Review: RAVENOUS - FRISS ODER STIRB - Sterben als Mensch oder überleben als Bestie?



Fakten:
Ravenous – Friss oder stirb (Ravenous)
GB, USA, CZ, 1999. Regie: Antonia Bird. Buch: Ted Griffin. Mit: Guy Pearce, Robert Carlyle, Jeffrey Jones, Jeremy Davies, David Arquette, Stephen Spinella, Neal McDonough, John Spencer, Joseph Running Fox, Sheila Tousey u.a. Länge: 97 Minuten. FSK: Freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
1847: Captain John Boyd wird während des Kriegs zwischen den USA und Mexiko wegen inakzeptablen Verhaltens strafversetzt. In dem abgelegenen Ford Spencer soll er mit einer Hand voll ähnlich untragbaren Soldaten vergessen werden. Eines Abends taucht dort der fast erfrorene und verhungerte Colqhoun auf, der ihnen eine grauenhafte Geschichte erzählt. Sein Track geriet in einen Schneesturm, flüchtete sich in eine Höhle und begann in höchster Not, sich gegenseitig zu verspeisen. Die Männer brechen auf, um eventuelle Überlebende zu retten. Schwerer Fehler…






Meinung:
Wer mit dem Ungeheuer kämpft, muss zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird.“
Friedrich Nitzsche.

Schlimm, dass „Ravenous“ seinerzeit nicht nur ein deutscher Kinostart verwehrt wurde, gleich mit dem VHS-Release hatte er seinen Nischenplatz auf dem Index sicher, wodurch er lange sehr unbekannt und als ewiger Geheimtipp gehandelt wurde. Erst im letzten Jahr hatte die FSK endlich ein Erbarmen und versah diese lange ins Schattendasein verbannte Perle mit dem (total angemessenen) FSK: 18-Siegel. In Anbetracht einiger Schweinerein und Gewaltorgien, die sonst auch frei verkauft und beworben werden dürfen, ein ganz schlechter Scherz mit verspäteter Pointe.


Ausgehungert, aber das Festmahl lockt schon.
Die damalige Indizierung „verdiente“ sich der Film von Antonia Bird wohl eher nicht durch einen expliziten Härtegrad - obwohl „Ravenous“ in der Beziehung natürlich kein Kind von Traurigkeit ist – sondern eher durch seine grimmige Thematik und dem äußerst sarkastischen Umgang damit. Im Gegensatz zu so manch anderem grausamen und durchaus grenzwertigem Material verkommt dieser zynisch-kluge Genre-Flick jedoch niemals zum reinen Schlachtfest, hält sich in direkten Momenten sogar sehr dezent zurück, kann dafür mit sonst in dem Genre so unüblichen Merkmalen extrem Punkten und hinterlässt eindeutig den Eindruck, eben einen knüppelharten und ungemein bösen Film gesehen zu haben. Zumindest Letzteres ist eindeutig der Fall, was ihn – nicht nur, aber auch – zu den besten Beiträgen seiner Zunft in den ansonsten sehr müden 90ern macht, im zeitlich bedingten Kontext sogar zu so was wie einem herausragenden Meisterwerk.


„Ich würde ihnen auch abraten zu essen, aber die Meisten von uns müssen das wohl.“


Die Tischmanieren sind noch ausbaufähig.
Mit Ausnahme des (eleganten und fantastischen) Mainstream-Beitrag „Das Schweigen der Lämmer“ war Kannibalismus im Film eigentlich immer mit dem Exploitation-Schmuddel-Trash-Gore-Stigma versehen, nicht ganz unberechtigt. Selbst herausstechende Werke wie „Nackt und zerfleischt“ müssen sich irgendwie diesen Schuh anziehen. „Ravenous“ muss dies nicht. Weder Mainstream, noch Gore-Bauernhof, eine (mit 12 Millionen $ im Vergleich klar) kleine Produktion, die so hochwertig produziert und konzipiert ist, dass sich dahinter etliche andere, weitaus höher angesetzte  Vertreter vor Scham in kalter Erde vergraben müssten. Klasse inszeniert und mit einem überraschenden, sehr wohl durchdachten Skript versehen, das gekonnt den klassischen Wendigo-Mythos als Grundlage nutzt, um ein hochspannendes Schauerstück über Moral, Ethik, Überleben, fressen und gefressen werden zu erzählen. Man ist, was man isst. Oder eben nicht.

 
-„Entschuldigen sie: Sagten sie, sie haben drei Monate nichts gegessen?“
-„Ich sagte: Es gab drei Monate keine Nahrung, nicht, dass ich nichts gegessen hätte.“


Um Nachschlag wird gebeten.
Ein detailliertes, interessantes Setting, eine perfide Kreuzung aus schwarzem Humor und ergiebigen Spannungsmomenten, einer geschickt konstruierten Gegenüberstellung von Gewissensfragen und Selbsterhaltungstrieb, dazu hervorragend gespielt und unglaublich packend vertont. Mit Guy Pearce und dem eindrucksvoll agierenden Robert Carlyle zeigt „Ravenous“ ungeahnte Qualitäten eines Genre-Films auf, die sonst eher nebensächlich sind. Davon, wie den anderen, nicht unbedingt selbstverständlichen Stärken, profitiert dieses bitter-böse Märchen enorm. Behutsam aufgebaut, dafür mit einem grandios ansteigendem Plot und einem faustdicken Schlussakt im Gepäck beweist dieser Film, was aus dem Thema grundsätzlich machbar ist. Die Krönung des Ganzen ist der eindringliche, unvergessliche Score von Michael Nyman und Damon Albarn, der einem in der präzisen Kombination mit den entsprechenden Bildern und Momenten einen eiskalten Schauer den Rücken runter jagt.


Cleverer, spannender und vor allem wenig reißerischer wurde die Thematik selten bis nie verkauft, dazu mit so geringen Mitteln, die nicht im Ansatz bemerkbar sind. Allein deshalb ist „Ravenous“ nicht nur spitze, er ist absolut großartig, ein Glanzstück seines Genres und selbst für Leute, die sich bei dieser Gattung sofort angewidert umdrehen den Blick über die Schulter absolut wert. Das kann doch niemand bereuen. Nicht mal Vegetarier.

"Bon appétit." 

8,5 von 10 abgenagten Kadavern


2 Kommentare:

  1. Allein der Cast macht große Lust auf den Film.

    Wenn ich mir das überschwängliche Fazit dazu ansehe, wird es wohl Zeit für einen neuen Filmeabend.

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  2. Dann hoffe ich mal, mein Tipp schlägt ein.

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