Review: UNDER THE SKIN - Gefährliche Studien fremder Augen



Fakten:
Under the Skin
UK. 2013.
Regie: Jonathan Glazer. Buch: Walter Campbell, Jonathan Glazer, Michel Faber (Vorlage). Mit: Scarlett Johansson, Antonia Campbell-Hughes, Paul Brannigan, Jeremy McWilliams, Krystof Hádek, Adam Pearson, Dave Acton, Jessica Mance, Joe Szula u.a. Länge: 107 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Ab 10. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story (die so in dem Film nie erklärt wird):
Laura (Scarlett Johansson) ist ein auf die Erde entsandter Alien und reist in der Gestalt einer verführerischen jungen Frau durch die schottischen Highlands. Sie wurde auf die Erde geschickt, um einsame Männer per Anhalter mitzunehmen. Denn Menschenfleisch ist auf Lauras Heimatplaneten ein kostbares, da rares Gut und für die außerirdischen Wesen eine Delikatesse. Mit ihren Verführungskünsten versucht Laura, der menschliche Emotionen wie Liebe oder Mitleid fremd sind, die jungen Männer um den Finger zu wickeln und schließlich zu töten. Doch ihre Mission gerät in Gefahr, als sich ihre Neugierde und ihr Gewissen regen…





Meinung:
Eine irre Angelegenheit, diese berüchtigte Eigenmacht von Jonathan Glazer mit Scarlett Johansson in der Rolle eines (vermutlichen) Aliens als Fremdkörper in der vom genauen Grund her nicht näher definierten, aber dennoch sinestren Erforschung unserer Erde. Nur sehr langsam entfaltet sich der mysteriöse Komplex der perfiden Verführung in künstlicher Haut und weiblicher Körperform - zunächst als einstudiert-glaubwürdiger Mechanismus der pragmatischen Ressourcen-Aufnahme, später in der Verwirrung der natürlich-umgebenden Umstände als Suche der Sinnlichkeit anhand einer für den Ausserirdischen unbekannten menschlichen Hülle. Jene Langsamkeit ist aber weder provozierendes Arthouse-Kalkül noch bedeutungsschwangeres Drängeln auf Atmosphäre - nein, Glazer verhält sich stattdessen ganz dezent und elegant, lässt das fremdartige Handeln einfach passieren und erzeugt fortwährend, auch dank seinem gleichzeitig distanzierten und sehr sinnlichen Gesamtkonzept, eine durchgehende Ungewissheit, welche aber ganz eigen und ruhig voranschreitet, sowie den Zuschauer kompromisslos auf die Reise mitnimmt.

 
Ein Alien entdeckt seine körperliche Hülle
Ein schön abwegiger Hybrid aus Wahrnehmungsebenen, der sich dabei ergibt, sobald die Falle der Geschlechts-fixierten Hypnose zuschnappt, ihre Opfer in eine pechschwarze Blase einfängt und verzehrt, hingegen aber ebenso das Alltägliche und Menschliche aus Perspektiven einfängt, die es ebenso durchweg merkwürdig erscheinen lassen (auch wegen dem schottischen Akzent der Anwohner). Toll aber auch, dass in dieser Auffassungs-Konstellation keinerlei Vorurteile herrschen oder gängige Gesellschaftsmuster sinnig erscheinen können, da die Ausserirdische jene Werte gar nicht kennt, nur schwer nachvollziehen kann, auf jeden Fall alle mit demselben Ansatz der oberflächlich-übernommenen Menschlichkeit anspricht, ob nun beim Baby oder beim Mann mit Neurofibromatose - während der Film dabei auch inszenatorisch trocken bleibt und die Reaktion des Zuschauers darauf eben ihm selbst überlässt, ganz konsequent verharrt in der Rolle der Aussenseiterin.


Ein Alien in Schottland: Laura
Somit ist Glazers Film auch eine Entdeckungsreise, eine Re-Etablierung des Für-Uns-Selbstverständlichen - ein bisschen wie in John Carpenters 'STARMAN' oder jüngst Godfrey Reggios 'VISITORS', nur eben mit einer bloß abstrakt-verborgenen Form der Romantik zum Unbekannten, so wie das Alien in diesem Film schließlich auch bei einem Menschen unterkommt, den es erstmals nicht laut Auftrag in die Falle lockt, da es sich zuvor im Nebel verlaufen hat (ein toller Kontrast zum metaphysischen Dunkel der 'Männerfalle') und nun auf unbekannten Terrain schlicht auch Hilfe braucht. Darauf scheint die dralle Erotik oder eben Funktion des menschlichen Wirtes für das unbekannte Wesen endlich durchzudringen, bleibt aber wie gesagt in einer stetigen Ungewissheit, welche schließlich auch einer Hilflosigkeit angesichts gewaltsamer Situationen des Menschseins ausgeliefert ist und höchstens nur noch von der neutralen Natur des Planeten begnadigt bzw. liegen gelassen wird.


 

Immer im rechten Licht
Es scheint zum Schluss auf jeden Fall in den unbekannten Ursprung zurückzukehren, doch Glazer gibt darauf keine direkten Antworten, aber eben doch reizvolle Ansätze des Verstehens und Weiterdenkens in einem Film aus der schlichten und irgendwie doch schönen/morbiden Objektivität des Andersartigen - dessen Handlungen wir auch fürchten können, da macht der Film keine Missverständnisse, obwohl er eben auf Plakativität verzichtet, einfach die abstrakten Abläufe zeigt und in ihrer bizarren Krassheit schier einwirken lässt, jedoch nicht in minutiösen Detail auswalzt, bis keine Fantasie mehr übrig bleibt. Doch auch auf diesem Wege wird 'UNDER THE SKIN' einen guten Teil seiner Zuschauer ratlos oder frustriert zurücklassen, was man auch verstehen kann bei solch einer stummen Studie der Erde, ihrer Bewohner und einer darin nebenher stattfindenden Zersetzung aus dem Blickfeld des Unmenschlichen.


Auf jeden Fall ist er etwas ganz Anderes und Frisches in der Filmwelt, eben ein Ausserirdischer mit einer aufregend-neuartigen Sicht auf die Dinge und da mag er das Fürchten lehren oder Fragen offen halten, aber man kommt einfach nicht an ihm und seinen einnehmenden, unbeschreiblich-kunstvollen und ineinander verschmelzenden Eindrücken vorbei, wie auch niemand an dieser enigmatischen Figur von Scarlett Johanssons Charakter im Film vorbeikommt - er verführt uns ins Kino hinein, wie schon lange nichts mehr zuvor und jeder der hierzulande die Chance hat, ihn auf der großen Leinwand zu sehen, sollte es mal ausprobieren. Ob man dabei im positiven oder negativen Sinne umgehauen wird, ist letztendlich egal - so etwas hat man so noch nicht gesehen.


8,5 von 10 Hautfetzen


vom Witte

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