Review: ZWEITE CHANCE - Ein Kind ist wie das andere

                                       


Fakten:
Zweite Chance (En chance til)
DK, S, 2014. Regie: Susanne Bier. Buch: Anders Thomas Jensen. Mit: Nikolaj Coster-Waldau, Ulrich Thomsen, Nikolaj Lie Kaas, Thomas Bo Larsen, Maria Bonnevie, Peter Haber, Ole Dupont, May Andersen u.a. Länge: 98 Minuten. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. Ab dem 17. Oktober. 2015 auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Die Polizisten Andreas und Simon entdecken bei der Routineüberprüfung in einer Junkiewohnung ein verwahrlostes Baby. Andreas als frischgebackener Familienvater ist schockiert. Als sein Kind dem plötzlichen Kindstod erliegt, dringt er kurzerhand in die Wohnung ein und tauscht heimlich die Babys aus. Eine fatale Kettenreaktion wird in Gang gesetzt…



                                                                                 

Meinung:
Ein Film, der schockiert. Ein Film, der tiefe Gefühle hervorruft. Ein Film, der einen sprachlos macht. Da hat Susanne Bier wohl alles richtig gemacht…von wegen! Der Film schockiert aufgrund seiner pseudomoralischen Taktlosigkeit. Die hervorgerufenen Gefühle lassen sich mit Wut und Abscheu am ehesten beschreiben. Sprachlos blickt man auf die Menschen, die „Zweite Chance“ (allein der Titel, schrecklich!) verbrochen haben und fragt sich fassungslos, ob die seit neuestem alle Farbverdünner trinken. Was ist denn bitte in die erfahrene, international renommierte Regisseurin Susanne Bier („Brothers – Zwischen Brüdern“) und vor allem den oft hervorragenden Autor Anders Thomas Jensen („Flickering Lights“, „Adams Äpfel“) gefahren, so einen fehlgeleiteten Dreck auf die Menschheit loszulassen? Und auch die gestandenen Darstellern Nikolaj Coster-Waldau („Game of Thrones“), Ulrich Thomsen („Das Fest“) und Nikolaj Lie Kaas („Men & Chicken“) sei die Frage gestellt, ob sie Drehbücher eigentlich vorher lesen.


Will natürlich nur das Beste für das Kind...
Dabei ist es gar nicht mal die Grundidee, aus der ließe sich tatsächlich ein interessanter Film machen. Allerdings erfordert eine derart heikle Thematik viel Sensibilität, darum sollte man sich bei dem eingespielten Team Bier/Jensen normalerweise wenig Sorgen machen müssen. Alles was sie in einigen Zusammenarbeiten vorher richtig machten, ist hier wie weggeblasen. Das geht schon los wie im plakativsten Unterschichtenfernsehen der Privaten am Vormittag, nur besser gefilmt. Stereotypen der schlimmsten Sorte: Die gammelige Assi-Familie mit ihrem bis zum Hals vollgeschissenen Baby, der sich sorgende Polizist und Bilderbuchvater, sein versoffener Partner, der die erste Hälfte des Films eigentlich nichts zu tun hat und (natürlich) gegen Ende sich „plötzlich“ zur Stimme der Vernunft und eigentlichen Helden der Geschichte aufschwingt, diese blinde Schwarz-Weiß-Malerei ist schon überraschend. Nicht schön, trotzdem noch das kleinste Übel. Richtig daneben wird es, wenn wir zum Hauptteil der Geschichte vorstoßen. Das dort Gezeigt kommt nicht nur für Eltern, eigentlich für jeden denkenden und nur ansatzweisen empathischen Menschen einem Schlag ins Gesicht gleich. Der plötzliche Tod eines Säuglings ist wohl das Schlimmste, was einem Paar passieren kann. Was dann folgt, könnte natürlich oberflächlich als Kurzschlussreaktion und Verzweiflungstat abgetan werden, soll es wohl auch, tatsächlich wird hier ein Kind zum Gegenstand degradiert.


Ein Cop jagt sich selbst.
Kaputt, ja Mensch, schade, dann tauschen wird doch einfach. Wie bitte?! Und das ist noch lange nicht alles: Statt im Anschluss sich mal ernsthaft mit dem moralischen Dilemma zu befassen, wird lieber ein Thrillerplot in Wallung gebracht, der sich einen Scheiß dafür interessiert, was der Film eigentlich behandeln sollte. Das ist in Anbetracht der Umstände nicht nur völlig uninteressant, es ist ärgerlich deplatziert. Klar dümpelt auch der moralische Aspekt des Handelns immer irgendwo im Hintergrund herum, viel wichtiger scheinen jedoch die justiziellen Folgen zu sein. Um das zu verdeutlichen: Dir stirbt das eigene Kind weg, du lässt den toten Körper deines eigenen Fleisch und Blutes in einer versifften Crack-Höhle zurück, stiehlst einer anderen Frau im Gegenzug ihr Kind und hoffst allen Ernstes (auch nachdem der erste Schock vorbei ist), dass nun alles gut werden kann, wenn du bloß nicht auffliegt? Gerade aus diesem Punkt hätte der Film einen Diskurs über Falsch und Richtig machen können, über Schmerz, Verlust und Traueraufarbeitung, anstatt diese pseudomoralische, abstoßend manipulative und zum aus der Hautfahren selbstgerechte Kotztüte, die am Ende sogar noch einen komplett unnötigen Twist einbaut, der nur noch untermauert, dass dieses Etwas die Schwerpunkte an der ganz falschen Stelle setzt. Es bietet sich gelegentlich sogar noch die Chance auf Abzweigungen, über Umwege doch noch in die Spur zu finden, die werden wie selbstverständlich ignoriert.


„Zweite Chance“ (gerne noch mal, allein dieser Titel ist eine Unverschämtheit) fängt im Prinzip da an, wo ein bekannter US-Film Jahre zuvor endete, aus Spoilergründen sei sein Titel nicht erwähnt. Wer ihn gesehen hat, wird sich erinnern. Der war so clever, nicht Partei zu ergreifen und einfach nur beiden Seiten der moralischen Medaille vorzustellen, der Zuschauer durfte sich selbst ein Bild machen und sich seine Meinung bilden. Susanne Bier sagt zwar auch nie, dass Kindesentführung eine gute Sache ist, egal vor welchem Hintergrund, lenkt das Geschehen dabei aber ungeschickt und zutiefst verärgernd in eine ganz falsche Richtung. Das mag alles unabsichtlich sein, bestimmt ist der Film niemals so schlimm gemeint, wie er sich letztlich präsentiert, das ändert am Resultat trotzdem so gut wie gar nichts. Alle Beteiligten haben mehrfach gezeigt, dass sie es besser wissen müssten. Eine ganz schrecklicher Film, der fast schon bedenklich Gleichgültig mit einem ganz schwierigen Thema umgeht. 

1 von 10 falschen Babys

1 Kommentar:

  1. Ausgezeichneter Film. Spannung bleibt über die 100 Minuten gut erhalten

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