Review: MY PRIVATE IDAHO – DAS ENDE DER UNSCHULD – Jugend ohne Jugend



Fakten:
My Private Idaho (My own private Idaho)
USA.1991.
Regie und Buch: Gus van Sant. Mit: River Phoenix, Keanu reeves, James Russo, Udo Kier, Flea, Grace Zabriskie, William Richert, Rodney Harvey, Jessie Thomas, Tom Troupe, James Caviezel, Gus van Sant u.a. Länge: 101 Minuten. FSK: freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Scott und Mike leben auf der Straße und verdienen ihr Geld als Stricher. Während Scott aus gutem Hause kommt und gerade in einer rebellischen Phase steckt, ist Mike ein echtes Straßenkind, welches darüber hinaus auch unter Narkolepsie leidet. Während eines Anfalls, sieht er Bilder aus seiner Kindheit. Daraufhin will Mike seine Mutter suchen, die ihn als Kind verließ.





Meinung:
Am Horizont gieren schwarze Augen, während die endlose Straße alles in sich zu fressen begehrt: Der Highway wird in „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ zur gigantischen Fratze, unersättlich lechzend, erschreckend in ihrer Maßlosigkeit. Und doch ist es eine Straße, die man immer wieder heimsucht, nur um jedes Mal feststellen zu müssen, das sie doch nirgendwohin führt. Mike Waters (River Phoenix), ein mittelloser Stricher aus Portland ist einer dieser Menschen, die ihren Blick immer wieder über den von der Sonne erhitzten Asphalt schweifen lässt, bis er kurze Zeit später zusammenbricht. Mike leidet nämlich unter Narkolepsie – im Volksmund auch als „Schlafkrankheit“ genannt – und kann seine schlagartigen Zusammenbrüche nicht kontrollieren. Kontrolle ist auch ein weiteres Stichwort in Bezug auf „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ und unseren Protagonisten Mike: Seinen Alltag fristet er perspektivlos Gassen und Hinterhöfen, immer auf der Suche nach Freiern, die ihn mit ihrer Entlohnung für seine Dienste den nächsten Nadelstich ermöglichen.


Keine Panik, der schläft nur
Es ist gewiss von einer bitteren Tragik gezeichnet, sieht man den jungen River Phoenix hier dabei zu, wie er sich wiederholt Heroin in die Adern spritzt. Angeblich soll der am 31. Oktober 1993 an den Folgen eines Drogencocktails in den Armen seines Bruders Joaquin Phoenix verstorbene River Phoenix während der Dreharbeiten von „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ zum ersten Mal in Berührung mit dem Opioid gekommen sein. Und doch bleibt uns mit seiner Darstellung des Mike Waters einer der stärksten Beweise dafür, wie gut River Phoenix doch agieren konnte. Sicher, im Angesicht des reellen Trauerfalls nur ein Wermutstropfen, sein Spiel ist jedoch so ausbalanciert und pointiert, dass wohl kaum noch Zweifel daran bestehen, dass der Vollblutschauspieler River Phoenix irgendwann ebenfalls in Brando'sche Höhen hätte aufsteigen können. Neben Phoenix weiß auch Keanu Reeves zu gefallen, den man inzwischen eher als stocksteifen Schlacks zur Kenntnis genommen hat, in der Rolle des Bürgermeistersohnes Scott Favor jedoch ziemlich gut mit Phoenix harmoniert.


Was verbindet Mike und Scott wirklich?
Mit „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ erzählt Gus Van Sant eine Jugendballade über Sehnsüchte und die auf dem Fuße folgenden Enttäuschungen. Mike ist ein obdachloser Niemand, drogenabhängig und keinerlei Hoffnungen auf ein geregeltes Dasein. In Scott findet er einen Freund auf gutem Haushalt, der sich allerdings dagegen wehrt, ähnlich elitäre Bahnen wie sein Vater einzuschlagen und ebenfalls sein Geld für sexuelle Dienstleistungen auf den Straßen verdient. Anders als Mike ist Scott nicht homosexuell und nachdem sich Mike in den schwarzhaarigen Adonis verliebt, bahnt sich schon der nächste Rückschlag an. „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ macht es seinem Narrativ genauso schwer wie dem Zuschauer, der der Geschichte um Mike und Scott folgt: Weggabelungen werden immer in Richtung 'Niederlage' eingeschlagen, bis sich der innerseelische Frust bis zum Gehtnichtmehr angestaut hat. Mike sucht die Geborgenheit in einem festen Partner, nicht nur in der Freundschaft, findet aber zumeist nur Zurückweisung und macht sich irgendwann auf die Suche nach seiner Mutter.


Elliptisch spielen sich immer wieder Kindheitserinnerungen vor dem inneren Auge von Mike ab, der Wunsch nach einer, nach SEINER Familie wächst zunehmend. Aber auch die Erfüllung dieses Verlangens bleibt ein utopisch Gedanken. Während sich Scott in Italien zu einem Mädchen hingezogen fühlt und später tatsächlich der Tradition seines Stammbaumes einwilligt, findet sich Mike in den vorherigen, den abgetragenen Schuhen wieder. Scott wendet sich von der Straßensippschaft ab, Mike hingegen scheint sich damit abgefunden zu haben, dass das Leben ihm keine besseren Karten austeilen möchte und schreit und tobt sich zusammen mit seinem Kumpanen in die Schwarzblende hinein: Have a nice day. In „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ beweist Gus Van Sant vor alle, wie mutig er doch im Umgang mit menschlichen Schicksalen wirklich sein kann. Wie wenig Interesse an der verzogenen Augenwischerei er hegt und dennoch ein liebes Wort zum Abschluss für sein Publikum auf Lager hat. „My Private Idaho – Das Ende der Unschuld“ ist ein ungefilterter, gerne auch mal anstrengender Film über das Leben an sich. Über die Scheiße, die einfach dazu gehört, die man sich nicht aussuchen kann, sondern höchstens damit abfinden, wenn es eben keinerlei Fluchtmöglichkeiten mehr parat hält.


7 von 10 kommunizierenden Schwulenblättern


von souli

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