Review: BERBERIAN SOUND STUDIO – Von zermatschten Melonen und geköpften Radieschen



Fakten:
Berberian Sound Studio
UK. 2012. Regie und Buch: Peter Strickland.
Mit: Tony jones, Fatma Mohamed, Cosimo Fusco, Tonia Sotiropoulou, Susanna Cappellaro, Antonio Mancino, Guido Adorni u.a. Länge: 92 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 4. April 2014 auf DVD erhältlich.


Story:
Toningenieur Gilderoy soll in einem italienischen Studio, zurzeit als der Giallo seine Glanzzeit hatte, den neuen Horrorfilm von Regisseur Santini vertonen. Der introvertierte Gilderoy vertieft sich dabei immer mehr in seine Arbeit und beginnt nach und nach die Fiktion des zu vertonenden Films mit der Realität zu verwechseln.





Meinung:
Dass der Giallo in den 1970er Jahren Hochkonjunktur feiern durfte und dem heutigen Kinogänger kaum noch ein Begriff ist, lässt weder den Geek in Schockstarre fallen, noch ist diese Tatsache für den Cineasten im Allgemeinen eine Überraschung. Dieser italienische Stil respektive dieses Subgenre (die elendige Debatte über den korrekten Terminus soll an dieser Stelle weiträumig umgangen werden), welches sich ganz der ästhetischen Formelhaftigkeit, der markanten Lichtsetzung, der ausgeklügelten Farbdramaturgie, den anmutigen Kamerafahrten, dem phallischen Mordinstrument, anstatt einer pointierten Storyline, verschrieb, fristet ihr Dasein inzwischen als höchstfaszinierendes Relikt in den Köpfen fachkundiger Zeitgenossen. Hin und wieder allerdings bekommt der Giallo dahingehend noch einmal die Ehre erwiesen, dass sich junge Filmemacher daran versuchen, diesem auch in der Gegenwart als leiser Reanimationsversuch Tribut zu zollen: „Amer“ von Hélèna Cattes beispielsweise, oder auch der deutsche Vertreter „Masks“ von Andreas Marschall. Vom stilistischen Ideal eines Dario Argento („Profondo Rosso“) oder auch eines Maria Bava („Blutige Seide“) muss jedoch weiterhin sehnsüchtig geträumt werden.

 
Es geht doch nichts über einen frischen Schrei
Wer sich, und das ist natürlich absolut nachvollziehbar, nicht unbedingt für den reinen Exploitationsfilm, seine populären Motive und schlüpfrigen Charakteristiken begeistern kann, der bekommt mit Peter Stricklands auf mehreren Ebenen funktional agierenden „Berberian Sound Studio“ einen interessanten Blickwinkel auf das Thema Giallo offeriert. Alles fängt an mit dem britischen Foley Artist Gilderoy, ein vorzüglicher (Re-)Produzent von Geräuschen, in der Heimat vornehmlich für idyllische Naturfilme tätig. Sein Ruf aber eilt ihm bis in den Süden nach Italien voraus, wo Gilderoy zu seiner Überraschung nicht für die Vertonung eines Pferdefilms engagiert wird, sondern für einen reinrassigen Giallo. Ein Metier, von dem sich der introvertierte Brite schon allein aus moralischer Sicht Zeit seines Lebens bewusst fern zu halten versuchte. Nun findet sich der um Etikette bemühte Mitfünfziger in einer Welt wieder, die ihm nicht nur aufgrund der projizierten Bilder von Tod und Grauen fremd erscheint, sondern auch durch das Umfeld, in dem die Sprachbarriere im Laufe der Arbeit noch das kleinste Problem darstellen wird. Und das merkt man als Zuschauer bereits in den ersten Minuten, wenn die „SILZENZO“-Anzeige am Eingang des Tonstudios im diabolischen Rot intervallartig aufleuchtet.


Gilderoy bei der Arbeit
Dieser eigentlich unauffällige Jedermann Gilderoy wird von Toby Jones zum Leben erweckt. Jones, der immer und überall überzeugt, allerdings nur zur B-Riege der Schauspieler gehört, zeigt hier, zu welch nuancierter Darstellung er auch in einer Hauptrolle fähig ist – Wenn man ihn denn lässt. Ohne theatralische Gesten, in seiner Introspektion aber ausdrucksstärker als so mancher hochbezahlter Superstar, fährt Jones die großen Geschütze subtiler Performancekunst auf und verbleicht psychologisch langsam im hermetischen Raum des Studios, in der sich Realität und Fiktion zunehmend jeder Differenzierung verschließen. „Berberian Sound Studio“ verzichtet darauf, den Zuschauer Teil des Giallos
Il Vortice Equestre” zu werden und baut somit das elementare Fundament eines jeden guten Horrorfilms auf: Die Schreie auf der Tonspur, die Gesichter der Synchronsprecher rücken in den Fokus, während sich Gewalteskapaden nur durch unsere Vorstellungskraft entfalten dürfen: Horror entsteht im Kopf und entzieht seine suggestive Potenz aus dem Unsichtbaren, dem Verborgenen, dem Nebulösen. Natürlich spielt „Berberian Sound Studio“ da auch wieder mit unseren Urängsten, mit einer Präsenz, die fühlbar, aber nicht eindeutig zu dechiffrieren scheint. Das verrauchte Tonstudio, die Chauvis, die Damen, der Brite. Sie alle versinken langsam im Sumpf der individuellen Wahrnehmung.


Wenn sich die schwarzen Handschuhe langsam vom unteren Rand in das Bild schieben, dann grinst der Giallo-Liebhaber. Wenn Melonen, Radieschen, Auberginen und Kopfsalate zu Gunsten des perfekten Sounds manisch massakriert und zerrupft werden, dann ist das nicht nur auf bizarre Art und Weise amüsant, es ist gleichwohl Hofknicks vor der Nostalgie des Kinos, aber auch Mahnmal vor der Kraft der Illusionen, denen Gilderoy höchstpersönlich verfällt: Willkommen im Reich der Täuschungen. „Berberian Sound Studio“ definiert sich dabei als Referenzfilm und Hommage mit all seinen offensichtlichen und versteckten Querverweisen. Gleichwohl inszeniert Strickland – lyncheske Schlüsselassoziationen hin oder her – einen autarken Psychotrip, der mit unserer auditiven wie visuellen Resonanz spielt, Ohren spitzt, Augen schärft, die Sinne sensibilisiert, natürliche Reaktionen auf das Unbestimmte, das Mysteriöse erweckt und den Zuschauer am Ende dann doch alleine lässt: Ein Vexierspiel, dessen knisterndes Zelluloid kein Zufall bedeutet. Wie man „Berberian Sound Studio“ nun auch lesen und intereptieren möchte, ist jedem selber überlassen. Sich dieser ungemein stimulierenden atmosphärischen Sogwirkung zu entziehen, trotz der gebrochenen Kohärenz in der Narrative, das grenzt schon an Kunstverachtung des Mediums. Eine schaurige Ode an die verfängliche Kunst der Akustik, der es zu verfallen gilt.


8 von 10 Pfaden in das flackernde Licht


von souli

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