Review: MICHAEL KOHLHAAS – Revolution als Utopie



Fakten:
Michael Kohlhaas
BRD, Frankreich. 2013. Regie: Arnaud des Pallières. Buch: Christelle Berthevas, Arnaud des Pallières, Heinrich Von Kleist (Vorlage) Mit: Mads Mikkelsen, David Kross, Bruno Ganz, Mélusine Mayance, Delphine Chuillot, Denis Lavant, Roxana Duran, David Bennent, Swann Arlaud u.a. Länge: 122 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich. Ab 28. März 2014 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Frankreich, im 16. Jahrhundert: Der Pferdehändler Michael Kohlhaas wird auf dem Weg zu einem Markt Opfer der Bürokratie: nachdem er als Grenzpfand zwei Rappen hinterlassen hat, erhält er diese nur im elenden Zustand wieder zurück. Kohlhaas verlangt nach Gerechtigkeit, doch vor Gericht hat er keinen Erfolg. Mit einigen Gefährten beginnt er einen Kampf gegen die Obrigkeit.





Meinung:
Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ (1808-1810) zählt zu den Prunkstücken der deutschen Literaturlandschaft und fällt in fachkundigen Lesezirkel nur zu gerne der flammenden Rezitation zum Opfer: Immerwährendes Standardinventar eben. Dabei ist die Thematik von „Michael Kohlhaas“ rund um den Schrei nach Gerechtigkeit in keiner klaren Epoche verortet und wird in ihrem ethischen Anliegen zur unvergänglich relevanten Polit-Parabel. „Michael Kohlhaas“ hat damit den Vorteil, dass sich die Adaption auf die großen Leinwände jede Menge Freiheiten erlauben darf, solange die inhaltliche Essenz dabei nicht verloren geht und in ihrer Wertigkeit vollends unbeschadet bleibt. Interessant gestaltet sich also die Frage nach dem „Wie“. Und obwohl sich dieser Stoff oberflächlich in seiner Motivik einer hochbudgierten Hollywoodproduktion geradezu lächerlich anbiedert, bleibt das komplexe Sujet doch in kleineren Kreisen beheimatet. Denn nach Wolf Vollmars und Völker Schlöndorffs Interpretationen, hat nun auch der Franzose Arnaud des Pallières seine eigene Version entworfen.

 
Ein ungewisser Blick in Richtung Zukunft
Im Eigentlichen fertigt „Michael Kohlhaas“ ein Porträt gesellschaftlicher Ungerechtigkeit an, in dem die Willkür der Herrschenden einen rechtschaffenen Mann in die Raserei treibt, nachdem sich alle legalen Wege als unnütz entpuppten. Anders als noch in Kleists Vorlage aber, verlegt Arnaud des Pallières seine Geschichten in die Cevennen des 16. Jahrhundert. Eine Epoche im Umbruch, in dem sich letzte Anhängsel des Mittelalters auf dem Land erkennen lassen, während die Stadt langsam in ihr zivilisiertes, intellektuelles Bürgertum hineinwächst. Dabei hat Pallières es nicht nur auf den rein historischen Scheitelpunkt abgesehen, er hat auch mit den Gebirgswälder des Süden Frankreichs einen Handlungsort gewählt, der durch seine rohe Anmut optisch bereits erschlägt. Hier kann Kameramann Adrien Debackere sein Können in Sachen naturalistischer Statik ausspielen und evoziert einen visuellen Sog, der durch die permanenten Windzüge in seiner Atmosphäre intensiviert wird. In diesen Bildern kristallisiert sich Pallières Liebe zu Filmemachern mit memorabler Bildsprache wie Werner Herzog („Herz aus Glas“), Akira Kurosawa („Die sieben Samurai“) und Andrei Tarkowski („Stalker“) deutlich heraus, während sich gleichwohl die Stilistik karger Italo-Western erkennen lässt.


Michael Kohlhaas“ glänzt durch seinen Minimalismus und Naturalismus, ist sich aber ebenso im Klaren darüber, dass er sich nicht auf die Region als Lokalisation konzentrieren darf, sondern auf die Umstände innerhalb dieser, in einer Zeit, in der es Katholiken und Protestanten noch gestattet war, in Friede miteinander zu partizipieren. Der religiöse Subtext ist durchweg überall wahrnehmbar, und bündelt nicht allein in der gläubigen, extrem ambivalenten Figur des Michael Kohlhaas (mit stoischer Eindringlichkeit gespielt: Mads Mikkelsen), der moralische Gerechtigkeit in diesem Rechtssystem verlangt, doch sich in der von ihm verabscheuten Unmoral wiederfindet. „Michael Kohlhaas“ wird zur Reflexion über Recht und Unrecht auf mehreren sozialen Ebenen und taumelt dabei in eine raue Elegie, die den aufrichtigen Kohlhaas zu einem Krieg der Prinzipien wegen zwingt, dessen liederlichen Ausmaßen ihn immer wieder in tiefe Zweifel treiben. Schlussendlich kursiert ein Wort über dem Film: „Vergebung“. Aber wie sieht die Vergebung aus, die die Obrigkeit ereilte und die sie gleichwohl ausüben wird? Gilt Gnade vor Recht, wenn dieses durch die Selbstjustiz wieder herbeigeführt werden soll? Die Revolution in jedem Fall bleibt eine Utopie.


7 von 10 geschändeten Rappen


von souli

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