Review: INSIDE DEEP THROAT - Ein Porno sorgt für Furore


                                                                   

Fakten:
Inside Deep Throat
USA, 2005. Regie & Buch: Fenton Bailey, Randy Barbato. Mit: Dennis Hopper (Erzähler), Gerard Damiano, Harry Reems, John Waters, Larry Flynt, Ruth Westheimer, Dick Cavett, Linda Lovelace, Hugh Hefner, Bill Maher, Norman Mailer, Larry Parrish, Gore Vidal, Wes Craven u.a. Länge: 86 Minuten. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD erhältlich.


Story:
1972 erregte der Pornofilm „Deep Throat“ nicht nur tausende Kinobesucher, sondern auch die Gemüter von Sittenwächtern und Politikern. Die Independent-Produktion wurde ein irrsinniger Erfolg, doch dieser hatte auch seine Schattenseiten. Die Dokumentation „Inside Deep Throat“ beleuchtet diese einmalige Geschichte, lässt die Macher, Zeitzeugen, Fans und Gegner zu Wort kommen.







Meinung:
Ist das Kunst oder kann das weg?
Wenn es ein Pornofilm geschafft hat, in die An(n)alen (sorry, den muss man einfach versenken) der Filmgeschichte „einzudringen“ (jetzt reicht es aber auch), dann ist es „Deep Throat“ von Gerard Damiano. Bei Kosten von 25.000 $ erwirtschaftete der Streifen sagenhafte 600.000.000 (!) $ und lässt somit im Verhältnis selbst die Gewinnspanne von „Titanic“ oder „Avatar“ wie Sparbuchzinsen aussehen. Sein unvorstellbarer, finanzieller Erfolg (von dem die Hauptverantwortlichen kaum etwas hatten) ist dabei fast der uninteressanteste Aspekt dieses Phänomens, welchem Fenton Bailey und Randy Barbato mit ihrer Dokumentation hier Tribut zollen.


Der Onkel Doktor hat schon die richtige Medizin.
Um an der Stelle gleich das entscheidende Problem von „Inside Deep Throat“ vorwegzunehmen: Eigentlich ist er viel zu kurz. Dokumentationen schadet es in der Regel nicht, sich auf wesentliche Punkte zu beschränken, nicht zu weit auszuholen und sich nicht an jedem Detail aufzuhängen, gerade bei Auswertungen für Kino und Heimkino. Schließlich sollen Informations- und Erzählfluss gleichermaßen stimmig und der Unterhaltungswert gegeben sein, um das Endprodukt nicht nur für absolute Geeks und Hobby-Archivare reizvoll zu gestalten. Manchmal gibt ein Stoff aber dann doch so viel her, da sollte und muss man in die Vollen gehen. Kevin Macdonald tat beispielsweise 2012 gut daran, seinem „Marley“ gut 2 ½ Stunden Laufzeit zu gönnen, „Inside Deep Throat“ hätte die vielleicht auch locker tragen können, betrachtete man die Fülle der relevanten, spannenden Momente, den film- und zeitgeschichtlichen bald einzigartigen Stellenwert und Symbolträchtigkeit des diskutierten Werks sowie die zahlreichen Einzelschicksale, die teilweise nur angerissen werden, speziell natürlich das seines Stars Linda Lovelace. Ihr wurde zwar 2013 mit „Lovelace“ ein eigenes Biopic gewidmet, das allerdings trotz deutlicher Ambitionen enttäuschte und die tragische Geschichte des One-Hit-Wonders sehr plakativ und oberflächlich abfrühstückte, entscheidende Tiefe vermissen ließ.


Lässt James Cameron alt aussehen: Gerard Damiano.
Tiefe – ausgerechnet – fehlt es auch „Inside Deep Throat“ an ausgewählten Stellen, was insgesamt der deutlichen Fokussierung auf gewisse Themenschwerpunkte geschuldet ist. Im Wesentlichen werden Hype und Hexenjagd des berüchtigten Films behandelt, der selbst zwei Jahre nach seiner Premiere noch Platz 11 der US-Kinocharts belegte, in einer Zeit, als große Studios um ihre Existenz bangen mussten und notgedrungen (wie dankenswerterweise) auf junge, unverbrauchte Filmemacher setzen mussten, die heute teilweise zu Legenden geworden sind. Genau zu diesem Zeitpunkt strömten die Massen (auch die Promis, z.B. Jackie Kennedy) in einen Film, von dem selbst sein Regisseur sagte, dass es „kein guter Film“ sei. Gut vielleicht nicht im klassischen Sinne, aber ein mutiger, außergewöhnlicher Film auf jeden Fall. Als Hardcore-Filme sich noch unter dem doppelmoralischen Deckmäntelchen der „Aufklärung“ ihre Existenzberechtigung erschleichen mussten, verzichtete „Deep Throat“ auf diesen Unfug und schaffte es damit beinahe, die Pornoindustrie mit den großen Studios kopulieren zu lassen. Soweit kam es schlussendlich doch nicht, aber es wurde sich dezent befummelt, was lange (und heute erst recht) undenkbar erschien. Damit – besonders durch seine gesellschaftliche Akzeptanz, die sich in nackten Zahlen niederschlug – wurden natürlich die Sittenwächter der Nixon-Regierung auf den Plan gerufen, die öffentlichkeitswirksam das „Teufelswerk“ zunächst verbannen und letztlich sogar verbieten ließen, was völlig absurde Ausmaße annahm. Hauptdarsteller Harry Reems wurde als einzig greifbarer Sündenbock sogar zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, was die Hilflosigkeit einer prüden, auf Exempel abzielenden Regierung darstellte, die selbst genug, deutlich schmutzigeren Dreck am Stecken hatte, den man nicht mehr unter den eigenen Teppich kehren konnte, also musste das Gemüt der sicheren, blinden Wählerschafft gestreichelt werden. Das dafür ein armer Tropf kriminalisiert und fast zerstört wurde, spricht mehr als tausend wissenschaftliche Berichte über den „Schaden“ von Pornographie, die von der Regierung selbst in Auftrag gegeben und später unter Verschluss gehalten wurden, da die Ergebnisse (quelle surprise) nicht nach ihrem Gusto waren.


Das alles, vorgetragen durch Zeitzeugen, direkt und indirekt Beteiligte, ist hochinteressant, extrem flott, unterhaltsam und informativ, macht „Inside Deep Throat“ zu einer kurzweiligen, absolut lohnenden Veranstaltung. Die Kehrseite der Medaille ist das unübersehbare Brachland, welches zwar erwähnt, aber nicht im (entscheidenden, befriedigenden) Detail zur Geltung kommt. Sei es das (allein schon dokumentarisch allein verfilmbare) Leben und Scheitern von Linda Lovelace, der Niedergang der Porno-Industrie auf der großen Leinwand (natürlich auch vorhanden, aber auch das bräuchte mehr Raum), das Zerplatzen einer Seifenblase, welche „Deep Throat“ einst erschuf, die aber von der Realität und dem Wandel der Zeit zerstört wurde.    

6,5 von 10 vollen Hälsen

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