) Kurz-Films, der mit seiner kurios-brillanten Idee, dem bösen, hervorragend getimten Humor und seinem satirischen Blick wirkt wie eine Mischung aus „Monty Phyton“-Sketch und den frühen Werken von Leuten wie Sam Raimi, Peter Jackson oder Álex de la Iglesia. Für Regisseur und Autor Detsky Graffam ein Herzensprojekt. In den knapp 21 Minuten steckten jahrelange harte Arbeit, doch es hat sich gelohnt. Auf etlichen Festivals quer über die Welt lief sein Film im Wettbewerb und konnte einige Preise einheimsen, ließ sogar im Vorfeld deutlich favorisierte Konkurrenten hinter sich. Das muss nicht immer wirklich für einen qualitativ hochwertigen Film sprechen – Festivals und Preisverleihungen gibt es wie Sand am Meer und deren Sieger sprechen mitunter nur eine ganz spezielle Fanbase an -, „90 Grad Nord“ hingegen ist in jeder Sekunde ein kleines Masterpiece. Die Krux bei solchen Produktionen ist natürlich immer die Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung. Man kann noch so schöne Ideen und Illusionen haben, wenn die Möglichkeiten nicht gegeben sind, Zeit und Geld begrenzt, müssen irgendwo Abstriche gemacht werden. Bei diesem Film hat man als Zuschauer nie das Gefühl, dass irgendetwas nicht genau so sein sollte (obwohl es wahrscheinlich trotzdem der Fall sein wird), dass exakt das geistige Auge wiedergegeben wurde.


Das kommt dem Resultat natürlich nur zu Gute und wenn improvisiert wurde, dann auf professionelle, nicht ersichtliche Art und Weise. Dies ist nicht nur von seinem Inhalt ein verdammt guter Film, er präsentiert sich auch noch unverschämt großartig. Von seinen Einstellungen, dem Cast, dem Sounddesign bis hin zu den verblüffend geglückten Special Effects. Aber selbst wenn es nicht so wäre, die Prämisse ist schon so grotesk und gleichzeitig genial, selbst mit einer Husch-Husch-wird-schon-Einstellung wäre das mindestens ein nettes, sympathisches Ding geworden. In der Kombination ist etwas ganz Außergewöhnliches, Besonderes entstanden. Eine beißende – eher schon gefräßige – Satire, mit wunderbaren Einfällen und dieser Mischung aus kindlicher und doch reifer, klug reflektierter Verrücktheit, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt. Ein Pfundskerl von einem Kurzfilm mit ganz viel Herz, Leidenschaft. Insgesamt: Der bessere „Castaway – Verschollen“, ohne Wilson und penetrantem Product Placement. Geheimtipp des Monats, wenn nicht des Jahres. 

„Also wenn das vorbei ist, dann gehe ich sofort zum Ordnungsamt!“

8,5 von 10 roten Wellen

Review: MIDNIGHT SPECIAL – Ein Science-Fiction-Drama der außergewöhnlichen Sorte

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Fakten:
Midnight Special
US, 2016. Regie & Buch: Jeff Nichols. Mit: Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Jaeden Lieberher, Adam Driver, Sean Bridgers, Paul Sparks, Sam Shepard, Scott Haze u.a. Länge: 112 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 23. Juni 2016 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Alton ist kein gewöhnlicher Junge, denn anscheinend besitzt der 8-jährige besondere Fähigkeiten, die ihn für religiöse Sekten ebenso attraktiv machen wie für Teile der Regierung. Um den Jungen zu beschützen und offenbar zu einem bestimmten Ereignis zu bringen, das zunächst nicht genauer erklärt wird, begibt sich sein Vater mit ihm und einem alten Freund auf die Flucht...




Meinung:
Über die letzten Jahre hinweg hat sich Jeff Nichols zu einem der momentan interessantesten Regisseure entwickelt. Den einfachen Weg ging er dafür nie, denn seine Filme vereinen meistens verschiedene Genres und Stimmungen miteinander, die noch dazu auf den ersten Blick nicht immer einwandfrei zusammenpassen wollen. In "Take Shelter" beispielsweise trafen apokalyptisch beängstigende Visionen auf eine schizophren-instabil wirkende Hauptfigur, während Nichols seine düsteren, schweren Themen mit einer unheimlich feinfühligen, bewegenden Intimität inszenierte, durch die er eine unvergleichliche Atmosphäre erzeugte, die einer gefühlsmäßigen Achterbahnfahrt entsprach.


