Review: GNADE - Schuld und Liebe im eisigen Norden


Fakten:
Gnade
BRD, Norwegen. 2012. Regie: Matthias Glasner. Buch: Ulla Bay Kronenberger, Kim Fupz Aakeson. Mit: Jürgen Vogel, Birgit Minichmayr, Henry Stange, Björn Sundquist, Ane Dahl Torp, Iren Reppen, Maria Bock, David Hjelle Pettersen, Stig Henrik Hoff, Richard André Knutsen, Kristoffer Mortensen, Katharina Strauch u.a. Länge: 132 Minuten. FSK: freigegeben ab 12 Jahren. Auf DVD und Blu-ray erhältlich.


Story:
Ingenieur Nils zieht mit seiner Frau Maria  und seinem Sohn nach Norwegen, um dort seiner neuen Arbeit nachzugehen. Zwischen den Eheleuten gibt es Probleme, die auch im eisigen Norden zum Tragen kommen. Als Maria eines Nachts etwas überfährt, ist sie davon überzeugt, es sei ein streunender Hund gewesen, doch aus den Nachrichten erfährt sie, dass es ein Mädchen. Nils, den Maria vom Vorfall berichtete, und Maria werden daraufhin von Schuldgefühlen geplagt, was ihrer Liebe aber eine neue Richtung weist.




Meinung:
Man möchte einem Regisseur wie Matthias Glasner stehende Ovationen spendieren, gehört er doch zu den mutigen Filmemachern, die dem pejorativen Ruf des deutschen Kinos wieder auf die wackeligen Beine helfen, indem sie schwierige Themen ansprechen und sie zu keinem Zeitpunkt in ein massentaugliches Korsett zwängen. In „Gnade“ thematisiert der gebürtige Hamburger die weitreichenden Konsequenzen der Schuldfrage von menschlichem Handeln und beweist dabei eine lebensnahe Weitsicht, die sich nicht nur durch den naturalistischen wie allegorischen Rahmen der eiskalten Erzählung zusammenrauft, sondern im Kern genau die moralische Ambivalenz trägt, die auch die qualvolle und nie durchblickende Zwiespältigkeit unserer Existenz ausmacht.


Es herrscht Eiszeit zwischen Maria und Nils
Im Zentrum steht hier eine dreiköpfige Familie, in der sich alle Mitglieder auf verschiedene Art und Weise schuldig machen und daraufhin im Verlauf des Filmes versuchen, die Gnade und Abhilfe ihrer getroffenen Mitmenschen zu erfahren; doch es gibt Situationen im Leben, in der eine solche Befreiung einfach nicht mehr denkbar ist, selbst wenn eine gewisse Akzeptanz in allen Menschen herrscht, eine vergebende Bewältigung scheint utopisch. Und genau das ist auch ein wichtiger Punkt, den Matthias Glasner in seinem Film anspricht, den wir auch in ähnlicher Form zuletzt in Thomas Vinterbergs „Die Jagd“ erkennen durften: Der Schein trügt gerne und oft. Dabei überlässt Glasner dem Zuschauer höchstpersönlich den wertenden Platz der Obrigkeit und eröffnet ihm somit die Chance, dem Geschehen ohne Einschränkung auf eigene Faust zu folgen – ohne ihn ab einem gewissen Zeitpunkt in eine Wanne, gefüllt mit überdramatisierter Theatralik fallen zu lassen. Alles, was Glasner dem aufmerksamen Rezipienten innerhalb von 130 Minuten vorführt, hat rein gar nichts mit verlogener Verfremdung von Wiedergutmachung und den Versuchen einer solchen zu tun. In „Gnade“ gibt es genau wie in der Realität keine klaren Wege zum Ziel, es gibt kein Schwarz-Weißes-Ausbuchstabieren, nur um den Zuschauer am Ende beruhigt in die Federn zu schicken.


Wer nun als Betrachter nicht mit der reflektierten Auffassung arbeitet, wie Glasner es getan hat, der könnte die These aufstellen, der Film würde sich im Schlussakkord in einem naiven Optimismus verrennen. Nur ist Glasners Intention die Kehrtwendung von einem solchen Pseudo-Happy-End, und obgleich der Sommertanz von Hammerfest das Ende einleitet, wirklichen Frieden wird keine der beteiligten Personen jemals wieder erfahren dürften, denn die selbstverschuldeten Narben werden ihre Seele Zeit ihres Leben zieren, egal wie krampfhaft Vergangenes verdrängt werden möchte. Wer einmal um Vergebung gefleht hat in seinem Leben, der weiß, wie exakt Glasner hier formuliert. Würde der deutsche Markt öfter eine solch antizipierende Ehrlichkeit an den Tag legen, dürfte sich Deutschland endlich wieder als eine der europäischen Bastionen im Filmgeschäft bezeichnen.


8 von 10 Nordlichtern


von souli

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