Fakten:
Her
USA. 2013. Regie und Buch: Spike Jonze. Mit: Joaquin
Phoenix. Amy Adams, Rooney Mara, Chris Pratt, Olivia Wilde, Portia Doubleday, Matt
Letscher, May Lindstrom u.a.. Stimme u.a. von Scarlett Johansson, Bill
Hader, Kristen Wiig, Brian Cox. Länge: 123 Minuten. FSK: freigegeben ab 12
Jahren. Ab 4. September 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.
Story:
Theodore verdient sein Geld mit dem Schreiben von Liebesbriefen, doch
nachdem seine Frau ihn verlassen hat, sieht es in Sachen Liebe für ihn persönlich
eher finster aus. Er lebt alleine, suhlt sich in Schwermut und hat wenig Lust
außerhalb seiner Arbeit seine Wohnung zu verlassen. Dies ändert sich, als er
ein neues Betriebssystem installiert. Das sogenannte OS, welches sich selbst
Samantha nennt, wird schnell zu Theodores Seelenverwandte.
Meinung:
Er ist involviert bei
den Späßen der legendären Jackass-Crew, er drehte Musikvideos die auch nach
vielen Jahren immer noch herausgekramt werden, wenn es um kreative und außergewöhnliche
Musikclips (u.a. „Praise You“ von Fat Boy Slim oder „Sabotage“ von den Beastie
Boys) geht und dann inszenierte er noch gefeierte Filme wie „Being John
Malkovich“ oder „Wo die Wilden Kerle wohnen“. Gemeint ist Spike Jonze, dessen neuster
Spielfilm auf den kurzen aber prägnanten Titel „Her“ hört und für dessen
Drehbuch Jonze am 2. März 2014 einen Oscar fürs beste originale Drehbuch erhielt.
Mit Recht? Ja, mit definitiven Recht, denn „Her“ ist ohne Kompromisse ein
großartiger, wenn nicht sogar herausragender Film. Wieso er das ist, wird der
Autor dieses Textes versuchen in den nächsten Zeilen zu erklären.
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Das erste Kennenlernen: Theodore installiert Samantha |
Schnell könnte die Vermutung aufkeimen, dass „Her“ den übermächtigen, mahnenden
Stempel einer Gesellschaftskritik aufgedrückt hat. Alleine wie Jonze die im
Film präsentierte Technik inszeniert und einsetzt weckt bekannte Bilder aus
unserem Alltag: Menschen, die zusammen stehen und reden, jedoch nicht mit ihrem
Gegenüber, sondern mit sich selbst, bzw. mit ihrem Mobiltelefon. Doch obgleich
diese Intention wahrlich nicht von der Hand zu weisen ist und dieser Subtext den
vierten Spielfilm von Spike Jonze durchzieht wie Kapillargefäße, ist „Her“ in
erster Linie doch mehr daran interessiert eine romantische Geschichte zu
erzählen, einhergehend mit der Frage ob wir auch wirklich dann einsam (besser
gesagt: alleine) sind, wenn wir niemanden an unserer Seite haben, außer die moderne
Technik, die uns, wie heutzutage, es ermöglicht mit anderen Menschen zu
kommunizieren, auch wenn der gute, alte Blickkontakt fehlt oder sogar ganze
Weltmeere zwischen ihnen liegen? Aus dieser Frage entspinnt „Her“ dann aber
mehr als eine Abhandlung schnöder Plattitüden, Pro und Kontras. Viel mehr
erweitert er sie: Kann man sich in jemanden verlieben, den man noch nie gesehen
hat? Kann man sich verlieben in eine Stimme, die zwar liebevoll und bezaubernd
klingt, die allerdings von einer Software stammt?
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Alleine in der großen Stadt |
Auch hier wäre es einfaches gewesen, diese Frage zu zerschmettern, sie als
Unfug abzutun, aber wir alle leben doch bereits jetzt in einer digitalisierten
Welt, in der das physische immer zweitrangiger wird. Nur als Beispiel sei hier
einmal angebracht, dass sich die Autoren dieses Film-Blogs noch nie persönlich
getroffen haben, sich aber dennoch über Facebook und Twitter hinaus aus Freunde
bezeichnen würden. Statt den modernen Weg der Kommunikation zu dämonisieren,
zeigt Jonze in „Her“ einfach eine Liebesgeschichte, zwischen Autor Theodore und
einer Software, die sich selbst Samantha nennt. Es ist der nächste, klare
Schritt im Kreislauf der sozial-kommunikativen Renovation. Aus zwei
menschlichen Gesprächspartnern werden ein Mensch und eine Maschine. Was beängstigend
klingt, da es aber von dort an nur noch ein kleiner Schritt ist, bis das Humane
komplett wegfällt, nutzt Jonze für seinen hintersinnigen Film „Her“, der sich
sehr offen und ohne Angst dieser Thematik annimmt und dennoch das Menschliche
mehr fokussiert als die Elektronik. Überhaupt nähert sich „Her“ dem Ganzen ohne
großen Druck ohne Scham (Sexualität wird nicht ausgespart). Was auf dem Papier,
Tablet oder Monitor befremdlich klingen mag, wird im Film fast schon nonchalant
erzählt und akzeptiert. Faszinierend und durchaus mutig.