Gemeinsam und mit Waffengewalt setzen sie sich zur Wehr
Für "Midnight Special" hat der Regisseur seinen speziellen Stil nun vollständig auf die Spitze getrieben und das in seiner bisherigen Karriere wohl polarisierendste Werk geschaffen, bei dem es extrem schwer fällt, zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen. Zunächst ist man vom Film aber erstaunlich schnell gefesselt, denn Nichols startet mit einem Auftakt, der Fragezeichen aufwirft, über die man sich gar keine klaren Gedanken bilden kann, denn im nächsten Moment befinden sich die Hauptfiguren bereits in einer adrenalingeladenen Flucht und rasen mit dem Auto über die Straßen. "Midnight Special" handelt zu Beginn von zwei Männern, die einen kleinen Jungen offensichtlich vor irgendetwas beschützen wollen, während in sämtlichen Nachrichten davon berichtet wird, dass genau dieser Junge aus seinem Elternhaus entführt wurde. Hinzu kommt, dass eine religiöse Vereinigung ebenso an dem Jungen interessiert ist wie die Regierung, bei der sich schnell die NSA und das FBI einschalten. Über das gesamte erste Drittel hinweg sind diese Informationen beinahe alles, was sich von der Handlung erfassen lässt, denn ansonsten verlaufen zentrale Mysterien bewusst länger im Dunkeln.


In dem Jungen stecken ungeahnte Kräfte
Nichols verfolgt mit seinem Ansatz ein höchst interessantes Konzept, das sich allerdings in gewisser Weise auch als frustrierend entpuppt. Der Regisseur will sich zu keinem Zeitpunkt für eine klare Linie entscheiden, streut Science-Fiction-Elemente in die Geschichte, nur um in der nächsten Szene nach den ganz großen Drama-Lorbeeren zu greifen, wenn er Thematiken wie familiären Zusammenhalt, unausweichliche Schicksale und moralische Zweifel in einen geerdeten, zurückhaltenden Rahmen bringen will. Als wäre das nicht schon ambitioniert genug, nimmt "Midnight Special" auch immer wieder Züge eines reinrassigen Thrillers an, in dem sich die Figuren zu einem wuchtig-mitreißenden Score in Verfolgungsjagden befinden oder konzentrierte Schusswechsel liefern. In seinen besten Momenten läuft der Film dadurch zu wahrer Höchstform auf und bietet eine Reihe von Einzelszenen, die schlichtweg überwältigend sind und die Grenze zum Konventionen sprengenden Meisterwerk sowie innovativen Genre-Hybrid immer wieder streifen. Leider beschränkt sich dieser Eindruck lediglich auf Einzelszenen, denn letztlich bleibt "Midnight Special" als Gesamtwerk seltsam ungreifbar, zerbricht regelmäßig an der Last, leise Dramatik mit überbordender Fantasie zu verbinden und irritiert mit Einschüben in Form des Nebenhandlungsstrangs der Regierungsaktivitäten, die sich in bloßen Spurensuchen und trockenen Theorien erschöpfen.


Auch wenn dem Regisseur mit der Handlung eine spürbar persönliche Geschichte am Herzen lag, bei der Nichols seine eigenen Erlebnisse als Vater verarbeitete, stehen gefühlvolle Momente im Konflikt mit der ständigen Geheimniskrämerei, bei der die Motivationen und Charakterzüge der Figuren, die überwiegend stark besetzt sind, zu lange verborgen bleiben, um nachhaltig zu berühren. "Midnight Special" ist am Ende aber trotzdem nicht weniger als ein überaus interessantes Werk, das so faszinierend aus dem Ruder läuft wie schon lange kein Film mehr. Selbst in den schwächeren Momenten hält einen der Film nahe bei sich, während in den besten Momenten Potential eines brillanten Meisterwerks aufblitzt, das bedauerlicherweise nie vollständig entblättert wird. 


7 von 10 zum ersten Mal gemeinsam erlebte Sonnenaufgänge



von Pat

Review: DUELL - Western war gestern

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Fakten:
Duell (Duel)
USA, 1971. Regie: Steven Spielberg. Buch: Richard Matheson. Mit: Dennis Weaver, Jacqueline Scott, Eddie Firestone, Lou Frizzell, Gene Dynarski, Lucille Benson, Tim Herbert, Charles Seel u.a. Länge: 86 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
David Mann ist auf dem Weg zu einem Geschäftstermin über einen wenig befahrenen Highway. Als er einen Truck überholt, sieht es dessen Fahrer scheinbar als Provokation an. David wird fortan von dem LKW verfolgt und bald sogar attackiert. Es beginnt eine Hetzjagd, aus der es kein Entkommen mehr gibt.

