Review: EVERY THING WILL BE FINE – Wenn die schwere Last der Schuld erdrückt



Fakten:
Every Thing Will Be Fine
CA/DE/FR/NO/SE/US, 2015. Regie: Wim Wenders. Buch: Bjørn Olaf Johannessen. Mit: James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, Marie-Josée Croze, Patrick Bauchau, Peter Stormare u.a. Länge: 114 Minuten. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. Ab 15. Oktober 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Der Romanautor Tomas fährt gedankenversunken durch dichtes Schneetreiben. Als er beinahe ein kleines Kind überfährt, bringt er den unversehrten Jungen zunächst erleichtert nach Hause zu dessen Mutter. Übersehen hat Tomas allerdings den Bruder des Jungen, der durch den Zusammenstoß ums Leben kam. Fortan muss sich der Autor mit seiner Schuld und seinem Gewissen auseinandersetzen.

                                                                                       

Meinung:
Regisseur Wim Wenders, welcher vor allem in den 70er und 80er Jahren mit vielen geschätzten Spielfilmen für Aufsehen gesorgt hat, stellte seine Anhängerschaft in der letzten Zeit etwas auf die Probe. Nach seinem Werk "Don´t Come Knocking" von 2005 hat Wenders innerhalb von 10 Jahren mit "Palermo Shooting" 2008 gerade mal einen Spielfilm gedreht, der Rest waren Dokumentationen, Kurzfilme oder Werbespots. Nun kommt aber wieder zusammen, was wohl zusammen gehört und Wenders veröffentlichte 2015 vor seinem 70. Geburtstag doch noch einen Spielfilm. Für "Every Thing Will Be Fine" hat sich der Regisseur Workaholic-Chamäleon James Franco als Hauptdarsteller an Bord geholt. 


Das Skript sorgt nicht für Begeisterung.
Franco spielt den Autor Tomas Eldan, der durch ein unbeabsichtigtes Unglück den Tod eines kleinen Jungen verschuldet. Durch einzelne, mitunter sprunghaft geschilderte Stationen und mithilfe von mehreren Zeitsprüngen verarbeitet der Film im Anschluss an die Tragödie über insgesamt 12 Jahre hinweg das von Schuldgefühlen geplagte Gewissen von Tomas, seinen persönlichen Umgang mit dem Unfall und weitere Ereignisse im Leben des Autors, wirft aber auch gelegentlich einen Blick auf die Familie des Opfers. Das schwächste Glied des Films ist dabei das Drehbuch von Bjørn Olaf Johannessen, das sich eine Spur zu oft auf altbackene, vorhersehbare Klischee-Dialoge verlässt und lieber Phrasen statt aufrichtige Gefühle zum Ausdruck bringt. "Every Thing Will Be Fine" bewegt sich in dieser Hinsicht nahe im Radius zahlreicher Verlust-und-Schuld- Aufarbeitungs-Dramen, die man in derartiger Form bereits unzählige Male gesehen hat und die ihrer Thematik wenig bis gar nichts neues hinzuzufügen haben. Viel interessanter hingegen ist die formale Ebene gelungen, bei der vor allem zwei Schlagwörter stellvertretend für den gesamten Film stehen: Reduktion und Gegensätzlichkeit. Gerade die Szenen, in denen das Drehbuch unnötige Dialoge sowie zuviele Worte auch mal weglässt und somit Wenders als Regisseur genügend Spielfläche bietet, um seinen konzentrierten Darstellern Raum für emotional einnehmende Gesten und rührende Blicke zu geben, zeigt "Every Thing Will Be Fine" zumindest in kleinen Momenten immer mal große Augenblicke.



Spaß und Freude auf dem Rummel.
Zumindest James Franco, der hier erneut sein öfters als narkotisiert beschriebenes Schauspiel zum Besten gibt, passt perfekt in die Figur des zurückgenommenen Autors, welcher sein quälendes Seelenleid so fest unterdrückt wie nur möglich. Die erwähnte Gegensätzlichkeit lässt sich auf die gesamte Inszenierung von Wenders anwenden. Auch wenn die Erzählung auf einen hohen Naturalismus abzielt, bricht der Regisseur viele Szenen in Schwarzblenden ab, fügt ihnen hierdurch elliptische Brüche hinzu und setzt Zeitsprünge ein, wenn man sie nicht erwartet. Die typische Handschrift des belgischen Kameravirtuosen Benoît Debie, welcher sich ansonsten für visuelle Feuerwerke wie „Enter the Void“ oder „Spring Breakers“ verantwortlich zeigt, ist hier ebenfalls kaum wiederzuerkennen und setzt in dem in 3D gefilmten Werk in erster Linie darauf, gewisse Elemente stets in den Vordergrund zu rücken und Hintergründe durch mal mehr, mal weniger hohe Tiefenschärfe oder Unschärfen abzutrennen. Der erzielte Effekt einer höheren Intimität zu den Figuren ist dadurch zwar offensichtlich, wirkt aber vor allem in 2D gelegentlich künstlich und nicht allzu authentisch. Die Musik von Alexandre Desplat untermalt das zurückhaltende, minimalistische Geschehen hingegen mit großen Klängen und eingängigen Melodien, was erneut einen starken Gegensatz hervor ruft.


Nähert man sich "Every Thing Will Be Fine" also auf rein narrativer Ebene, ist der Film nicht mehr als ein gewöhnliches, zwar stark gespieltes aber viel zu konventionelles, so schon oft gesehenes Drama, das mit klischeebeladenen Dialogen aufwartet und unter zu wenig Figurentiefe leidet. Entscheidend ist der minimalistisch reduzierte Stil, der in kleinen Gesten kurzzeitig große Gefühle offenbart und durch die gegensätzliche Inszenierung einiges an visueller Spannung anbietet. Somit bleibt der Film letztendlich Mittelmaß mit viel verschenktem Potential, dem Fans von ruhigem Schauspielkino oder generell Wim Wenders durchaus einen Blick schenken können, aber nicht zuviel erwarten sollten.

5 von 10 Karussellfahrten auf dem Jahrmarkt

von Pat

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen