Going Clear: Scientology And
The Prison Of Belief
USA. 2015. Regie: Alex Gibney. Buch: Alex Gibney, Lawrence Wright (Vorlage).
Mit: Lawrence Wright, Paul Haggis, Tony Ortega, Jason Beghe, Mark Rathbun,
Monique Rathbun, Mike Rinder, Sara Goldberg, Sylvia Taylor, Kim Masters, ua. Länge: 120
Minuten. FSK: keine Altersbeschränkung. Start: noch unbekannt.
Story:
Alex Gibney und HBO legen den Reiz, die Geschichte und
die dunkle Seite der Sekte Scientology offen dar und interviewen ehemalige
ranghohe Mitglieder.
Meinung:
Diese Kritik zu der Scientology-Dokumentation ist
besonders. Wenn man nämlich weiß, wie die „Kirche“ mit Mitgliedern,
Ex-Mitgliedern und Kritikern umgeht, wird man auf einmal hellhörig und
aufmerksam bei dem, was man schreibt. Darauf wird später noch weiter
eingegangen. Die Produktion dieser Dokumentation hat der Freund aller
Serienfans übernommen: HBO. Im Voraus haben sie sich mit 160 Anwälten
ausgerüstet, die alles prüfen und sich gegen einen Sturm von Klagen vorbereiten
sollten, was gar nicht so dumm ist, weil die Organisation eben jene Taktik
schon einmal benutzt hat, um das Steueramt der Vereinigten Staaten von Amerika
in die Knie zu zwingen. Brisanz gehört schon zur Natur der Sache und auch wenn
Vorsicht augenscheinlich geboten ist, sollte man nicht fürchten, eine Meinung
zu haben und sie zu vertreten.
Mike Rinder packt aus
Bei der Kritik zur letzten HBO-Dokumentation namens „Cobain: Montage of Heck“
wurde abgewägt, was eine gute Dokumentation ausmache. Neutralität oder
Zielstrebigkeit? Die Darbietung einer Wahl oder die Manipulation, bzw. das
Schubsen des Zuschauers zu einem Standpunkt? Schien die Antwort damals noch
Ersteres zu sein, muss man dies nach der Sichtung von „Going Clear“ überdenken.
Diese Dokumentation ist nicht neutral. Sie zeigt nicht ein paar Minuten die
Licht- und dann ein paar Minuten die Schattenseiten von Scientology. Sie ist
ganz klarer Gegner des Vereins und der übergeordneten Thematik des Glaubens,
siehe auch der Titel des Buches, auf dem die Dokumentation basiert: „Das Gefängnis
des Glaubens“. Aber selbst wenn das Werk nicht neutral ausgerichtet ist (was
bei der Behandlung einer so skandalreichen Organisation auch nicht erwartet
werden kann), kann man ihm eben dies auch nicht vorwerfen, da hinter dem Werk
vor allem ein Mann steht, der hier seine Ansichten klar und logisch offenlegt.
Nur weil einer ein Dokumentarfilmer ist, hat er ja nun nicht die Pflicht sich
seiner Ansichten zu entledigen, damit der Zuschauer eine „wertfreie“ Arbeit
ansehen kann. Alex Gibney verfolgt hier eine klare Intention, nämlich die oft
nebulös gehaltenen Umkreise der Organisation zu durchleuchten, aber kein
persönliches Prestige seiner selbst oder einer anderen Person. Und dadurch
verkommt das Werk zu keiner Zeit zur Propaganda - weder in die eine, noch in
die andere Richtung.
Scientologys große Waffe: das E-Meter
Die Dokumentation ist in drei thematische Blöcke aufgeteilt und setzt sich aus
neu geführten Interviews mit ehemaligen (ranghohen) Mitgliedern,
Originalaufnahmen von Veranstaltungen oder Lehrmaterial oder aus nachgestellten
Szenen, die auf den Interviews und Berichten basieren, zusammen. Der erste Akt
lässt die Interviewten (teilweise gar Nahestehende von L. Ron Hubbard)
erläutern, wieso sie den Kontakt zu der Sekte suchten, was sie verlockend
fanden - und spannen so eine elegante Brücke zum Zuschauer, der die Chance
bekommt, Verständnis aufzubringen. Die ehemaligen Mitglieder wurden gelockt,
mit dem Erfüllen von Wünschen. Wer stand noch nie vor einer Lebensaufgabe, vor
der man sich lieber gedrückt hätte? Wer war noch nicht so verzweifelt, dass man
nicht wissen wollte, wie man etwas erreicht, solange man es überhaupt erreicht?
