Review: SHORT TERM 12 – Vertrauen ist das Fundament, auf dem Leben errichtet wird



Fakten:
Short Term 12
USA. 2013. Regie und Buch: Destin Cretton. Mit: Brie Larson, John Gallagher Jr., Alex Calloway, Kaitlyn Dever, Rami Malek, Melora Walters, Kevin Hernandez, Harold Cannon, Angel Amaral, Silvia Curiel, Stephanie Beatriz, Frantz Turner, Keith Stanfield u.a. Länge: 96 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Ihr Geld verdient Mitzwanzigerin Grace als Betreuerin in einem Heim für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche. Kein einfacher Job, der jeden Tag neue Herausforderungen für Grace und ihren Freund Mason, der im selben Heim arbeitet, bereitstellt. Als sie sich um die junge wie intelligente Jayden kümmern muss, reißen bei Grace plötzlich alte Wunden aus der Vergangenheit auf, denen sie sich stellen muss.





Meinung:
Auf dem South by Southwest (SXSW-Festival) mit Preisen regelrecht überhäuft worden, zählt Destin Crettons Indipendent-Produktion „Short Term 12“ für nicht gerade wenige Cineasten wie Film-Enthusiasten zum Besten, was uns das Jahr 2013 so beschert hat. Bezeichnenderweise hat es der Film bei uns in Deutschland natürlich nicht in die Kinos geschafft und muss sich mit der direkten Heimkinoauswertung begnügen (was dieser Tage ja auch schon irgendwo ein kleiner Erfolg ist, wenn man sich mal wieder ins Gedächtnis ruft, wie viel von dem vielversprechenden Festival-Programm der letzten Jahre bis heute auf eine Veröffentlichung warten muss). Der auf Hawaii aufgewachsene Filmemacher Destin Cretton jedenfalls hat die Geschichte des Jugendheimes „Short Term 12“ schon 2008 in seinem gleichnamigen Kurzfilm angerissen und eigene Erfahrungen verarbeitet. Dass ihm der Stoff allerdings viel zu sehr am Herzen liegt und 21 knackige Minuten diesem nicht wirklich gerecht werden, erklärt dann auch, warum Cretton sich dazu entschieden hat, „Short Term 12“ noch einmal als abendfüllenden Spielfilm aufzuziehen.


Grace versucht zu helfen...
Warum „Short Term 12“ für allgemeine Entzückung sorgt, liegt dann auch schnell auf der Hand: Der Film ist verdammt lebensecht erzählt und vermittelt den Alltag in dem Heim für verhaltensauffällige Jugendliche in einem ungemein greifbaren Porträt, welches nicht nur die Bewohner in den Fokus rückt, sondern auch ihre Betreuer. Grace (Brie Larson) ist sozusagen dramaturgischer Dreh- und Angelpunkt der Handlung: Den Arbeitsalltag erledigt sie mit routinierter Hand, leitet Gruppenaktivitäten oder nimmt sich den Jugendlichen in einem Gespräch unter vier Augen an. Privat allerdings läuft es nicht ganz so rund und ihr mit einer Engelsgeduld ausgestatteter Freund Mason (John Gallagher Jr.), der ebenfalls in der Sozialeinrichtung tätig ist, bemerkt immer deutlicher, wie Grace von den Dämonen ihrer Vergangenheit heimgesucht wird. Mit dem Einzug der Teenagerin Jayden (Kaitlyn Dever) wird auch für Grace immer deutlicher, dass sie sich vor ihren Problemen nicht länger verstecken kann, nun auch nicht mehr in den behüteten Wänden von Short Term 12. Die Psychen von Grace und Jayden spiegeln sich zunehmend.


... kann es oftmals aber nicht
So kreiert das Indie-Drama „Short Term 12“ ein psychologisches Verhältnis, dem Destin Cretton nicht mittels didaktischen Analyse auf den Zahn fühlen möchte, sondern die Parallelisierung (und die damit verbundenen seelischen Wunden, die noch heftig klaffen) von Grace und Jayden durch präzise Beobachtungen betont und den Ursprung ihres Leidens so sukzessiv entschlüsselt. Aus dieser Beziehung, die so zerbrechlich wie gegenseitig stärkend gezeichnet ist, schälen sich sodann zunehmend elementare Fragen: Sind wir, wenn wir in der Lage sind, Probleme bei anderen Menschen zu kennen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten, auch dazu fähig, eigene Diskrepanzen zu diagnostizieren und uns von Außenstehenden Ratschläge geben zu lassen? „Short Term 12“ macht hinsichtlich dessen deutlich, dass es keine allgemeingültige Formel gibt, die all die innerseelischen Schwierigkeiten mit einem Fingerschnippen aus dem Weg räumt, doch dass der Schüssel zu Bewältigung und Überwindung individueller Hürden im Dialog begraben liegen könnte. Und Vertrauen ist dafür zweifelsohne das essenzielle Fundament.


Dass Destin Cretton ein passionierter Künstler ist, lässt sich ihm dahingehend attestieren, dass er seinen Protagonisten oftmals ein Ablassventil in der Kunst zur Verfügung stellt: Ob im Zeichnen oder in der Musik. In einer der besten Szenen des Films rappt der kurz vor seinem 18. Geburtstag stehende Marcus Mason seinen neusten Text vor, in dem er mit seiner Mutter abrechnet und Betreuer Mason die Sprache damit verschlägt: „Look into my eyes so you know what it's like to live a life not knowing what normal life's like“. Dass „Short Term 12“ kein Meisterwerk ist, liegt vielleicht letztlich daran, dass er den stillen Momenten nicht immer in voller Gänze traut und sich lieber irgendeine musikalische Untermalung greift, die die Situation emotional dann nochmal so richtig zurechtstutzen soll. Das klappt nicht immer und wirkt zuweilen etwas penetrant, ändert aber im Endeffekt nichts daran, dass „Short Term 12“ ein schöner, ein berührender, ein authentischer Film ist, dem es nicht auf den belehrenden Gestus, sondern um gutgemeinte Ratschläge geht. Hoffnung gibt es schließlich (fast) immer.


7 von 10 Sprints zum Tor


von souli

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