Fakten:
...und Gerechtigkeit für alle (...And Justice for All)
USA, 1979. Regie: Norman Jewison.
Buch: Valerie Curtin, Barry Levinson. Mit: Al Pacino, Jack Warden, John
Forsythe, Lee Strasberg, Jeffrey Tambor, Christine Lathi, Sam Levene, Robert
Christian, Thomas Waites, Larry Bryggman, Craig T. Nelson u.a. Länge: 115
Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.
Story:
Arthur Kirkland ist ein junger, idealistischer Anwalt, der sich
dem Kampf für oftmals Vorverurteilte gegen das selbstgefällige, bürokratische
Justizsystem der USA verschrieben hat. Etwas chaotisch, aufbrausend und nicht
immer die Etikette wahrend, steht er damit der eigenen, großen Karriere
konsequent im Weg. Bis er ausgerechnet den harten Richter, mit dem Kirkland in
einer stätigen Privatfehde liegt, verteidigen soll. Er wird der Vergewaltigung
an einem Mädchen angeklagt. Deshalb soll nun Arthur die Verteidigung
übernehmen. Das perfekte Beispiel für die Unschuld. Für Arthur ein
Karrieresprungbrett, wenn da nicht die Moral wäre.
Meinung:
Bissiges Lehrstück über Moral, die Schwierigkeiten eines Rechtsstaats, in dem jedem eine faire Verteidigung gebührt (wobei „jedem“, „fair“, „Rechtstaats“ dehnbare Begriffe sind) und ein satirischer Fingerzeig auf Mauschelein, Doppelmoral, Willkürlichkeit, Selbstgerechtheit und die persönliche Misere, wenn man zwischen allen Stühlen steht.
Bissiges Lehrstück über Moral, die Schwierigkeiten eines Rechtsstaats, in dem jedem eine faire Verteidigung gebührt (wobei „jedem“, „fair“, „Rechtstaats“ dehnbare Begriffe sind) und ein satirischer Fingerzeig auf Mauschelein, Doppelmoral, Willkürlichkeit, Selbstgerechtheit und die persönliche Misere, wenn man zwischen allen Stühlen steht.
Ein Mann im Zwiespalt. |
Arthur Kirkland (von dem jungen Al
Pacino in seiner damals noch ausgewogenen Form zwischen leisen Tönen und
aufbrausenden Temperament wunderbar verkörpert) kommt in diese prekäre Situation. Als
Anwalt steht er eigentlich für Gerechtigkeit, nicht nur auf dem Papier, sondern
von seinem Herzen. Die Mühlen der Justiz sind ihm eher ein Dorn im Auge, wie Don
Quichote kämpft er gerne gegen träge Windmühlen, anstatt sich ohne Stress und
dickem Plus in der Geldbörse von ihnen mitreißen zu lassen. Ein ehrenhafter
Mann, etwas ungehobelt, nicht unbedingt beliebt, aber ein Mann, der diesen
bereit ist zu stehen. Nun soll/muss er genau den Richter verteidigen, der so
eisenhart und rücksichtslos die arogante Schiene der „Gerechtigkeit“ fährt, die er
sich diesmal selbst als widerlicher Gesetzesbrecher offenbart. Er ist nicht nur
mit defektem Rücklicht gefahren, er hat auf eine extrem harte Art rückwärts
eingeparkt. Das soll nun die (letzte) Chance für einen Idealisten sein, der
eigentlich mit einem breiten Grinsen feiern würde, wenn dieser Mistkerl seinen
Thron räumen müsste.
Ein Anwalt sieht rot. |
Jewison beginnt seinen Film recht
locker und unterhaltsam, der satirische Ansatz kommt eher überdreht und
komödiantisch daher, wenn Jack Warden als Richter für Ruhe im Saal sorgt, in
dem er die Knarre aus dem Halfter zieht und mit Schüssen in die Decke für
Autorität sorgt („Meine Herren, ich muss sie daran erinnern, dass sie in einem
Gerichtssaal sind.“). Erst im weiteren Verlauf bekommt seine Farce einen
erschreckenden Antrich, nicht in dem er eher extrem überzieht, sondern sich im
absolut realen Wahnsinn suhlt. Den alltäglichen Irrsinn so glaubhaft verkauft,
dass es jeder nicht nur ernstnehmen kann, sondern es leider muss.
Rechtssprechung in einer Klassengesellschaft, die natürlich nicht existiert,
wäre ja auch schlimm. Der Ton wird deutlich ernster, galliger und deshalb
wirkungsvoller. Die anfängliche Satire wird zum reflektierten Drama, ohne den
Ansatz aus den Augen zu verlieren, in beide Richtungen. Dem schwungvollen
Unterhaltungswert wird eine deutlichere Aussage hinzugefügt, wirkt sogar
unheimlich. Man kann kaum daran zweifeln, was so in den Räumen der Justiz – und
besonders in den Hinterzimmern – vor sich geht. Da wird geschoben, mit
zweierlei Maß gemessen, gedreht und gebeugt bis zum Anschlag, Menschen werden
wie Schachfiguren hin und her geschoben, Bauernopfer sind Teil der Strategie,
solange der König nicht geschlagen wird.
Wunderbar besetzt, der schon
angesprochene Pacino in seiner Hochphase, die ihn zu einem der besten
Darsteller der 70er gemacht hat. Seine impulsive Art wechselt mit bedachten
Momenten ab, irgendwann kippte das leider. Heute eher der alte Tränensack oder
überdrehte Hampelmann, damals stimmig ausgewogen. Jack Warden, John Forsythe
und (wenn auch nur in einer kleinen Rolle) der legendäre Lee Strasberg (quasi
Pacinos Lehrer) unterstützen das passend.
Klar zeigt „...And Justice for All“
Extreme, allerdings sehr konsequent und das bewusst. Satire kann nicht immer
nur wizig sein, sie muss in erster Linie ein ernstes Problem anprangern. Das
schafft dieser Film. Der Wahnsinn hat ein Zuhause, wo die guten Kerle wohnen.
Sollte man annehmen. Wie überall auch, schwarze Schafe gibt es genug und an den
richtigen und wichtigen Stellen scheinen sie sich besonders wohl zu fühlen.
Manchmal wirkt der Film vielleicht etwas zu wenig homogen, nicht jeder
Sprengstoff zündet immer effektiv, insgesamt aber ohne Frage ein mutiges Stück
Kino aus der Spätphase, als in Hollywood gerne noch hinterfragendes Material
umgesetzt wurde...regelmäßig.
7 von 10 Gewissensfragen.
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