Fakten:
Schreie und Flüstern (Viskningar
och rop)
Schweden. 1972. Regie und Buch:
Ingmar Bergman. Mit: Harriet Andersson, Ingrid Thulin, Liv Ullmann, Erland
Jospehson u.a. Länge: 88 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD
erhältlich
Story:
Als Agnes nach einer langen
Krebserkrankung im Sterben liegt, kehren ihre beiden Schwestern Maria und Karin
in das imposante Herrenhaus der Familie zurück. Aufgrund der schwierigen
Vergangenheit misslingt es jedoch Beiden ihrer sterbenden Schwester Beistand zu
leisten. Während das ehemalige Heim bei den Schwestern bruchstückartige
Erinnerungen hervorruft, distanzieren sie sich zusehends voneinander. Nur das
gläubige Dienstmädchen Anna spendet Agnes Trost und Nähe.
Ingmar Bergman sagte einmal, dass
man sich jeden seinen Filme in schwarz-weiß vorstellen könnte, ausgenommen
„Schreie und Flüstern“. Wer diesen Film gesehen hat, wird die Aussage des
Regisseurs verstehen. Selten wurden Farben symbolträchtiger genutzt, selten
nahmen sie eine zentralere Rolle ein als hier. Durchaus untypisch für Bergman,
so drehte er doch einen Großteil seiner Filme in schwarz-weiß und legte dabei
nie übermäßigen Wert auf die farbliche Gestaltung seiner Werke (ausgenommen der
Belichtung). Das Innenleben seiner Charaktere stand bei ihm stets im
Vordergrund. Aufwendige psychologische Analysen und existentielle
Fragestellungen, die ein Verständnis des menschlichen Wesens zeigen, wie man es
nur sehr selten zu Gesicht bekommt. „Schreie und Flüstern“ ist ein guter Beweis
dafür, dass sich die optische und die inhaltliche Komponente jedoch in keinster
Weise gegenüberstehen. Vielmehr nutzt Bergman die Farben um das Innenleben der
Figuren sichtbar zu machen, auf einer unterbewussten Ebene greifbarer und
verständlicher als es durch bloße Schauspielerei oder Dialoge möglich wäre.
Eine wahre Meisterleistung, die wieder einmal zeigt warum Ingmar Bergman zu den
größten Regisseuren aller Zeiten gezählt wird.
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Kein schöber Anlass für das Wiedersehen. |
Thematisch bleibt sich Bergman
treu, wie schon einige Jahre zuvor mit „Persona“ dringt er tief in die
weibliche Psyche ein und behandelt dabei Themen wie Ängste und Leid, aber auch
Hoffnung und Erlösung. Wie so oft geht es um den Tod, diesmal jedoch weniger um
seine philosophische Bedeutung, sondern mehr um den Prozess des Sterbens an sich.
Bergman nimmt das Seelenleben seiner Figuren und stülpt es mit allen ihm zur
Verfügung stehenden Mitteln nach außen. Dazu gehören die für ihn typischen
langen Nahaufnahmen, tiefgreifende Dialoge und ein ausdrucksvolles Schauspiel.
Erweitert wird diese Palette durch die bereits angesprochene farbliche
Gestaltung des Films. Überall dominiert Rot, es wirkt aufdringlich und
gnadenlos, erinnert an Blut. Allgegenwärtig symbolisiert es das Ende, den Tod.
Hinzu kommen Weiß und Schwarz, die instinktiv für Licht und Dunkel, für
Hoffnung und Trauer stehen. Immer wieder führt Bergman seine Charaktere und
Zuschauer dadurch an die Grenzen der seelischen Belastbarkeit, man kann sich
der Wirkung nicht entziehen, weil man nicht wegsehen kann. In der
kammerspielartigen Inszenierungen gibt es nämlich keinen Hintergrund in den man
sich flüchten könnte. Nur selten spendet der Regisseur Hoffnung, zumeist in
Form eines Tagebucheintrags der Sterbenden, was nach der vorhergegangenen Qual
jedoch umso stärker auf den Zuschauer einwirkt.
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Da ging wohl was daneben... |
Das Spenden von Mitgefühl nimmt
eine zentrale Rolle in Bergmans Erzählung ein. Immer wieder scheitert die
Annäherung der Charaktere aufgrund von Nichtverstehen. Es liegt nicht daran,
dass sie sich nicht gegenseitig helfen wollen, sondern daran, dass sie es
schlichtweg nicht können. Sie konzentrieren sich auf ihre eigenen Probleme und
ignorieren sich dabei gegenseitig. Sie verstehen nicht, dass das Spenden von
Mitgefühl und Trost für ihre sterbende Schwester auch ihre eigenen Sorgen und
Ängste lindern könnte. Ein Zitat aus dem Tagebuch von Agnes ist bezeichnend für
die komplette Situation: „Mir ist das Schönste zuteilgeworden, was ein Mensch
in diesem Leben erfahren kann. Es hat viele Namen: Zusammengehörigkeit,
Gemeinschaft, menschliche Wärme, Vertrauen. Ich glaube es ist das, was man
Gnade nennt“. Dabei scheint das Verhältnis der Schwestern bei einem
oberflächlichen Blick völlig in Ordnung zu sein, sie kümmern sich um die
Sterbende und verbringen Zeit mit ihr. Doch bald entpuppt sich diese Zuneigung
als reiner Schein, als Agnes deren Hilfe nämlich wirklich benötigen würde,
wenden sie sich von ihr ab. Selbst als sie nach ihrem Tod wiederkehrt
verweigern ihr die Schwestern ihre Zuneigung und Hilfe. Abschließend soll das
Anwesen der Familie verkauft werden, symbolisch für den Bruch der Familie und
den endgültigen Abschied der Frauen voneinander.
"Schreie und Flüstern“ ist ohne
Zweifel ein großartiges Werk, welches selbst aus der mit Meisterwerken
bestückten Filmografie Bergmans heraussticht. Er macht es seinen Zuschauern
nicht leicht, denn „Schreie und Flüstern“ ist ein filmischer Kraftakt, der dem
Zuschauer alles abverlangt. Ein Alptraum in Rot und Weiß, der tief in die
Abgründe der menschlichen Psyche blicken lässt. Inhaltlich wie inszenatorisch gleichermaßen
herausragend schuf Bergman ein brachiales Werk, das trotz seiner
niederschmetternden Inhalte stets einen Funken Hoffnung behält.
9 von 10 schmerzhaften Erinnerungen
von Vitellone
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