Review: TAGE AM STRAND – Wo die Liebe hinfällt, da stürzen auch wir



Fakten:
Tage am Strand (Adore)
Frankreich, Australien. Regie: Anne Fontaine. Buch: Christopher Hampton, Anna Fontaine, Doris Lessing (Vorlage). Mit: Naomi Wats, Robin Wright, Xavier Samuel, James Frecheville, Ben Mendelsohn, Sophie Lowe, Gary Sweet, Jessica Tovey, Dane Eade, Scott Pirlo, Alyson Standen, Charlee Thomas u.a. Länge: 112 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 10. April 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Roz und Lil kennen sich seit ihren gemeinsamen Kindertagen und leben Tür an Tür an der traumhaften Ostküste Australiens. Als Roz‘ Gatte beschließt nach Sydney zu ziehen und seine Familie zurücklässt, versucht Lil’s Sohn sie zu verführen, was ihm auch gelingt. Der Beginn eines komplizierten Beziehungsgeflechts.





Meinung:
Rein biologisch betrachtet, scheint der Altersprozess in seiner Vielfalt einer evolutionären Selbstverständlichkeit zu folgen: Die Knochen werden poröser, der Blick milchiger, die Ohren schwächer und die elastische Haut faltiger. Die physische Kraft schwindet zunehmend und tauscht sich mit müder Trägheit aus. Irgendwann ist das Normalität. Bis zu diesem Punkt der vollständigen Akzeptanz, ist das Älterwerden aber aus der mentalen, der ganz und gar emotionalen Perspektive, ein schwieriges Thema für den Menschen und gleichwohl mit tiefen Ängsten verknüpft: Die Angst vor dem Verblassen, vor der Einsamkeit, vor dem Verlust jedes Individualismus, vor schweren, unaufhaltsamen Veränderungen eben. Und diese Angst tritt nicht erst ein, wenn der Sensenmann schon mit knochiger Hand an die Haustür klopft, sondern bei den ersten milden Anzeichen äußerlicher Revision. Wenn das Gefühl der Jugend leise verwässert, wenn Erinnerungen an vitale(re) Tage auch im Traum aufkeimen und sich jene erhoffte Unsterblichkeit nur als naive Utopie mausert.


Schwitzen in der Sonne
In Doris Lessings (ihres Zeichens Literaturnobelpreisträgerin) Roman, mit dem, jedenfalls zu Anfang noch, recht ironischen Titel „Die Großmütter“, wird das Lebensgefühl zweier seit Kindertagen befreundeter Mittvierziger thematisiert, die sich jeweils in die Söhne der anderen verlieben. Ein Stoff, dem bei der Adaption auf die große Leinwand die Melodramatik in bester Rosamunde Pilcher-Manier aus allen Poren zu tropfen droht und der sich in seiner kontroversen Ausrichtung womöglich sogar nur noch als lahmes Skandälchen für die konservativen Bewohner des Seniorenheimes entpuppt. Regisseurin Anne Fontaine („Coco Chanel“, Mein liebster Alptraum“) aber beweist in ihrer filmischen Angleichung an Lessings Erzählung mit „Tage am Strand“ viel Feingefühl in ihrem Duktus und entblättert die natürlichen Sehnsüchte und individuellen Philosophien ihrer Protagonisten mit erwachsener Eleganz, ohne diese auf Biegen und Brechen intellektualisierten zu wollen. In den Hauptrollen geben sich Naomi Watts („21 Gramm“) und Robin Wright („House of Cards“) die Ehre, die mit geschliffenen Porträts engverbundener Mütter den Film mühelos auf ihren Schultern zu stemmen wissen.


Roz und Lil sinnieren gemeinsam im Sand
Die Beziehungen ungleichaltriger Personen wurde nicht nur in Mike Nichols Klassiker „Die Reifeprüfung“ angesprochen, auch „Harold & Maude“ und „Der Vorleser“ machten sich bereits dieses Thema zu eigen. „Tage am Strand“ zieht seine Brisanz aus der Charakterkonstellation, in dem er zwei Mütter, Lil und Roz, präsentiert, die sich über Kreuz in die Söhne, Ian und Tom, der besten Freundin verlieben. Ein quasi-inzestuöses Abbild, das sich zwar in dieser Drastik gewiss durch eben jenes verlagertes Beziehungsgeflecht widerlegen lässt, unterschwellig aber als Subtext seine präsente Rolle spielt, genau wie die gemutmaßte Homosexualität zwischen den beiden Damen. „Tage am Strand“ zeichnet eine Welt ohne klare Vaterrolle – Entweder tot oder vollkommen vom Job eingenommen -, hier herrscht die weibliche Fügung als Familienoberhaupt. An der australischen Küste verortet, wo türkisfarbenes Wasser in hohen Wellen an den Strand peitscht, über dem die zwei architektonisch verwurzelte Häuser wachen, entfaltet „Tage am Strand“ seine Dimensionen der (sexuellen) Begierde und potenziert sie durch die idyllisch-verzaubernden Naturbilder: Ein abgeschirmtes Paradies, in dem sich eine Freiheit genommen wird, die in den Mühlen der gesellschaftlichen Prüderie postwendend zermahlen werden würden.


Irgendwann jedoch muss das trotz narrativer Linearität stetig flackernde (Gefühls-)Kartenhaus zerbrechen, so wie auch Träume vom Undenkbaren bei geöffneten Augen zerplatzen. Das Bett, der Strand, das Meer, die Orte, die innere Zufriedenheit verlauten ließen, die Orte, wo die Suche nach Glück endlich ein Ende zu haben schien, werden wieder auseinandergerückt: Der Hedonismus der Mittvierziger konfligiert mit dem „Lauf der Dinge“ und verfällt. Wo einst Jahre mit einem einzelnen Blinzeln übersprungen wurden, verrät das Spiegelbild die tiefen seelischen Furchen. Irgendwann musste der Glanz abperlen und mit dem Tränen davon geschwemmt werden. „Tage am Strand“ macht vieles richtig, ist betörend und aufrichtig, nur lässt er den Zuschauer nicht affektiv teilnehmen, sondern ganz auf die sich entschleunigende Würde des Quartetts blicken. Das mag Nüchternheit suggerieren, hält jedoch vielmehr auf Abstand. Überaus sehenswert und vollkommen zu Unrecht zerrissen ist der Film aber dennoch ohne Zweifel.


6 von 10 salzigen Küssen


von souli

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