Review: WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN - Warnung aus dem Jenseits

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Fakten:
Wenn die Gondeln Trauer tragen (Don't Look Now)
GB, IT, 1973. Regie: Nicolas Roeg. Buch: Allan Scott, Chris Bryant. Mit: Donald Sutherland, Julie Christie, Hilary Mason, Clelia Matania, Massimo Merato, Renato Scarpa, Nicholas Salter, Sharon Williams, David Tree, Ann Rye, Bruno Cattaneo, Adelina Poerio u.a. Länge: 111 Minuten. FSK: ab 16 freigegeben. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die kleine Christine Baxter ertrinkt im heimischen Gartenteich, der Rettungsversuch von Vater John kommt zu spät. Selbstvorwürfe plagen ihn und seine Frau Laura seitdem. Oberflächlich scheinen sie den Schicksalsschlag inzwischen halbwegs verarbeitet zu haben. Während eines Venedig Aufenthalts, wo John eine alte Kirche restaurieren soll, begegnen sie einem älteren, schottischen Schwesternpaar. Eine von ihnen  verfügt angeblich über "das zweite Gesicht", kann übernatürliche Dinge wahrnehmen. Ohne jemals etwas von Christine gehört zu haben, behauptet sie, das Kind gesehen zu haben, kann sie sogar exakt beschreiben. John hält das alles für Schwindel, doch Laura ist fest davon überzeugt, dass der Geist ihrer kleinen Tochter in ihrer Nähe ist. Angeblich sie ihre Eltern warnen: Sie sollen Venedig schnell verlassen, sonst wird John sterben.



 
Meinung:
Schon die Eröffnungssequenz von "Wenn die Gondeln Trauer tragen" ist ein Meisterstück für sich. Selbst ohne Vorkenntnisse über den weiteren Verlauf oder gar das Ende der Geschichte offenbart sich dem Zuschauer, dass wirklich jede Kleinigkeit bis ins Letzte perfekt arrangiert ist und eine tiefere Bedeutung haben wird. Nicolas Roeg kreiert hier eine Atmosphäre, die einen blitzartig gefangen macht, für einen frühen Schockmoment sorgt und so schmerzlich mit Donald Sutherlands Figur mitfühlen lässt, dass seine qualvollen Schreie fast die Eigenen sein könnten. Von der Inszenierung, Bildsprache und Wirkung her vielleicht einer der besten Eröffnungsszenen der Filmgeschichte.


John kommt zu spät.
Nach diesem erschütternden Auftakt schlägt Roeg lange leise Töne an, was der Stimmung keinen Abbruch tut. Im Gegenteil, die Stimmung seines Films ist atemberaubend. Vor der grandiosen Kulisse Venedigs lässt er seine hervorragenden Hauptdarsteller durch einen mysteriösen Strudel aus Wahn und Wirklichkeit irren, der trotz seinen gedrosselten Tempos den Zuschauer voll mitnimmt. Dabei lässt sich sein Werk nur ganz am Rande in die Richtung Grusel oder gar Horrorfilm einordnen, dass soll es auch in erster Linie nicht sein. Es ist ein Psychodrama um ein Paar, das noch mitten in der Verarbeitungsphase des Verlustes steckt, langsam wieder in die Normalität zurück findet und nun durch die bizarre Äußerung einer Fremden sich wieder voneinander entfremdet. Beide Figuren symbolisieren unterschiedliche Standpunkte der Trauerbewältigung. Er, der sich voller Eifer in die Arbeit stürzt und den Tatsachen mit nüchternem Realismus ins Auge blickt. Sie, die hingegen sofort von den übernatürlichen Aussagen überzeugt ist und sich an diesen Strohhalm klammert, wiederum aber auch die angedrohte Gefahr ernst nimmt. 


Verliert er langsam den Verstand?
In dem Gerüst eines Mysteryfilms erzählt Roeg somit ein ernstes Drama und verfällt niemals in die Hektik oder den Zwang, den Zuschauer durch schlichten Kirmesgrusel bei der Stange halten zu wollen. Das hat er auch überhaupt nicht nötig, denn der Hauch von Unbehagen durchzieht "Wenn die Gondeln Trauer tragen" jede Sekunde. Jedes Ereignis, jede Szene scheint einen tieferen Sinn zu verfolgen. Das nimmt der Zuschauer auf, ohne sich zunächst direkt einen Reim darauf machen zu können, maximal Vermutungen. Die genutzten, immer wiederkehrenden Metaphern, wie Wasser, Regen, zersplitterndes Glas oder die Farbe Rot (die alle ihren Ursprung in der Eröffnungsszene haben) fallen auf, doch was haben sie zu bedeuten? 


Ohne zu viel verraten zu wollen, mit dem zu tiefst verstörenden Finale werden diese Frage (zumindest weitestgehend) beantwortet. Der Kreis schließt sich und trifft wie ein Schlag in den Magen. Wie kaum einen zweiten Film lässt nun das innere Auge alles nochmal Revue passieren (obwohl Roeg einem das zum Teil sogar abnimmt) und lässt ehrfürchtig erstaunen, wie genial sich alles zu einem schlüssigen Bild zusammensetzt. So durchdachte Symbolik in fast jeder Einstellung findet sich selten und zeugt von einem ungemeinen Verständnis für die Wirkung und Bedeutung von Bildern, Details und subtiler Schauerstimmung. 


"Wenn die Gondeln Trauer tragen" gilt zu Recht als Klassiker des Kinos, berührt und schmerzt, überrascht und überwältigt. Ein großes Meisterwerk, das mit jeder Sichtung eigentlich nur besser werden kann.

9 von 10 roten Regenmänteln

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