                                                                     
Meinung:
Steven Spielberg zählt unbestreitbar zu den populärsten und wichtigsten Regisseuren der USA, auch wenn er schon länger eher von seinem Ruhm zehrt und seit den späten 90er Jahren eigentlich keinen Film mehr abgelegt hat, der seinen Status ernsthaft untermauern würde. Da war zwischen guter Kost und Schrott alles dabei, nur kein echter Hit. Selbst wenn es bis zum Ende seiner Karriere so bleiben sollte, seinen Status kann er nie wieder verlieren (vergleichbar: Francis Ford Coppola). Zu bedeutend sind filmhistorische und qualitative Meilensteine wie die „Der Weiße Hai“ oder die „Indiana Jones“-Trilogie (richtig, die TRILOGIE!), als das dies jemals gefährdet wäre. Angesichts seiner unzähligen (und manchmal auch gnadenlos überbewerteten) Erfolge wird viel zu selten sein Spielfilmdebüt „Duell“ erwähnt, der seinerzeit nur fürs TV entstand, und trotzdem zum Besten zählt, was Spielberg bis heute gemacht hat.


Unerwünschte Starthilfe ohne Schranke
Den rohen, unverklemmten Stil der New-Hollywood-Ära atmet auch Spielbergs Erstling, dessen Kamera in den Anfangsminuten praktisch auf der Straße klebt. Zunächst noch im Stadtgetümmel, bis sie auf einem staubigen Wüstenhighway die Stoßstangenperspektive verlässt. Nun klebt sie wie panischer Angstschweiß gut 80 Minuten an David Mann, einem braven Pantoffelheld. Bieder, gutbürgerlich, emanzipiert und fast schon kastriert. So gehört es sich zu dieser Zeit, zumindest für den aufgeklärten, modernen Mann, der zuhause nicht mehr zwingend die Hosen anhaben muss. Es ist nicht mehr wie in den muffigen, konservativen 50ern, als die staubsaugende Ehefrau dem hart arbeitenden Göttergatten nach Feierabend fröhlich lächelnd den Hut abnimmt, Pfeife, Pantoffeln und Martini serviert. David Mann ist der artige, weichgespülte Waschlappen, mit dem sich John Wayne, Lee Marvin oder Clint Eastwood nicht mal die dunkle Seite des Mondes gereinigt hätten. Bis ihn der Asphalt-Dschungel zurück in die Steinzeit wirft. Mann gegen Mann, oder eher Mann gegen Monster.


Ob die gelben Engel da noch rechtzeitig eingreifen?
Die einfachsten sind oft die besten Geschichten. Wenn sie dann noch aus kompetenten (und noch enthusiastischen, stürmischen) Händen umgesetzt und mit cleveren, zeitaktuellen Subtext versehen werden, eine Bank. Wenn Alfred Hitchcock zu dieser Zeit nicht schon in Teilzeitruhestand gewesen wäre, er hätte sich nach diesem simplen Skript wohl die Finger geleckt. Aber gut so, denn der junge Spielberg gibt hier Vollgas. „Duell“ ist sowohl Survival- und Suspensethriller, wie sarkastisches Zeitdokument. Ein Mann, der jeder Konfrontation nach Möglichkeit aus dem Weg geht, wird hilflos festgenagelt in einer fast surrealen Situation. Aus einem nicht näher erklärbaren Grund wird er zur Zielscheibe bzw. Beute einer gesichtslosen, rostigen, dampfenden, schnaubenden Bestie. „Flammable“ fordert ihn heraus, lauert ihm auf, ein unmenschlicher Gegner, wie direkt aus der Hölle entsprungen. Spielberg gelingt mit seinem Debüt ein kleines Meisterwerk des Road-Thrillers, das sehr direkt und durchschnittlich wie 2001 bei „Joyride – Spritztour“ kopiert oder variiert und meisterhaft wie 1986 mit „Hitcher, der Highway Killer“ aufgegriffen wurde.


Erstaunlich abgeklärt weiß Spielberg genau, wann er Gas und Bremse betätigen muss, ohne dass die Nadel in den roten Bereich fällt. Die konstante Bedrohung ist allgegenwärtig, was er einige Jahre später mit dem Blockbuster überhaupt bestätigen konnte. Gekrönt von einem logisch entwickelten Showdown, in dem sich endgültig der Werte einer aufgeklärten Domestizierung entledigt wird. Nun zählt das einfache, primitive Auge-um-Auge-Prinzip. Wann ist ein (David) Mann ein Mann? Wenn er wie der Duke oder Gary Cooper zum High-Noon antritt, auch wenn ihm die Buchse in den Kniekehlen hängt. Das mag rückschrittlich, reaktionär und fehlgeleitet klingen, doch „Duell“ lässt nur noch diesen Schritt zu und ist damit eine Hommage wie reflektierte, moderne Interpretation des klassischen Western. Daheim wird der Rasen gemäht und der Müll rausgebracht, hier und jetzt wird sich duelliert. Welcome to the Jungle, geweint wird später. Für ein Debüt schon dekadent wegweisend und großartig.

8 von 10 fatalen Überholmanövern