Review: I KILLED MY MOTHER - Mutterliebe ist nicht selbstverständlich


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Fakten:
I Killed My Mother (J’ai tué ma mère)
CA, 2009. Regie & Buch: Xavier Dolan. Mit: Xavier Dolan, Anne Dorval, Francois Arnaud, Suzanne Clément, Patricia Tulasne, Niels Schneider, Monique Spaziani, Pierre Chagnon u.a. Länge: 96 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
Der 16jährige Hubert ist anders als die Jungs in seinem Alter. Er ist hochintelligent, belesen, künstlerisch begabt, dabei jedoch sehr unzufrieden, wütend, fast schon depressiv. Denn die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter, die ihn seit der Trennung von seinem Vater vor 10 Jahren praktisch allein großzieht, ist eine einzige Katastrophe. Eine exzessive Hassliebe, geprägt von Wutausbrüchen, gegenseitigen Schuldzuweisungen, Vorwürfen und  Unverständnis. Die Lage spitzt sich noch mehr zu, als seine Mutter zufällig von Huberts Homosexualität erfährt.





Meinung: 
"Selbst wenn ich mir vorstelle wie die schlimmste Mutter der Welt ist, du übertriffst sie bei weitem!"


Äußerst bemerkenswert, dieses Debüt des Franko-Kanadiers Xavier Dolan. Nicht etwa, weil der Film so perfekt ist, auch nicht, weil Dolan hier als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion auftritt, das gibt es immer wieder. Bemerkenswert ist das Alter, in dem der junge Mann dies alles bewerkstelligte. Das Skript schrieb er mit 17 (!), beim Dreh war er erst knapp 20 Jahre alt. Unglaublich, besonders in anbetracht der Tatsache, wie reif sein Film an vielen Stellen wirkt. Nicht immer optimal ausgereift, ein gewisser Lernprozess muss eben auch gestattet sein, dennoch ist das weit mehr, als man in diesen Jungen Jahren von einem Mann erwarten kann, speziell in dieser Mehrfachbelastung an den wichtigsten Stellen eines Projekts. Hut ab.


Hotel Mama nervt!
Dolan verkörpert in der Rolle des Hubert sein Alter Ego, denn der Film ist semi-autobiographisch und erinnert nicht nur deshalb an Francois Truffauts Nouvel Vogue Klassiker „Sie küssten und sie schlugen ihn“. Auch thematisch sind sich die Filme sehr nah. Es geht dort wie hier um die schwierige Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern, in diesem Fall dem eines Teenagers zu seiner Mutter, und den daraus resultierenden Folgen. Während sich bei Truffaut jedoch die Schuldfrage nach den oder dem Verursacher(n) dieser fatalen Situation klar beantworten lässt, ist dies bei „I Killed My Mother“ nicht eindeutig bzw. ein zweischneidiges Schwert. Warum zwischen Hubert und seiner Mutter eine so verfahrene Hass-Liebe vorliegt, ist in seinem Ursprung nur zu erahnen. Wir sehen nicht, wann und wie alles zu Bruch ging, wir steigen an einem Punkt ein, als das Kind schon lange in den Brunnen gefallen ist und erleben nur ein Szenario voller brodelnder Emotionen, die bei dem kleinsten Funken in die Luft gehen. Banale Alltagssituationen eskalieren in wüsten, verbalen Ausschreitungen, bei denen oft der impulsive Hubert derjenige mit der kurzen Zündschnur ist. Das hat nichts mehr mit einem typischen, pubertären Aufbegehren und natürlicher Rebellion gegen das Elternteil zu tun. Es ist ein tiefverwurzelter Schmerz, das Gefühl nicht verstanden und akzeptiert zu werden, das sich über die Jahre zu einer Art Manie manifestiert hat, bei der selbst minimale Konflikte oder gar nur das Erscheinungsbild und die Eigenarten der Mutter ihn zur Weißglut bringen. Wer ist denn hier „der Schuldige“? Keine klare Sache, was oft und speziell in dem Fall auch nicht zutrifft. Fehler wurden und werden immer noch gemacht, von beiden Seiten, nur der Punkt, an dem sich auf normalen Wegen alles wieder richten ließe, wurde schon lange überschritten.


Wenigstens haben sie Zeitungen ausgelegt.
Dolan inszeniert das – wie schon erwähnt – wahnsinnig abgeklärt und der Einfluss der persönlichen Jugend ist unverkennbar. Das ist in dem Alter einfach im Detail nicht nur fiktiv erdenkbar, da müssen eigene Erfahrungen drinstecken. Manche Situationen sind von so einer emotionalen Wucht und Durchschlagskraft gespielt, geschrieben und eingefangen, dass es unglaublich packt. Dolan legt sich als Darsteller voll ins Zeug, der innere Vulkan seiner Figur ist jederzeit sichtbar und kommt mehr als einmal zu einem eindrucksvollen Ausbruch. Damit übertreibt er es nur gelegentlich etwas. Manchmal fühlt es sich an, als würde er nur schreien um des Schreiens Willen, obwohl er natürlich immer eine Menge zu erzählen oder eher anzuprangern hat. Über die gesamte Distanz deutlich besser gefällt da Anne Dorval in der Rolle seiner Mutter, die eine großartige Vorstellung bietet. Zwischen fast letargischem Hinnehmen, hilfloser Überforderung und dann doch mal ähnlich extrovertierten Ausrastern wirkt das viel ausgewogener und immer erstklassig. Die rein technische Inszenierung ist da eher die große Stärke von Dolan, da wirkt vieles wie von einem etablierten Fachmann, der er damals defacto einfach noch nicht sein konnte. Er zeigt hier schon, dass er viel Wert auf eine künstlerisch anspruchsvolle Darstellung legt, was ihm im insgesamt auch gelingt, manchmal nur leicht erzwungen wirkend und nicht immer mit der nötigen erzählerischen Substanz dahinter. Arthaus in der Probe. Sieht schon richtig aus, könnte nur noch mehr Klasse beinhalten, in Form eines hervorragenden Skripts. Auch da ist vieles schon verdammt gut, nur etwas punktgenauer, präzieser und aussagekräftiger könnte das schon sein. Das ist allerdings Meckern auf recht hohem Niveau, besonders im Hinblick auf so ein Frühwerk. Talent hat Monsieur Dolan in jedem seiner drei zu beackernden Feldern, keine Frage, und er ruft es hier schon sehr respektabel ab.


„I Killed My Mother“ ist natürlich noch kein moderner Klassiker, keine riesengroße Perle des neuen Autorenkinos, aber eine kleine, oft stark vorgetragen, die wahnsinnig viel erkennen lässt. Und eigentlich nur Gutes. Xavier Dolan bastelt ja inzwischen fleißig an einer großen Karriere, verliert dabei wenig Zeit. Weiter so, dann wird das was.


7 von 10 Geständnissen vor der Kamer
a.

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