Review: CAROL – Die Schönheit des Moments




Fakten:
Carol
GB, US. 2015. Regie: Todd Haynes. Buch: Phyllis Nagy, Patricia Highsmith (Vorlage). Mit: Cate Blanchett, Rooney Mara, Sarah Paulson, Kyle Chandler, Cory Michael Smith u.a. Länge: 118 Minuten. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. Im Kino.


Story:
New York, Anfang der 50er Jahre. Therese Belivet arbeitet als Verkäuferin in einem großen Warenhaus und erhofft sich ein besseres Leben. Als sie ihre Kundin Carol Aird bedient, fühlen die zwei Frauen sich spontan zueinander hingezogen. Auf den ersten Blick könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Therese ist zurückhaltend und traut sich kaum das Wort Nein zu verwenden, Carol ist dominant und steckt mitten in einem Sorgerechtsstreit mit ihrem zukünftigen Exmann. Als die beiden sich näherkommen entsteht ein Liebe, die von ihrem direkten Umfeld nicht verstanden wird.





Meinung:
Mit fünf Nominierungen gilt „Carol“ als einer der Favoriten bei der diesjährigen Verleihung der Golden Globes und damit auch als einer der großen Oscarkandidaten, wenn der größte amerikanische Filmpreis im Februar erneut vergeben wird. Regisseur Todd Haynes präsentiert mit „Carol“ einen der großen Kritikerlieblinge des Filmjahres und wer den Film gesehen hat, versteht warum sich der Film derzeit so großer Beliebtheit erfreut. Auf den ersten Blick ist „Carol“ typisches Oscarkino, ein langsames Drama mit bekannten Namen bestückt und grandios ausgestattet. Doch unter der detailgetreuen und authentischen Darstellung der 50er Jahre liegt weitaus mehr verborgen als nur ein hübsch anzusehender Film.


Carols Blick schweift in neue Richtungen
„Carol“ beschäftigt sich fast ausschließlich mit seinen beiden Protagonistinnen, die ihren üppigen Vorschusslorbeeren auch mehr als gerecht werden. Nicht umsonst wird Cate Blanchett als moderne Greta Garbo und Rooney Mara als Neuinterpretation Audrey Hepburns gefeiert. Inwiefern diese Vergleiche überhaupt notwendig sind sei einmal dahingestellt, schließlich stehen die beiden wunderbar für sich selbst und obgleich Garbo und Hepburn großartige Darstellerinnen waren, verdienen es Blanchett und Mara nicht, lediglich auf ihre Ähnlichkeit zu diesen Größen reduziert zu werden. Sie sind das Herzstück des Films und tragen diese Rollen auch mühelos, Mara in ihrer gläsernen Verletzlichkeit gleichermaßen wie die innerlich zerrissene Blanchett. Für sich genommen schon großartig, entfalten sie die volle Wirkung ihres Schauspiels in gemeinsamen Szenen. Zärtliche Berührungen, die so intensiv sind, dass dem Betrachter der Atem stockt, beiläufige Blicke, die mehr sagen als bloße Worte. Hier ein schwaches Lächeln, dort eine zweideutige Anmerkung, so sieht große Schauspielkunst aus und dafür darf und wird es wahrscheinlich auch die verdienten Preise geben. Seine Regie unterwirft Haynes komplett dieser Beziehung, seine Bilder sind warmherzig und intim, müsste man die Stimmung des Films mit einem Wort beschreiben, dann wäre es wohl 'zärtlich'.


Rooney Mara kann sich gegen die Blanchett behaupten
Gleichermaßen offenbaren diese Momente der Zweisamkeit aber auch die Schwächen des Films. So gelungen die intimen Momente der beiden Frauen auch sind, machen sie doch die dramaturgischen Probleme des Films nur zu deutlich. Abseits der fast schon träumerischen Szenen mangelt es an Konflikten, die in Form von Carols Tochter zumindest rudimentär vorhanden sind. Die größte Schwäche ist dabei wie nebensächlich er die alltäglichen Probleme der Frauen abhandelt, er macht ihnen zu wenig Platz um eine wirkliche Wirkung zu erzielen, was den fertigen Film auch spürbar in die Länge zieht. Der Regisseur hätte sich entweder mehr oder schlichtweg gar nicht auf diese Konflikte einlassen dürfen, so aber verpasst Haynes den entscheidenden Schritt in eine bestimmte Richtung und schafft es weder sich vollends in der Zwischenmenschlichkeit seiner Charaktere zu verlieren, noch die dramaturgische Komponente zufriedenstellend auszuarbeiten. Das mag nun deutlich härter klingen als es „Carol“ verdient hat, schließlich verirrt er sich nur gelegentlich in diesen Momenten der Unentschlossenheit. Dennoch ist es auf gewisse Weise sehr ärgerlich, könnte der Film doch so viel mehr sein wenn Haynes nur ein Stückchen mutiger und entschlossener den Schritt in die richtige Richtung gewählt hätte.


Das wirklich schöne an „Carol“ ist aber seine intime und ehrliche Darstellung einer Liebesbeziehung. Ganz einfach zwei Frauen, die sich ineinander verlieben. Kein unglückliches Ende, kein (Selbst)Mord, keine groß angelegte Coming-Out Szene und vor allem keine schwülstigen Reden über die Bedeutung von Liebe. Einfach nur zwei Menschen, die zueinander gehören. Das sind die Momente die „Carol“ ausmachen und die den Film trotz seiner Langatmigkeit zu einem mitreißenden und empfehlenswerten Stück Kino machen.


7 von 10 vergessenen Handschuhen


von Vitellone

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