Review: DER GOTT DES GEMETZELS – Die Maskerade der Großstädter



Fakten:
Der Gott des Gemetzels (Carnage)
Frankreich, BRD, Polen. Regie: Roman Polanski. Buch: Roman Polanski, Yasmina Reza (Vorlage). Mit: Kate Winslet, Christoph Waltz, Jodie Foster, John C. Reilly, Elvis Polanski u.a. Länge: 80 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Nachdem es zwischen zwei Schuljungs zu einer Schlägerei gekommen ist, bei der einer der Jungen den anderen mit einem Stock angriff, treffen sich die Eltern der beiden Streithähne für ein klärendes Gespräch. Doch aus dem gesitteten Zusammentreffen wird rasch ein Gipfeltreffen aus Anschuldigungen, Wut und brutaler Wahrheit.





Meinung:
Roman Polanski ist ein Meister wenn es darum geht, einen Szenerie mit klaustrophobischer Suggestion auszubauen und den Zuschauer mit der räumlichen, wie auch der seelischen Beengtheit seiner Protagonisten zu konfrontieren. Man denke dabei nur an seine inoffizielle Apartment-Trilogie („Rosemary's Baby“, „Ekel“, „Der Mieter“) oder sein famoses Drei-Mann-Kammerspiel „Der Tod und das Mädchen“, in dem er sowohl Sigourney Weaver als auch Ben Kingsley zu berauschenden Höchstleistungen treiben konnte. Aus diesen – oftmals minimalistischen Sets – spricht eine deutliche Liebe zum Theater, die sich dann doch immer wieder in ihrer schieren Wirkung den Direktiven des Kinos unterordneten. Mit der Adaption des französischen Theaterstückes „Der Gott des Gemetzels“ ist das (wie auch seinem letzten Film „Venus im Pelz“) von Grund auf anders. Roman Polanski nämlich lässt es sich nicht nehmen – und darin kennt er keine Ausflüchte – sein „Der Gott des Gemetzels“ wie ein direkt von der Bühne auf die Leinwand projiziertes Werk aussehen zu lassen.


Jeder braucht ein Hobby
Aber nicht falsch verstehen: Das ist in diesem Fall gewiss kein Nachteil, ist „Der Gott des Gemetzels“ doch so stringent auf sein Schauspielquartett fokussiert, in dem er gleichwohl das New Yorker Apartment vollständig in Totalen ausreizt, dass es beinahe unmöglich wäre, diesen Film NICHT wie ein 'abgefilmtes Theaterstück' daherkommen zu lassen. Ausgangslage für „Der Gott des Gemetzels“ ist eine Ausschreitung zwischen zwei Kindern im Brooklyn Bridge Park, die damit endet, dass der Sohn der Cowans dem Sohn der Longstreets mit einem Stock zwei Zähne ausgebrochen hat. Die Cowans, das sind Nancy (Kate Winslet, „Little Children“) und Alan (Christoph Waltz, „Inglourious Basterds“), erklären sich – wie es sich für zivilisierte Leute geziemt – kompromissbereit und treffen sich in der Wohnung von Penelope (Jodie Foster, „Taxi Driver“) und Michael (John C. Reilly, „Magnolia“). Der gemeinsame Nenner ist schnell gefunden und beide Elternpaare sind der Meinung, dass es zu einer gepflegten Aussprache der beiden minderjährigen Streithähne kommen sollte. Als Nancy und Alan auch schon fast wieder aus der Tür sind, wird den beiden ein Stück des selbstgebackenen Apfel-Birnen-Cobbler angeboten und das Kaffeekränzchen beginnt.


 
Noch wird die Friedensverhandlung akkurat und ruhig durchgeführt
Jedoch bleibt es nicht beim gesitteten Austausch, und wo von allen Seiten schon zu Anfang kleinere verbale Nadelstiche gesetzt werden, zeigt die so auf Diskretion erpichte Fassade der vier New Yorker nach und nach immer tiefere Risse. Anstatt die Konflikte aus dem Weg zu räumen, werden neue entfacht, während erst paarweise in den Kampf gezogen wird, bilden sich auch langsam neue Allianzen, die den Idealismus der Charaktere gekonnt auf den Kopf stellen und sie dahingehend entlarven, dass eigentlich nichts den wahren Empfinden entspricht, was von den vier Anwesenden im Laufe der Zeit gesagt wurde. „Der Gott des Gemetzels“ ist dabei sowohl Sittendrama, als auch Geschlechterkampf und Realsatire. Penelope fährt die moralische Schiene, spannt ihren Ehemann Michael in ihre persönliche Ideologie, während Alan, der als Anwalt einen Pharmakonzern vertreten muss, überwiegend seinen Senf in Form von lakonischen Spitzen zu den Gesprächen beigibt, ist die um Contenance bemühte Nancy die erste, die auch physisch auseinanderfällt, in dem sie schwallartig auf den Tisch der Longstreets erbricht.


Spätestens dann wird mit offenem Visier zur Tat geschritten: Die Fronten verschieben sich, es gibt keine Chancen auf ein Refugium – Nicht für die Charaktere, nicht für den Zuschauer. Der Dialog über Vergebung und Reue wechselt zum expressiven Streit, gesäumt aus Selbstlügen und Kampfansagen, in dem es letztlich einzig und allein um die gesellschaftliche Bestätigung geht. „Der Gott des Gemetzels“ ist kein Psychogramm, er schaufelt keine Abgründe frei, doch so spitzfindig und intelligent konnte man selten Teil einer akkuraten Charakterisierung der verlogenen und egomanischen Großstädter werden. Die brillanten Dialogsequenzen, gestärkt durch scharfzüngige Bonmots der Extraklasse, destruieren Rollenbilder und entschleiern das kultivierte Schwadronieren als bloße Pose - Selbstbeweihräucherung. „Der Gott des Gemetzels“ ist ein großer Tanz, katalytisch angefeuert von aufgeblasenen Tiraden, der nach und nach immer näher an den tatsächlichen Kern der individuellen Geisteshaltung herankommt. Dabei gibt es große Gesten, die bis in die letzte Reihe reichen, theatralische Ausuferungen, aber eben auch viel Wahrheit, die von Polanski beinahe pedantisch exakt ineinander montiert wurden.


8 von 10 Dosen warme Cola


von souli

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