Review: TWENTYNINE PALMS - Die künstlerische Deformation in der Wüste der Menschlichkeit

Fakten:
Twentynine Palms
USA, Frankreich, BRD. 2003. Regie und Buch: Bruno Dumont. Mit: David Wissak, Jekaterina Golubewa. Länge: 119 Minuten. FSK: freigegeben ab 18 Jahren. Auf DVD erhältlich.

Story:
David und seine Freundin Katia reisen durch Kalifornien. David, der Fotograf ist, sucht auf diese Weise interessante Motive. Da die beiden sich nur auf Französisch verständigen können, kommt es immer wieder zu Streitereien, doch auf ihrer Reise spielt Sprache eh eine untergeordnete Rolle.




Meinung:
Eine Expedition durch das tiefe Tal der zwischenmenschlichen Strangulation. David und Katia stehen dabei im Fokus – Zwei humane Ingredienzien der amerikanischen Kleinstadt Twentynine Palms. Eine Charaktereinführung bekommen wir allerdings nicht, genau wie die Figuren sich im Laufe des Filmes augenscheinlich nicht entwickeln und Dumont ihre Existenz dadurch fortwährend im regungslosen Hier und Jetzt verankert. Das Charakteristikum der beiden Individuen lässt sich voll und ganz an den tristen Landschaftsaufnahmen ablesen. Dumont lässt die Natur das Innenleben der Beiden formulieren, während das Paar nur über unerhebliche Dinge redet, aber zu keinem Zeitpunkt in der Lage zu sein scheint, wirklich zu kommunizieren. Zwei Menschen, die den Weg der mentalen Erdrückung nicht miteinander bestreiten, sondern nur abgekapselt nebeneinander. In dieser Beziehung gibt es keinen Platz für eine zärtliche Hingabe oder wärmende Zuneigung. Die sprachliche Barriere verhindert da bereits die emotionale Interaktion, während der physische Akt der Lust hier nicht unter einem liebevollen Stern manifestiert wurde, hier wird keine Liebe gemacht, hier wird animalisch bis zum Äußersten gefickt, laut und hart, nur um die eigenen Bedürfnisse schreiend zu befriedigen.


Die konventionellen Sehgewohnheiten werden erstickt, eine Handlung gibt es im eigentlichen Sinne nicht, musikalische Manipulationen sind ebenfalls nicht von Nöten, genau wie die narrative Dramaturgie letztlich der Ungewissheit der Lage unterliegt und der Zuschauer – genau wie die beiden Protagonisten – gänzlich dem Moment ausgeliefert werden. Die Allegorie der Wüste besitzt existenziellen Wert, als Sinnbild für das Seelenleben von David und Katia, und wird fernab jeder dokumentarischen Schönheit festgehalten. Kälte und Leere regieren, während Dumont en passant dem amerikanischen Endloskonsum eine kritische Bemerkung hinterlässt. In jeder Einstellung wird hier die unterschwellige Bedrohung reflektiert, alles kann hier passieren, nur um in Augenblicken der oberflächlichen Stille dann in ihrer ganzen Härter zuzuschlagen.


Am Ende stellt sich die entscheidende Frage, wo der Sinn in der Deformation liegt, ob es überhaupt einen gibt, oder ob wir auf diesem verstörenden Trip schon längst der geistlosen Täuschung verfallen sind. Die scheinbare Sinnlosigkeit genießt hier eine substanzielle Bedeutung, projiziert auf die universellen Beziehungsgefilde, weit über die Grenzen von Twentynine Palms hinaus. Es liegt – wie Ingmar Bergman bereits sagte – am Rezipienten selbst, was er kennen will und was er wirklich aus dem Gesehen lesen kann. Glück haben in diesem Fall all diejenigen, die die meisterhafte Qualität von „Twentynine Palms“ wahrnehmen, die den Film, die emotionalen Entwurzlung und die unausweichlichen Ohnmacht, in seiner ganzen Intensität erfahren dürfen. Was gibt es schon Schöneres, als einen Regisseur, der seinem Publikum noch etwas zutraut und ihn noch fordert, die Köpfe auch nach dem Abspann auf eigene Verantwortung rattern lässt, allen Brandmarkungen zum Trotz. „Twentynine Palms“ fesselt, schmerzt und brennt sich ins Gedächtnis, eben weil er seine komprimierten Mittel exzellent einsetzen kann und dadurch genau ins Schwarze trifft.

8,5 von 10 trockenen Penetrationen

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