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Theodore mittendrin, im Taumel der Liebe |
Ebenfalls faszinierend an „Her“ ist sein Setting. Das production design spiegelt gekonnt die Größe und Weite heutiger
Metropolen wider, genau wie aktuelles Technikspielzeug, verleiht diesen jedoch einen
futuristischen Anstrich, der weder aufgesetzt noch prahlerisch wirkt. Ohne auch
nur eine Sekunde an eine Exposition zu verschwenden, schafft es „Her“ dem
Publikum zu suggerieren, dass die gezeigte Welt unsere Zukunft ist. Eine unaufdringlich
detaillierte Zukunft (man achte nur einmal auf die konstante Mode), die stilistisch und technisch nicht nur besonders nah, sondern fast schon zwangsläufig erscheint - auch wenn sie vielleicht etwas zu
hell erstrahlt, was wiederrum ein guter Konterpunkt ist, zur
Einsamkeit, die Jonze zeitgleich einfängt. Denn vor den großen Fenstern,
weitläufigen Betonplatten zwischen den Hochhäusern und modischen Büros scheint
es keinen Platz für Wärme zu geben. Kein Wunder also, dass Theodore sein Geld
damit verdient, dass er für andere Liebesbriefe schreibt. Auch hier zeigt sich,
das Spike Jonze mit „Her“ ein durch und durch visionäres Werk geschaffen hat.
Visionär nicht alleine durch seine Reflexion über unser Leben, sondern auch,
weil es ihm ohne sichtbare Probleme gelingt eine große Liebe zu entfachen, die
teilweise aus bits and bytes besteht
und dennoch große, ehrlich wirkende Emotionen generiert.
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Amy Adams, hier ganz natürlich |
Darstellerisch kann „Her“ ebenfalls überzeugen. Allen voran wegen Joaquin
Phoenix, der mit seinem auffälligen Schnauzbart und seinem liebenswerten
Hundeblick erneut beweist, dass er ohne Zweifel zu den besten Schauspielern
seiner Generation gehört. Nach seiner kraftvollen Performance in Paul T.
Andersons „The Master“, brilliert er hier als gewöhnlicher Alltagstyp, der
dabei ist an der Scheidung von seiner Frau zu zerbrechen, bis er auf Samantha
trifft, die körperlose Stimme aus dem Computer. Neben Phoenix geben sich noch
andere, aktuell oft in gefeierten Filmen zu sehende, Darsteller die Ehre.
Herausstechend dabei ist Amy Adams, die hier nach „American Hustle“ wieder in
einem bodenständigen, natürlichen, charmanten Glanz erstrahlt und trotz ihrer
eher geringen screentime (der Film
ist absolut und gerechtfertigter Weise auf Phoenix fokussiert) erneut beweist, wie
großartig sie ihren Job meistern kann. Auch Rooney Mara („The Social Network“, „Ain’t them Bodies Saints“) als Theodore Noch-Ehefrau Kathrine hinterlässt mit ihrem wenigen aber
äußerst wichtigen Szenen einen äußerst positiven Eindruck. Lediglich Chris
Pratt („Zero Dark Thirty“, "Fast Verheiratet") der diesen Sommer im langerwarteten Marvel-Vehikel
von James Gunn, „Guardians of the Galaxy“, zu sehen sein wird, bleibt etwas zu
blass und konturlos. Dafür gibt sich "Her" bei den Stimmen keinerlei Blöße. Scarlet Johansson als Samantha ist schlicht und einfach herausragend.
Spike Jonze hat mit „Her“ großes, emotionales, intelligentes, mutiges Kino
abgeliefert und gleichzeitig einen scharfsinnigen, aber niemals böswilligen,
Blick auf unsere heutige Sozialkultur geworfen. Obendrein bietet Jonze Script einige wirklich grandiose
komödiantische Momente, die zwischen brillant absurd und zartbitter variieren. Trotz
dieser humoristischen Abwechslungen bleibt „Her“ fest verwurzelt in der
Melancholie, jedoch biete diese wesentlich mehr Platz als nur für Wehmut. Zwischen
den ganzen gesellschaftlichen und kulturellen Tableaus offenbart Spike Jonze
die hoffnungsvolle Botschaft, dass wir nicht alleine sein müssen, unterlegt von den teils sphärischen Musikkompositionen der Band Arcade Fire. Einfach ein ganz wundervoller Film, oder anders und passender ausgedrückt: "Gefällt mir". Sehr sogar.
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