Solche alltäglichen und natürlichen Zweige greift sich die Sekte und verspricht
Besserung. Vor allem für Menschen im Show-Business scheint das erfolgreich zu
funktionieren - Tom Cruise und John Travolta sind wohl nur die bekanntesten
Beispiele. Und letzterer fordert in einem Interview: „Nenn mir eine andere
Gruppe, deren Hauptziel „Glück“ ist.“ Der Normaldenkende weiß, dass das gar
nicht mal so schwierig ist. Aber viel interessanter als die tausend Antworten
ist der Zustand, in dem Travolta steht, um diesen Satz auszusprechen und ihn zu
vertreten. Es ist ein Zustand der Weltfremde.
Religion als Disneyland
Der zweite thematische Block setzt sich mit dem Gründer L. Ron Hubbard und der
Lehre der Kirche an sich auseinander und zeigt mit Fakten und viel, viel
Originalmaterial, dass der Mann vor allem eigene Ziele verfolgte (Geld und
Heilung seiner Psyche) und sich mit der Zeit vollkommen in dem Kult verrannte
und zum radikalen und paranoiden Kontrollsüchtigen verkam. Der Titel der
Dokumentation bezieht sich dabei auf eines der Ziele, das man als Mitglied in
dieser Organisation verfolgt. „To go clear“ bedeutet, dass man all seine
traumatischen Erlebnisse aus dem aktuellen und vorherigen Leben vernichtet und
dadurch zu einem besseren Menschen wird (höherer IQ, bessere Augen, etc). Das
sind so Dinge, die man noch mit einem Lächeln als Schwachfug abwinken kann,
aber dann kommt der dritte thematische Block und der setzt sich mit der skandalösen
und verachtenden Maschinerie auseinander, die die Organisation zu verdammt
gefährlich macht und gelinde gesagt eine Schande ist. Manipulation,
Gehirnwäsche, Zwang und Drohungen führen zur Entwürdigung des Wesens. Soweit,
bis die Mitglieder ihre Bestrafungen aus irgendeinem Grund als gerechtfertigt
ansehen. Wer weiß, was mit Theon Graufreud in der Serie „Game of Thrones“
passiert, der kann sich ein ungefähres Bild von den Vorgängen machen.
Schauspieler Jason Beghe ("Californication") stieg aus
Zudem nimmt sich Gibney im dritten Block des Films noch die Zeit, um über das
Gefängnis des Glaubens zu sprechen. Der Glauben ist eine schwierige
Angelegenheit, weil er so menschlich ist. Das Unbekannte, das Unkontrollierbare
macht dem Menschen Angst, weil er in einem Zustand der Paranoia für unsere
Auslöschung sorgen könnte. Deshalb ist es so gemütlich, an ein übergeordnetes
Wesen zu glauben, dass das Unkontrollierbare kontrolliert und uns bewacht. Es
ist Emotionalität in seiner reinen Form und siegt dabei vollkommen über
Rationalität. Ganz einfach, weil Gefühle uns eher bewusst sind, als Gedanken.
Weil wir, wenn wir Schlechtes denken, nicht so beeinflusst werden, wie wenn wir
uns schlecht fühlen. Dadurch wird deutlich, dass Scientology nicht der Erfinder
von Manipulation durch Glauben ist. Der Verein ist bei Weitem auch nicht der
einzige, der das tut. Atheisten wie Bill Maher sagen immer wieder, das alle
Religionen gleichermaßen Schwachsinn seien. Nun, wenn Scientology unbedingt als
Religion angesehen werden will, dann schubst es sich selbst in einen Bereich,
der ihnen selbst zwar finanziell hilft, aber nicht was ihre Stellung angeht.
