Review: ATEMLOS VOR ANGST - Dem Klassiker fast ebenbürtig



Fakten:
Atemlos vor Angst (Sorcerer)
USA, 1977. Regie: William Friedkin. Buch: Walon Green, Georges Arnaud (Vorlage). Mit: Roy Scheider, Bruno Cremer, Francisco Rabal, Amidou, Ramon Bieri, Peter Capell, Karl John, Friedrich von Ledebur, Chico Martinez, Joe Spinell u.a. Länge: 89/122 Minuten (Europa/US-Version). FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. Auf DVD und Blu-ray (nur Import) erhältlich.


Story:
Gestrandet in den Unruhen der südamerikanischen Slums warten ausländische Outlaws nur auf die eine Chance, endlich in ihre Heimat zurückzukehren. Die einmalige Chance bietet ihnen eine US-Ölkonzern: Sie suchen verzweifelte, am besten lebensmüde Fahrer für einen Höllenritt. Extrem instabiles Nitroglyzerin muss auf klapprigen LKWs durch den Dschungel transportiert werden. Überlebenschancen eher gering. Vier Männer nehmen diesen Job an, sich gewiss, dass es ihre letzte Reise sein könnte.





Meinung:
William Friedkin meistert eine schwierige, eigentlich extrem undankbare Aufgabe mit Bravour. Bereits 1953 verfilmte Henri-Georges Clouzot den gleichnamigen Roman „Lohn der Angst“ von Georges Arnaud meisterhaft, schuf damit ein zeitlos packendes, intensives Stück Spannungskino, wie es bis heute kaum zu erleben war. Ein Remake dieses Jahrhundertwerks dürfte an und für sich zum Scheitern verurteilt sein, wenn es sich denn als solches klar definieren würde und jemand anderes als ein William Friedkin in seinen besten Jahren dafür verantwortlich wäre.


Guter Stundenlohn, beschissene Bedingungen.
In erster Linie sollte der Film nicht als ein typisches Remake, mehr als Neuinterpretation der literarischen Vorlage gesehen werden, denn Friedkin begeht nicht den fatalen Fehler, sich zu sehr an der ersten Verfilmung zu orientieren. Eine exakte Kopie braucht niemand, damals wie heute. Wobei dazu angemerkt werden sollte, dass sich die europäische Kinoversion deutlich von der US-Version unterscheidet. Von ursprünglich 120  wurde auf knapp 90 Minuten gestutzt, bis heute ist die Originalfassung nicht auf dem deutschen Markt erhältlich, was einer Sünde gleichkommt. Somit kann (ausgehend von der europäischen Fassung, auf die sich dieser Text bezieht) nur gemutmaßt werden, in wie weit sich Friedkin tatsächlich von Clouzot entfernt. Selbst in Anbetracht der vorliegenden Tatsachen, es funktioniert erstaunlich gut. Clouzot widmete sich gut eine Stunde lang der Schilderung von Lebensumständen und der Charakterisierung seiner Figuren, baute eine immense Bindung zu ihnen und ihren Motivationen auf, während Friedkin sich in der kurzen und knappen Einführung mehr darauf konzentriert, einen extrem schmutzigen, hoffnungslosen Moloch aus Dreck, Leid und Tod greifbar zu machen. Wer unsere Anti-Helden sind und was sie zu ihrem Himmelfahrtskommando treibt, erfahren wir nicht (ausschließlich) im Prolog, es wird scheibchenweise als Flashbacks in den eigentlichen Hauptpart eingestreut. Das sorgt zwar nicht für so eine intensive, verständlich Bindung zwischen Zuschauer und Protagonisten, reicht dennoch aus, um das Wesentliche der Story zu ergreifen und mitfiebern zu lassen.


"Links...rechts...passt. Stopp!!!"
Maßgeblich dafür verantwortlich ist Friedkin’s wahnsinnig kompakte, druckvolle Inszenierung. Eigentlich kein politischer Film, der dennoch relevante, zeit- und gesellschaftsgeschichtliche Themen ankratzt und sie sich geschickt zu Nutze macht. Der große Knall ist schon vor dem holperigen Todesritt durch die grüne Hölle allgegenwärtig. Südamerikanische Militärdiktaturen, ausbeuterische Methoden von Großkonzernen, moderne Sklavenhaltung und die damit einhergehende Ausnutzung von Notsituationen dienen als Sprengstoff, noch bevor dieser tatsächlich auf die Reise geschickt wird. Im Gegensatz zur ersten Verfilmung glänzt „Atemlos vor Angst“ weniger durch eine detaillierte, empathische Figurenzeichnung, dafür deutlicher durch die impulsive Darstellung einer Situation. In genau diesem Punkt glänzt ein William Friedkin, der wie bei seinem großen Durchbruch „French Connection – Brennpunkt Brooklyn“ mit einem unsichtbaren Pulverfass und den dazugehörigen Streichhölzern hantiert, um sie im Verlauf der Handlung zu einer wuchtigen Detonation zusammenzuführen. Sein Werk ist komprimierter, mehr auf den eigentlichen Survival-Plot reduziert, gönnt sich den Luxus bzw. das Selbstbewusstsein, keine tiefe Charakterstudie betreiben zu müssen, um dennoch eine ähnliche Wirkung zu erzeugen wie Clouzot fast 25 Jahre zuvor. Ein mutiges Vorhaben, sicherlich auch ein Kritikpunkt, nur wenn, dann muss man so abliefern wie Friedkin hier. Da bleibt letztlich wenig Angriffsfläche.


Sobald sich die Totgeweihten mit ihrer explosiven Fracht auf die Expedition in das Verderben begeben, bleibt kaum Zeit um über eventuelle Mängel nachzudenken. Viel zu dicht und packend wird alles vorgetragen, im peitschenden Regen reiten sie ihrem Schicksal entgegen, werden (wenn auch nur kurz) mit den Dämonen der Vergangenheit konfrontiert, die sie ihr Gepäck tragen lassen, bis zum erlösenden Ende…entweder durch das Rückfahrticket nach Hause oder das One-Way-Ticket in die Hölle. „Atemlos vor Angst“ mag im direkten Vergleich kurzzeitig platter und einfacher wirken, ist er grob gesehen sogar auch, kompensiert dies jedoch spielend durch einen extrem fokussierten Plot, die grandiose Inszenierung, den hypnotisch-vernebelten Score von Tangerine Dream und das dazu passende Finale, in dem der Wahnsinn die Überhand gewinnt. In diesen Momenten ist es vollkommen egal, wie sensationell „Lohn der Angst“ war und ist, „Atemlos vor Angst“ spielt partiell auf Augenhöhe. Allein das ist Ritterschlag genug.


Traurig, dass Friedkin seinerzeit mit diesem Film gnadenlos floppte und vielleicht deshalb hierzulande noch auf eine vernünftige Auswertung gewartet werden muss. Dürfte einer der besten „Fehlgriffe“ der Filmgeschichte sein. Besser floppt keiner mehr, garantiert.

8 von 10 rostigen Lastern

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