Etwas, was der Film (zumindest nach Außen hin) nicht behandelt, ist wie weit
die Macht der Organisation eigentlich reicht. Wenn ein Jerry Seinfeld nämlich
sagt, dass die Kirche seiner Karriere behilflich war, dann nimmt das „Eyes Wide
Shut“-Ausmaße an und wird noch gruseliger, als es ohnehin schon ist.
Auch Oscar-Preisträger Paul Haggis stieg aus
Selbstverständlich ließ die Reaktion der Organisation nicht lange auf sich
warten. Während von dem Regisseur gewünschten Personen der Kirche niemand für
ein Interview zur Verfügung stand (aus welchen Gründen auch immer), hat die
Organisation nicht damit hinter dem Berg gehalten, was sie von der
Dokumentation, den Beteiligten und sogar Filmkritikern, die die Doku positiv
bewertet haben (hups), denken. Drohungen und Beleidigungen wurden verstreut,
das Werk als Propaganda abgetan und die ehemaligen Mitglieder auf der Website
der Kirche als angebliche Psychopathen, geldgierige Lügner und weiteres
bezeichnet. Man muss gestehen, dass es einfach ist, die Kirche als Bösewicht zu
inszenieren und anzusehen und die Dokumentation dafür zu kritisieren, derart
einseitig vorzugehen. Tut man das jedoch, hat man den Gedanken nicht bis zum
Ende geführt. Alex Gibney nimmt nämlich von Anfang bis Ende Abstand davon, die
vielen Mitglieder zu kritisieren. Er sieht sie als Opfer an. Er kritisiert
lediglich die Kirche und die Zuständigen und Promis, die sie ermöglichen und
ihre Vorgehensweisen. Vor allem als deutscher Zuschauer kann man sich den ein
oder anderen Vergleich nur schwer verkneifen, bis ein Interviewter sich selbst
eines Nazi-Vergleiches bedient, was die Selbstdarstellung, die Symbole und die
Reden über einen „Krieg“ angeht.
Man muss gestehen, dass die Dokumentation beeindruckend ist, was ihren
Detailgehalt, ihren Aufbau und den allgemeinen Eindruck angeht. Und so viel Lob
wie Alex Gibney auch verdient hat; das absurdeste und filmreifste hat wieder
einmal die Realität selbst geschrieben. Denn natürlich hat man das Recht, über
die Dokumentation zu glauben, was man will. Man kann sie als subjektiven Humbug
oder als geplante Rufschädigung ansehen. Aber wenn eine kritisierte Institution
so reagiert, wie Scientology es getan hat, wenn Kritiker gezwungen werden
sollen, negative Kommentare über die Dokumentation zu veröffentlichen, wenn
ehemalige Mitglieder um das Wohlergehen ihrer Familienmitglieder bangen und in
die Paranoia getrieben werden. Wenn von der Kirche wie ein bockiges Kind im
Rundumschlag gegen alles und jeden gehetzt wird, der eine andere Meinung vertritt.
Dann muss da irgendwas faul sein, dann schießt die Kirche sich selbst ins Bein
und bejaht quasi unfreiwillig all das, was Alex Gibney und HBO hier in 120
Minuten darlegen. Diese Realität erhöht die Signifikanz des Werkes und ihren
Effekt auf den Zuschauer noch um ein Vielfaches und macht aus „Going Clear“ ein
sehr gutes und sehr wichtiges Werk. Wichtig, nicht etwa, weil allzu viele
Menschen betroffen sind, sondern wichtig, weil jeder Mensch ohne Menschenrechte
einer zu viel ist. Es betrübt zu wissen, dass keines der Scientology-Mitglieder
dieses Werk zu sehen bekommen wird, denn wie ein ehemaliges Mitglied sagt,
bekomme man während der Mitgliedschaft nicht eine kritische Sache zu hören. Man
ist in einer anderen Welt, nur leider nicht im Traum und leider nicht
freiwillig.
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